Manches was über Afghanistan erzählt wird ist schlicht falsch. Anderes leider wahr. Und dann gibt es da Geschichten, die könnte Aladin erfunden haben. 1000 und einer Nacht entsprungen sein. Wie diese Geschichte um den Schneeleoparden von Feyzabad und die sagenumwobene Rettungsaktion der Bundeswehr.
Warum komme ich auf gerade diese Geschichte? Weil ich sie unlängst erzählt bekam. Passiv zuhörend am Nebentisch. Und ich wollte meinen Ohren nicht trauen, wie das damals war. Und leider (LEIDER!) müsste ich es recht genau wissen. Denn im Jahre des Herrn 2010 war ich in Feyzabad. Und, blöderweise, weiß ich recht gut, wie diese Nummer ablief.
Kennt jemand den Anfang des Klassikers Moby Dick? Da heißt es „Mein Name sei Ismael“. Nun denn, mein Name ist nicht Ismael, aber ich war der, der da war.
Und wie Märchen im Allgemeinen beginnen, so will auch ich beginnen…
Es war einmal eine kleine aber wichtige nordafghanische Stadt in den Bergen. Sie hieß Feyzabad, lag in 1800 Metern Meereshöhe und war von hohen Bergen umgeben. Man sagt, dass bis hierher Alexander der Große gekommen ist und dann umkehrte, weil er glaubte das Dach der Welt gefunden zu haben. Der Eindruck könnte entstehen, denn nach Osten hin türmen sich die Berge höher und höher auf. 5000, 6000 und dann sogar 7000 Meter hoch als Normalität.
In diesen Bergen lebten dann neben Menschen und Ziegen auch Wölfe und Schneetiger, wie Schneeleoparden in Afghanistan wörtlich übersetzt heißen (HIER). Und um eine dieser seltenen Raubkatzen geht es. Um den Schneeleoparden von Feyzabad.
Diese arme Raubkatze hatte Hunger und bediente sich einmal zu oft an den Ziegen und Schafherden der Menschen im Vakhan-Korridor (HIER). So fing man ihn ein und wollte ihn in den Zoo von Kabul bringen.
Nur sind Schneeleoparden halt keine Schmusekätzchen, die man anleint und gut ist. Es sind Raubtiere. Und weil Käfige nicht vorhanden waren, band man dem gefangenen Leoparden die Pfoten zusammen. Dann schaffte man ihn nach Feyzabad zum Provinzgouverneur und entledigte sich so des Problems, denn diese Tiere standen unter Schutz.
Bis dahin waren vier Tage vergangen. Vier lange Tage, wo die Großkatze ihre Pfoten nicht bewegen konnte. Sich gar nicht bewegen konnte. Sie jede Nahrung verweigerte und auch nicht trinken wollte. Kurz: das Tier litt.
Man brachte die Katze in das Hauptquartier der Polizei von Badakshan (HIER) und deponierte es in der geräumigen Herrentoilette. Natürlich weiterhin gefesselt, denn jeder hatte Angst vor dem Tier. Jede Bewegung der Katze führte zu fluchtartigen Tendenzen. Dennoch schafften es immer wieder einige Mutige die Katze mit dem Fuß „anzustubsen“ und ihre kläglichen Schreie waren bis in den Hof zu hören.
Man wollte das Tier nicht wirklich in den Zoo nach Kabul bringen. Denn wie in anderen Märchen auch, gab es da den bösen Vizekönig (Vize-Gouverneur), der in Abwesenheit des Königs (Gouverneurs) die Gunst der Stunde nutzen und das Fell des Leoparden oder das Tier selbst verhökern wollte. Immerhin hatte dieser Schneeleopard einen Wert von 15.000 US- Dollar. Allein das Fell noch satte 8000 US-Dollar, was in Afghanistan ein Vermögen war.
Das Schicksal des Schneeleoparden hing an einem seidenen Faden. Noch länger gefesselt würde er zu Grunde gehen. Ohne Fell wohl auch. Und ob er lebend einen Zoo, wo auch immer in der Welt, erreichen würde, war fraglich.
So kam es, dass ein Oberstleutnant im PRT (Feldlager) Feyzabad davon von seinem Hauptmann erfuhr. „Wissen Sie, dass im Pol-HQ ein Leopard ist“ (Zitat), wurde er samstags gefragt. In einem PRT ist ein Tag wie der andere. Nur sonntags gab es Brunch, was der Höhepunkt der „wöchendlichen Woche“ war.
Dennoch wurde am nächsten Tag der Brunch ausgelassen und das Team des OCC-P Feyzabad rückte a.s.a.p. aus. Der Anfang vom Drama. Oder den Legenden, die um diesen Leoparden nun gestrickt wurden. Damit war die Bundeswehr nun beteiligt…
Mit Vollgas bretterten die zwei Geländewagen gen Feyzabad. Kaum im OCC-P abgestellt begab sich der Oberstleutnant zum Polizeihauptquartier. Kein verfickter Öko wäre je schneller gewesen! Das lag nicht an der Aufgabe an sich, aber es gibt und gab wenige Gestalten in der Bundeswehr, die jemals mehr Interesse an solchen Raubtieren hatten und haben. Das Wort Rettung war noch nicht so im Hirn des Offiziers verankert, aber es war klar: wir müssen etwas tun.
Und an dieser Stelle begann der die Phase Zwo des Dramas: Was KANN ich denn tun?
Und auch diese Frage hatte schnell eine westlich angehauchte Antwort. Die Katze muss sich wieder bewegen können. Wir brauchen einen Käfig.
Das war eine typische Stabsoffiziersidee. Eines durchgeistigten Generalstäblers fast schon würdig und auch schon generalsreif angedacht. Denn alles was wirklich zählte war der Umstand, dass es in der ganzen Provinz keinen einzigen Käfig gab.
Aber Soldaten geben so schnell nicht auf. Dann wird halt so ein Käfig gebaut oder improvisiert, war die weiterführende Idee. Warum also nicht aus zwei HESCOs einen Käfig zusammenschrauben (HIER)?
Diese Schanzkörbe wurden vorgefertigt angeliefert, aufgeklappt und dann befüllt. Bildeten so wie Legosteine übereinander gestapelt einen Schutzwall. Warum also nicht zwei dieser Körbe mit den Öffnungen zusammenschrauben und so den Leoparden einsperren?
Geniale Idee, fand der Oberstleutnant und selbst die Hauptfeldwebel fanden nichts auszusetzen, was bei der Bundeswehr schon einmal ein Qualitätsmaßstab ist.
Inzwischen wissen wir, dass nun die Phase drei des Dramas ihren Anfang nahm. Der liebe Oberstleutnant unterschätzte den thematischen Impact im PRT völlig. Das Interesse und das Hilfsbedürfnis der Massen. Das Mitgefühl und den Eifer nun auch helfen zu wollen. Jeder für sich, aber alle zusammen. Eine Greenpeace-ähnliche Stimmung machte sich im PRT breit. „Den Schneeleoparden retten wir!“
Natürlich waren auch die afghanischen Behörden zwischenzeitlich nicht untätig geblieben. Nicht nach einem Besuch des Oberstleutnants beim Vizegouverneur, dem Leiter der Staatskanzlei, dem Landespolizeichef und dem Gerichtspräsidenten. Zu mehr reichte die Zeit nicht. Jedem Afghanen in Feyzabad war klar, die Bundeswehr war nun mit im Boot und wollte den Leoparden glücklich sehen.
Ergo überschlug man sich eine Lösung abseits der Herrentoilette zu finden und verfrachtete den Leoparden in ein Hotel. Und dort dann in eine große Wandnische, die man behelfsmäßig mit einem Gatter absperrte. Der Leopard konnte sich wieder bewegen. Der Landespolizeichef stellte Wachen auf und der Vizegouverneur verabschiedete sich von einem mehr oder weniger öffentlichen Verkauf zum eigenen Vorteil.
Kaum im PRT zurückgekehrt ging also der Oberstleutnant zum Leiter des Feldlagerbetriebs und verkündete, dass er jetzt sofort zwei HESCOs bräuchte, um einen Käfig bilden zu können, in dem dann ein Schneeleopard gerettet wäre. Schweigen. Verstörte Blicke. Dann die Frage: „Sie meinen das wirklich ernst, oder?“ Als Gefreiter wäre der Oberstleutnant in der Klappsmühle gelandet.
Und dann die entscheidende Frage des aktivierten Feldlagermanagers: „Haben Sie schon mal so einen HESCO aufgebaut? Das ist total schwer. Das geht nicht mal ebenso. Aber wir helfen Ihnen dabei. Wir müssen da auch unseren Lkw nehmen. Das Zeug passt nicht in Ihre Autos.“ – Klar. Aber egal. Halt ein Lkw mehr wenn wir gleich wieder rausfahren. „Was soll’s“, dachte der Offizier. Auftragstaktik und einfach delegieren. „Sie melden sich dann bei meinem Hauptmann. Der organisiert das. Nehmen sie alles mit was Sie brauchen. Es gibt nur einen Versuch. – Wir sehen uns nach dem Abendessen.“ Zufrieden ging der Oberstleutnant später zum Essen. Es war verdächtig leer im Speisesaal, aber nicht so auffällig, dass man jetzt schon auf krumme Gedanken gekommen wäre.
Inzwischen war es dunkel. Und in einem PRT, das aus Tarnungsgründen auch kein Licht hatte, war es dann wirklich dunkel. Sichtweite keine fünfzig Meter und das bei Vollmond. Nur war es bedeckt und ein Mond nicht zu sehen. Sichtweite also unter zwanzig Meter.
Der Weg zum Stab war bekannt, nach Monaten fanden die Füße allein den Weg dorthin, wo der Hauptmann alles organisierte.
Normalerweise war gegen 1900 vor dem Stab nichts mehr los. Kein Auto. Kein Publikumsverkehr. Tote Hose wie sie nicht hätte toter sein können…
Die Füße trugen den Oberstleutnant um die Ecke und direkt in ein Gewühl von Menschen hinein. Autos standen kreuz und quer. Überall marschbereite Soldaten aller Dienstgrade. Aktionismus pur. Immer wieder fiel das Wort „Schneeleopard“. Überall!
Dem Oberstleutnant schwante Übles. Sein Hauptmann und seine Hauptfeldwebel des Beraterteams waren gut vernetzt im PRT. Der Hauptmann selbst ein Tierfreund sondergleichen. Sicher auch eigenmotiviert genug jetzt das Beste für die Katze rauszuholen. ‚Könnte ich mich etwas unklar ausgedrückt haben‘, ging es dem Oberstleutnant noch durch den Kopf als er den Stab betrat.
Ein Gang voller Menschen die anstanden. Am Ende des Ganges zwischen den Stabszellen dann ein Schreibtisch und der Hauptmann, der das Chaos organisierte. Beim Näherkommen hörte der Oberstleutnant Sätze wie: „Klasse. Das hab ich. Du bist nun Nummer zehn in der Marschfolge…“ oder nur „Tut mir leid, aber noch eine Sicherungsgruppe brauchen wird nicht…“
Sicherungsgruppe? Nummer ZEHN in der Marschordnung?? Eigentlich war die Grundidee mit zwei Fahrzeugen und den HESCOs auf dem Dach zurückzufahren, den gefesselten Leoparden in die Mitte zu packen und rechts und links zwei HESCOs zusammenzuschieben und zu verdrahten. So wäre ein 2×1 Meter großer Käfig entstanden. Klein, aber besser als nix. Das war der Vater des Plans.
Und wie es schien wurde der Plan nun erweitert. Um immer mehr Elemente, die nützlich waren und dann auch um die Teile, die dann bei der Größe der Veranstaltung zwingend vorgeschrieben waren.
Stolz verkündete der Hauptmann nun drei Dinge:
1.) Alles organisiert. Es wären zurzeit um die vierzehn Fahrzeuge mit knapp fünfzig Mann. Alle sind schon registriert und der OPZ so als Besatzungen gemeldet. Es wären sogar Ärzte und Krankenschwestern dabei, die der Katze Vitaminspritzen geben würden. Im PRT wäre unter den Zivilisten auch ein Tierarzt gefunden worden.
2.) Es würden noch Pioniere erwartet, die notfalls den Käfig auch verbessern könnten.
3.) „Ach ja, und der Chef des Stabes will Sie sehen!“
Punkt drei war das Wunder schlechthin, denn der Tisch des Hauptmanns stand vor seiner Tür. Woher wohl das Interesse kam?
Egal, was sonst so anlag, der Oberstleutnant ging zu seinem Kameraden, der auch Oberstleutnant war. Leider auch sein Vorgesetzter…
Begrüßt wurde man mit den Worten: „Guten Abend. Können Sie mir sagen, was da draußen vorgeht?“
Respekt. Diese Ruhe hätte der Oberstleutnant an seiner Stelle nicht (mehr) gehabt. Das halbe PRT im und vor dem Stab, eine Aktion, die sonst zwei Wochen Planung bedurft hätte und ansonsten Öko-Aufbruchstimmung pur.
Es folgte eine kurze Erklärung was eigentlich angedacht worden war: die Rettung des Schneeleoparden…
Frage: Und wie stellen Sie sich das nun vor? Wie soll das ablaufen?
Antwort: Da müsse man noch etwas optimieren.
Frage: Wer soll denn da Groundforce-Commander sein?
Antwort: Ich wohl…
Frage: Wohin wollen Sie denn überhaupt?
Antwort: Wir bekommen die Adresse noch per Telefon…(hüstel)
Schweigen!
Frage: Wenn Sie an meiner Stelle wären, was würden SIE nun tun?
Manche Menschen haben es echt drauf Spielverderber zu werden ohne es selbst zu sein.
Antwort: Na ja (Relativieren geht immer!), wie gesagt. Man müsste da noch nachbessern.
Schweigen!
Antwort: Also so wie das gerade läuft müsste man fairerweise sagen, dass das alles vielleicht etwas übertrieben ist. (Vor der Tür ein Jubelschrei, dass man es ins Rettungsteam geschafft hatte…war echt nicht hilfreich!)
Antwort: Man vielleicht übertriebene Hilfsangebote reduzieren müsste.
Schweigen! (echt traurig was so ein mitleidiger aber ungläubiger Blick anrichten kann…)
Antwort: Na ja, um ehrlich zu sein würde ich mich selbst so auch nicht weglassen…
Anweisung: Dann sind wir uns ja einig, Herr R. – Ich würde dem Tier auch gern helfen, aber wir können doch nicht mitten in der Nacht und ohne Vorbereitung das halbe PRT auf eine Reise schicken, wo wir noch nicht mal wissen wohin es genau geht. (Das traf leider den Kern.)
„Da das Botschaftsteam sowieso schon involviert ist schlage ich vor, dass Sie das über die abwickeln. Wir sollten das beenden, bevor es zu spät ist.“
Klar, dass der Abbruch dieser allseits gewollten Rettung auf Unmut stieß, zumal jeder schon neben Waffen, Ausrüstung und Munition auch seine Kamera kontrollierte…
Zwanzig Minuten später rückte der zivile Part des PRT ohne die militärischen Vorschriften und Beschränkungen aus. Erreichte das Hotel. Versorgte den Leoparden und kam heil zurück.
Ein Märchen wäre nun zu Ende. Die Schönheit wäre gerettet. Das Gute hätte gesiegt und das Böse wäre leer ausgegangen. Leider passieren solche Märchen nicht. Und in Afghanistan ohnehin viel zu selten.
Als sich das Team des OCC-P Feyzabad am nächsten Morgen zum Dienst in der afghanischen Kaserne einfand gab es lange Gesichter, denn der Schneeleopard war tot.
Solche Zufälle passieren in Afghanistan immer wieder… Auch mit Menschen.
Ergo hörte sich der Oberstleutnant um. Aktivierte ein paar Kontakte. Klopfte auf den Busch. Wie es hieß hätte der Vizegouverneur den Wunsch geäußert im Falle des Ablebens des Schneeleoparden dann sein Fell verkaufen zu wollen. Natürlich für Afghanistan.
Also pilgerte der Oberstleutnant zum Landespolizeichef und erklärte ihm die politische Lage in Deutschland. Erzählte ihm von den Vorbehalten was den Einsatz nach dem Kunduz-Zwischenfall insgesamt anging. Erklärte, dass alles am seidenen Faden derer hing, die man in unserem Parlament Grüne nannte. Und wie die ausflippen würden, wenn bekannt wäre, dass man das Fell eines Tieres verkaufen wolle, das vom Aussterben bedroht wäre und unter solchen Umständen zu Tode kam.
Der Oberstleutnant verstieg sich sogar zu der Aussage, dass hundert hungernde Kinder nicht den Effekt bei den Grünen auslösen könnten wie dieser eine tote Schneeleopard. Und bald wieder im Parlament Mittel für Afghanistan bewilligt werden müssten…
In Afghanistan geht vieles langsam. Aber wenn Not am Mann ist auch recht schnell. Zwei Stunden später hing eine fette Rauchsäule über dem Polizei-HQ. Der Schneeleopard wurde mit Haut und Haar und Fell verbrannt.
Als zwei Tage später der Gouverneur aus Kabul zurückkam erzählte der Oberstleutnant dem Gouverneur von dem Schneeleoparden. Den Versuchen ihn zu retten. Seinem komischen Tod und dem Feuer. Und auch von Gerüchten, was so ein Tier Wert ist.
Gouverneur blickte zur Wand. Da hingen drei Fotos von jagenden Schneeleoparden in freier Wildbahn. Er sagte, dass er sich darum kümmern würde…
Es ist nicht vielen Menschen vergönnt einen wilden Schneeleoparden zu streicheln. Oder ihm zu helfen. Damals wollten es sehr viele wagen. Letztlich war es vergebens. Und auch wenn es heißt, dass die blöde Bundeswehr selbst das nicht geschafft hat war es nicht die Bundeswehr, die hier bei der Leopardenrettung versagt hat. Der Leopard war de facto von dem Zeitpunkt an tot, wo 8-15.000 Dollar im Raum standen.
Es gibt Gestalten, die tragen solche Felle als Mäntel. Sie sind letztlich daran schuld, dass diese Katze nun tot ist. Nie eine Chance hatte. Selbst die Hirten töteten ihn nicht sondern fingen ihn ein. Aus Respekt vor dem Tier, das sie Schneetiger nennen und fürchten. Aber auch lieben, denn er, der Schneetiger sei wie sie… Und das sagten sie mit Stolz.
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