Mein verwundetes Herz

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Nach dem gleichnamigen Buch von Martin Doerry

Bühnenfassung Michael Volk/Thomas Bockelmann

Premierenaufführung vom 23. Januar 2020 im TIF Kassel

Die schlichte Bühne (Ulrike Obermüller) besteht aus nur drei weißen Wänden. Aus der vor Kopf ragt eine Bank und aus den beiden zur Seite je ein Sitz. In den folgenden pausenlosen 105 Minuten wird das Leben der Lilli Jahn anhand von Briefwechseln mit ihren Kindern und Nahestehenden vorgetragen.

So erfährt man aus den Briefen Lillis (Christina Weisser) das Anbahnen von Liebesglück und den späteren Liebeskummer mit Ernst Jahn, den sie liebevoll Amade nennt. Die beiden heiraten 1926 in Köln. Noch im selben Jahr ziehen sie nach Immenhausen vor die Tore Kassels, wo sich beide zusammen eine gemeinsame Arztpraxis aufbauen. Mit Machtergreifung der Nazidiktatur 1933 änderte sich das Leben der Jüdin Lilli Jahn schlagartig.

Wie unerträglich das Leben wurde, zeigt sich, als die drei Protagonisten in die Rollen von Immenhäuser „Wutbürgern“ schlüpfen und sich jede Menge Gemeinheiten um die Ohren schlagen, denen Lillis Familie fortan sich ausgesetzt sah. Sie kann nicht mehr als Ärztin praktizieren. Als einzige verbliebene Jüdin verweigert sie sich dem Tragen des gelben Sterns. Es darf nicht sein, was nicht sein darf? Die Einwohner Immenhausens kehren ihr den Rücken, so dass sie, um Begegnungen außer Haus zu vermeiden, dieses gar nicht mehr verlässt.

Jürgen Wink gibt allen männlichen Parts, seien es die des Nazischergen oder als Ernst Jahn (Ehemann) bzw. Gerhard Jahn (Sohn) eine Stimme.

Ernst Jahn hat sich zunehmend unter dem Druck von seiner Frau Lilli entfernt und sein Verhältnis Rita im November 1942 geehelicht. Nachdem Lilli eine ganze Zeit lang mit ihren inzwischen 5 Kindern unter diesen Verhältnissen unter einem Dach gewohnt hatte, zog sie am 21. Juni 1943 nach Kassel in die Motzstraße.

Etwa am 30. August wurde sie kurzzeitig, nach Denunzierung, im Polizeipräsidium der Gestapo inhaftiert, bevor sie am 3. September in das Arbeitserziehungslager in Guxhagen/Breitenau interniert wurde. Grund dafür wohl eine Visitenkarte, die sie als provisorisches Namensschild an die Türklingel einsteckte: Dr. med. Lilli Jahn. Ein Verstoß gegen die 1938 bereits erlassene Polizeiverordnung. Alle jüdischen Frauen hatten den Namen Sara ihren Vornamen hinzuzufügen. Weiter hatte es Lilli gewagt den Doktortitel nicht zu streichen, der allen Juden pauschal aberkannt wurde.

Mit der Internierung Lillis waren die 5 Kinder auf sich allein gestellt und der sich anschließende Briefwechsel aus dieser Zeit wurde von den drei ältesten Schwestern Ilse (14), Johanna (13) und Eva (10) geführt. Gerhard war zu jenen Tagen als Flakhelfer im Einsatz und eher selten zu Hause und Dorothea mit ihren 2 Jahren das Nesthäkchen der Familie.

Christina Thiessen spielt nicht nur die Rollen der Töchter Lillis, sondern sie lebt sie regelrecht. Gestik, Mimik, stimmliches variieren sind beeindruckend. Sinnbildlich dafür unter anderem die Auslassungen der Tochter Johanna über ihren Wellensittich Hansi.

Nahezu unvorstellbar die innere Zerrissenheit der Mutter, die in all ihren Briefen stets darauf bedacht war ihren Kindern nicht zu viel zu zumuten. Ein Brief pro Monat war ihr zugestanden, weitere fanden auf „illegalem“ Wege nach draußen. Immer wieder lassen Anfragen bei den Kindern nach Kleidung Nahrungsmitteln von der erbärmlichen Versorgung im Lager Breitenau schließen und das bei 12 stündigen Zwangsarbeitseinsätzen, vermutlich in einem Zweigwerg von B. Braun in Spangenberg.

Die unauslösliche Verbundenheit mit ihren Kindern hat Lilli ständig in ihrem verwundeten Herzen getragen. Ergreifend bei aller Unbegreiflichkeit. Die drei Videoprojektionen von Behrooz Karamizade bilden zwischenzeitlich den Hintergrund des Geschehens auf den weißen Wänden. Breitenau, das bombardierte Kassel und das Konzentrationslager Ausschwitz Birkenau.

Als am Ende das Licht ausgeht und sich die Augen allmählich an die Dunkelheit gewöhnt haben, erkennt man die 3 Schauspielerkonturen. Die im Dunkeln sieht man doch.

Es folgen stehende Ovationen für eine sehr bewegende Vorstellung.                      

Demnächst wieder am 31. Januar, als auch am 8./ 14./ 21.Februar.

Fotos: Marina Sturm

Von p. Brauer


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