Erster „Arbeitsmarktdialog Kassel 2019“ – Bürgerinnen und Bürger waren neben Expertenwissen gefragt

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Expertenwissen im Dialog (v.l. Peter Strotmann, Dr. Norbert Wett, Cornelia Mündel-Wirz, Dr. Michael Glatthaar sowie Bürgermeisterin Ilona Friedrich

Einen neuen Weg zum Abbau der Arbeitslosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit, die noch immer das größte gesellschaftliche Armuts- und Ausgrenzungsrisiko bedeuten, hat Bürgermeisterin Ilona Friedrich jetzt mit dem ersten “Arbeitsmarktdialog Kassel 2019” beschritten. In den Bürgersaal des Rathauses eingeladen waren neben Kasseler Experten und Expertinnen, die im Bereich der Arbeitsförderung tätig sind, auch knapp 20 interessierte Bürgerinnen und Bürger, die ihre Erfahrungen, Vorstellungen und Wünsche in den Diskussionsrunden einbringen konnten.
Zum Fachpublikum gehörten Vertreterinnen und Vertreter aus den Bereichen Schule und Bildung, Arbeitsmarktförderung, aus Institution und Verbänden wie Agentur für Arbeit, Jobcenter, Industrie- und Handelskammer, von Unternehmen, von Trägern von Maßnahmen sowie aus der Politik. Aus der Veranstaltung sollen die Eckpunkte der kommunalen Arbeitsmarktstrategie für die nächsten Jahre entwickelt werden.

Kommunale Arbeitsmarktstrategie für die nächsten fünf Jahre “Die Themen Arbeit und Bildung sind eingebettet in unsere kommunale Gesamtstrategie und spielen in den Planungen der nächsten Jahre eine große Rolle”, sagte Bürgermeisterin und Sozialdezernentin Friedrich. Zwar gehöre Kassel seit Jahren zu den dynamischsten Städten Deutschlands und habe eine positive wirtschaftliche Entwicklung mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Arbeitsmarktdaten aufzuweisen. Doch trotz einer kontinuierlich zurückgegangenen Arbeitslosenquote auf jetzt 7,3 Prozent zeige der differenzierte Blick auf die Gesamtlage, dass die Menschen, die langzeitarbeitslos sind, einen besonderen Förderbedarf haben. Mit einem Anteil von 35 Prozent aller Arbeitslosen in Kassel sind etwa 3000 Menschen davon betroffen. Bei allen Maßnahmen und Konzepten steht das Individuum im Mittelpunkt. Da die Arbeitslosenquote in den einzelnen Stadtteilen sehr unterschiedlich ist, wollen wir mit unseren Programmen vor allem in den Stadtteilen mit hoher Arbeitslosigkeit neue Chancen schaffen und Unterstützung leisten.”

Starkes Engagement der Kooperationspartner Im Rahmen der Veranstaltung wurden fünf Zielgruppen thematisiert, für jede Zielgruppe stand in den Workshops eine regionale Expertin oder ein Experte für die Diskussion zur Verfügung, Besonders stark war dabei die Wirtschaft vertreten.
Zum Thema “Jugendliche unter 25 Jahren mit den Schwerpunkten Übergang Schule-Beruf / Ausbildung” waren es Dr. Norbert Wett, der Geschäftsführer Kreishandwerkerschaft Kassel und Cornelia Mündel-Wirz, Abteilungsleiterin Berufsbildung der Handwerkskammer Kassel. Für den Kreis der Geflüchteten und Migranten mit den Schwerpunkten berufliche, gesellschaftliche Integration Rechtsanwalt Jürgen Kümpel, der Geschäftsführer der Vereinigung der Hessischen Unternehmerverbände e.V., Geschäftsstelle Nordhessen. Expertin für Frauen mit dem Schwerpunkt Wiedereinstieg war Jenny Huschke, die Geschäftsführerin DGB-Region Nordhessen; Langzeitarbeitslosigkeit mit den Schwerpunkten Qualifizierung, Sozialer Arbeitsmarkt, behandelte Bahri Gültekin, der Leiter des Arbeitgeberservice des Jobcenters Stadt Kassel. Für das Thema “Leistungsberechtigte nach dem Bundessozialhilfegesetz mit den Schwerpunkten Beschäftigung / Qualifizierung” stand Ute Pähns, Leiterin Sozialamt Stadt Kassel, zur Verfügung.
Als mögliche Handlungsfelder und Strategien, um für die duale Ausbildung zu werben und potentielle Bewerberinnen und Bewerber zu erreichen wurde unter anderem vorgeschlagen, junge Menschen schon früh anzusprechen. Bereits auf Schulhöfen oder in Jugendzentren soll über Ausbildungswege- und möglichkeiten informiert und für Berufsfelder geworben werden.

Land Hessen stellt den Kommunen Mittel für die Ausbildungs- und Arbeitsmarktförderung zur Verfügung Das Land Hessen hat 2011 kommunale Budgets für die Ausbildungs- und Arbeitsmarktförderung eingerichtet. Die Stadt Kassel erhält – wie auch alle anderen Gebietskörperschaften – ein jährliches Budget und schließt mit dem Ministerium eine Zielvereinbarung auf der Grundlage von Arbeitsmarktdaten und Problemlagen in der Stadt Kassel erhält zurzeit rund 1 Million Euro jährlich.
Das Land erwartet auf seiner Seite eine kommunale Arbeitsmarktstrategie, für die der erste Kasseler Arbeitsmarktdialog und seine Ergebnisse nach dem Wunsch von Bürgermeisterin Friedrich ein zentraler Baustein sein sollen. Für das Hessische Ministerium für Soziales und Integration war Referatsleiterin Dörte Ahrens zum Arbeitsmarktdialog nach Kassel gekommen. Sie zeigte sich beeindruckt von dem neuen Format unter Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern, bezeichnete es als “Alleinstellungsmerkmal” und kündigte an, dies als Anregung mit nach Wiesbaden zu nehmen. “Die Besonderheit an der heutigen Diskussion zur Arbeitsmarktstrategie der Stadt Kassel ist, dass heute zusammen mit Bürgerinnen und Bürgern diskutiert wird. Dies ist hessenweit einzigartig und beweist einmal mehr, dass die Stadt Kassel neue Wege geht”, sagte sie.

Podium und Referenten (v.l. Dörthe Ahrens, Bürgermeisterin Ilona Friedrich, Bahri Gültekin, Peter Strotmann, Dr. Norbert Wett, Ute Pähns, Prof. Dr. Wolfgang Schroeder, Jenny Huschke, Jürgen Kümpel sowie Cornelia, Mündel-Wirz.

Kommunale Arbeitsförderung setzt auf zielgruppenorientierte Angebote Mit dem vom Land Hessen zur Verfügung gestellten Budget kann die Kommunale Arbeitsförderung ergänzend zum Angebot der Bundesagentur für Arbeit und des Jobcenters an den Zielgruppen orientierte Integrationsangebote durchführen. In Kassel, so Bürgermeisterin Friedrich, wird ein besonderer Stellenwert auf sozialräumliche Angebote – zum Beispiel im Wesertor, Rothenditmold, der Nordstadt und Bettenhausen – gelegt.
Peter Strotmann, der Leiter der Abteilung Kommunale Arbeitsförderung, sagte in seinem Vortrag: “Die zentralen Begriffe der Arbeitsmarktstrategie sind “Beschäftigung” und “Qualifizierung”, die immer integriert bei allen Maßnahmen umgesetzt werden.”
Strotmann, der seit 35 Jahren bei der Stadt Kassel im Bereich der Arbeitsförderung tätig ist, wurde in der Veranstaltung von Bürgermeisterin Friedrich in den Ruhestand verabschiedet nachdem sie seine engagierte Arbeit gewürdigt hatte.

Wandel in der Arbeitswelt durch Digitalisierung – die 4. Industrielle Revolution erfordert neue Wege Mit Professor Dr. Wolfgang Schroeder von der Universität Kassel aus dem Fachbereich Gesellschaftswissenschaften war ein Experte für den Wandel der Arbeitswelten anwesend. Diesen Veränderungen könne nur durch Weiterbildung beziehungsweise Qualifizierung reagiert werden, machte er deutlich. Dabei sollte es mehr um die Vermittlung genereller Fähigkeiten und Kompetenzen gehen, weniger um die Schulung einzelner Fertigkeiten.
Das Thema der Digitalisierung der Arbeitswelt sei zentral. Hierbei gelte es, die Chancen und Risiken genau einzuschätzen. Ging man vor einigen Jahren davon aus, dass bis zu 50 Prozent aller Beschäftigten durch die Digitalisierung ersetzt werden, würden deutlich differenziertere Analysen heute davon ausgehen, dass rund 15 Prozent der Beschäftigten durch Digitalisierung substituiert werden können, wenn die von ihnen ausgeführten Tätigkeiten zu einem Großteil von Robotern übernommen werden. “Die Digitalisierung wird zwar als 4. industrielle Revolution bezeichnet, findet aber nicht als Bruch, sondern als langsamer Prozess statt. Deshalb hat die Politik hier die Aufgabe und gleichzeitig die Möglichkeit, die Chancen und Risiken zu bewerten und den Prozess zur zunehmenden Digitalisierung zu begleiten”, sagte er. Eine zentrale Rolle komme dem dualen Ausbildungssystem zu, das aus seiner Sicht aber deutlich attraktiver werden muss, damit es bei jungen Menschen wieder an Bedeutung gewinnt.
Gleichzeitig stellte er fest, dass der Beschäftigungsmotor seit den 1980er Jahren in Deutschland die Frauen gewesen seien und weiterhin sind. “Der Anteil der erwerbstätigen Frauen hat enorm zugenommen und Deutschland liegt mittlerweile auf dem europaweit zweiten Platz. Die Kehrseite dieser Entwicklung ist, dass es eine zu hohe unfreiwillige Teilzeitquote von Frauen und einen hohen Anteil an Beschäftigten im Niedriglohnsektor gibt.”

Die Veranstaltung wurde durch das Hessischen Ministerium für Soziales und Integration gefördert.

Stadt Kassel


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