Ein Jahr nach Vorstellung der nationalen Strategie gegen Lebensmittelverschwendung durch Bundesministerin Julia Klöckner zieht der WWF Deutschland eine „durchwachsene Jahresbilanz“. Zwar wurden Strukturen geschaffen, auf deren Basis nun konkrete Arbeiten aufgenommen werden können, nicht absehbar ist aber, ob die Ziele erreicht werden. Gemäß der europäischen Abfallrahmenrichtlinie sollen die Lebensmittelabfälle der EU-Mitgliedstaaten bis 2025 um 30 Prozent und bis 2030 um 50 Prozent sinken. Die Strategie des BMEL basiert vor allem auf dem Prinzip der freiwilligen Mitarbeit der Wirtschaft im Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung. „Dieses Jahr wird sich zeigen, wie hoch die Bereitschaft der Wirtschaft ist, zur Zielerreichung und damit zur Umsetzung der nationalen Strategie beizutragen“, ordnet Tanja Dräger de Teran vom WWF ein.
Im Rahmen der Strategie legte das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) im vergangenen Herbst eine Gesamtbilanz des Aufkommens von Lebensmittelabfällen über die gesamte Lebensmittelversorgungskette vor. Sie gilt als Basis und als Messgröße zur künftigen Zielerreichung. Allerdings beruht die Bilanz auf lückenhaften Daten und Abschätzungen. In die ab 2020 verpflichtende Berichterstattung gegenüber der EU startet Deutschland mit einer Bemessungsgrundlage, in der zum Beispiel die Angaben zum Handel auf Zahlen einer branchenfinanzierten Studie aus dem Jahr 2011 basieren – lediglich ergänzt um die Abfallbilanzen von nur 77 Filialen eines Lebensmitteleinzelhändlers. Zum Vergleich: Allein Lidl unterhält bundesweit derzeit rund 3.200 Geschäfte. „Handel, Außer-Haus-Verpflegung und Lebensmittelindustrie sind gefordert, zügig zu einer besseren Datengrundlage beizutragen“, so Dräger de Teran.
Gelegenheit dazu bieten demnächst die sektoralen Dialogforen. Die Strategie des BMEL weist den als „Dialogforen“ bezeichneten Arbeitsgruppen eine Schlüsselrolle im Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung zu. In Zusammenarbeit mit der Wirtschaft sollen entlang der Lebensmittelversorgungskette in den Bereichen Produktion, Verarbeitung, Groß- und Einzelhandel und Außer-Haus-Verpflegung Branchenvereinbarungen mit Reduktionszielen und konkreten Maßnahmen zur Reduzierung der Lebensmittelabfälle erarbeitet werden. Zudem soll eine Umsetzungs- und Erfolgskontrolle erfolgen. Die Arbeit aufgenommen haben die Dialogforen Außer-Haus-Verpflegung und Handel. Ebenfalls fand das erste nationale Dialogforum statt, welches die gesamte Lebensmittelkette abbildet. Weitere sollen 2020 folgen. „Das Format der Dialogforen ist nur dann ein Erfolg, wenn ausreichend ambitionierte und konkrete Branchenvereinbarungen beschlossen werden und eine ausreichend kritische Masse an Unternehmen die Branchenvereinbarung unterstützt und umsetzt“, meint Tanja Dräger de Teran.
Eine Richtschnur für das freiwillige Engagement des Lebensmittelsektors in Deutschland kann Großbritannien sein: Dort will man bis 2025 die Lebensmittelverschwendung pro Kopf um 20 Prozent senken. Mittlerweile haben sich über 120 der größten Unternehmen aus der Lebensmittelwirtschaft Reduktionsziele gesetzt und überprüfen regelmäßig das Erreichte: zwischen 2015 und 2018 konnten Lebensmittelabfälle entlang der Lieferkette um sieben Prozent reduziert werden. Darüber hinaus veröffentlichen bereits 26 Unternehmen ihr Aufkommen an Lebensmittelabfällen, auch in Form von Zeitreihen. „Anders als in Deutschland begreifen die Unternehmen in Großbritannien Transparenz und Engagement im Kampf gegen Lebensmittelverschwendung als Chance und Mittel zur Positionierung im Wettbewerb“, zieht Tanja Dräger de Teran den Vergleich.
Viel Zeit bleibt Deutschland nicht mehr, die Wirksamkeit der Strategie gegen Lebensmittelverschwendung nachzuweisen: Nach Sichtung der Berichte der Mitgliedstaaten behält sich die EU-Kommission vor, bei nicht ausreichenden Ergebnissen 2023 einen Gesetzgebungsvorschlag für unionsweit geltende Zielvorgaben auf den Weg bringen.
[metaslider id=20815]
+ There are no comments
Add yours