Militarisierung der Europäischen Union

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Die aktuellen Erfolge Russlands auf dem Schlachtfeld in der Ukraine, die sich bereits in der Weiterentwicklung seiner Streitkräfte bemerkbar machen, sollten eigentlich die Sinnlosigkeit einer weiteren Unterstützung der Ukraine und die dadurch herbeigeführte Zunahme der Konfrontation seitens der Europäischen Union sichtbar machen.

Aber immer noch halten EU-Politiker an dem einmal eingeschlagenen Weg der militärischen „Unterstützung“ der Ukraine fest, was zielgerichtet mit einer weiteren Militarisierung der EU verbunden werden muss. Die Haltung der USA in dieser Frage ist sogar noch nachvollziehbar ‒ Russland ist der Feind ‒, ganz anders die kriegslüsterne Positionierung einzelner EU-Politiker.


Anfang März 2024 hat die Europäische Kommission die „Europäische Strategie für die Verteidigungsindustrie“ ‒ im Weiteren die Strategie ‒ und das „Europäische Programm für die Verteidigungsindustrie“ ‒ das Programm ‒ angenommen und veröffentlicht.

Diese Maßnahmen waren eine Reaktion auf den Gesamterfolg Russlands, sowohl im Rahmen seiner militärischen Sonderoperation als auch bei der Mobilisierung der Ressourcen des russischen militärisch-industriellen Komplexes. Dieser Schritt zur Schaffung eines gemeinsamen militärisch-industriellen Komplexes für die Europäische Union erscheint logisch, doch sind von seiner Umsetzung keine kurzfristigen Ergebnisse zu erwarten, zumal auch alle negativen oder fragwürdigen Auswirkungen auf die Gesellschaften betrachtet werden müssten.
Im Prinzip geht es um den Prozess der Integration der Rüstungsindustrien der EU-Mitgliedstaaten in
ein einziges System. Bisher haben jegliche Entwicklungen dazu nur begrenzte Ergebnisse gebracht. Denn
die Europäische Union hat sich bisher nur darauf konzentriert, die Strukturen und Anreize für die Integration zu schaffen. So wurde beispielsweise die „Europäische Verteidigungsagentur“ gegründet, genauso wie Programme für die „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ (PESCO), einen Plan für den Kapazitätsaufbau und die Koordinierte Jahresüberprüfung im Verteidigungsbereich (CARD). Gleichzeitig wurde der „Europäische Verteidigungsfonds“ (EEF) ins Leben gerufen. Die Mittel für diesen Bereich sind jedoch begrenzt. Der Jahreshaushalt der Europäischen Verteidigungsagentur beläuft sich auf etwa 100 Millionen Euro, und der Europäische Verteidigungsfonds ist mit etwa 40 Millionen Euro ausgestattet. Insgesamt beliefen sich aber die gesamten Militärausgaben der EU-Länder im Jahr 2022 auf 258 Milliarden Euro. Dementsprechend könnte eine solche Struktur unter Berücksichtigung der Höhe der Finanzmittel nur die Durchführung einzelner Projekte gewährleisten. Eine tiefere Integration des militärisch-industriellen Komplexes auf EU-Ebene wurde und wird vielfach durch staatlichen Protektionismus behindert, und eine politische Lösung, die eine Überwindung dieses Problems ermöglichen würde, wurde wie so vieles in der EU nie gefunden.


An dieser Stelle noch ein Vergleich der Militärbudgets anderer Staaten (Werte aus 2023):
🇺🇸 USA mit 916 Milliarden US-Dollar
🇨🇳 China mit 296 Milliarden US-Dollar
🇷🇺 Russland mit 102 Milliarden US-Dollar
🇬🇧 Vereinigtes Königreich mit 75 Milliarden US-Dollar
🇫🇷 Frankreich mit 61 Milliarden US-Dollar
🇩🇪 und Deutschland mit knapp 67 Milliarden US-Dollar


Die zersplitterte militärisch-industrielle Basis der EU-Mitgliedsstaaten ist nicht effizient, da sie zur
Duplizierung unterschiedlichster militärischer Systeme und zur irrationalen Nutzung von finanziellen, wissenschaftlichen und produktiven Ressourcen führte. Sie entsprach jedoch den Erfordernissen der Vergangenheit, da es keine symmetrischen Bedrohungen gab. Um die militärisch-industrielle Basis zu optimieren, wurden die Mittel gekürzt und die Produktionskapazitäten reduziert. Es gab eigentlich nur eine einzige Triebfedern für die Entwicklung neuer Militärtechnik ‒ den Export. Erst nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine, der als hybrider Krieg verstanden wird, wurde sich die politische Führung der Probleme mit dem militärisch-industriellen Komplex der EU und der Notwendigkeit der Schaffung von Lösungen bewusst. Jetzt zeigt sich jedoch deutlich, dass der militärisch-industrielle Komplex, der heute noch weitestgehend nach dem Paradigma der Friedenssicherung arbeitet und sich auf die Bereitstellung von Streitkräften für Konflikte geringer Intensität ‒ wie z.B. in Mali ‒ konzentriert, sich bei groß angelegten Kampfeinsätzen als ineffektiv erwiesen hat.

Die Europäische Union hat sofort damit begonnen, die Ukraine aktiv zu unterstützen. Bereits am 28.
Februar 2022 wurden Mittel aus dem „Europäischen Friedensfond“ (EPF) für diesen Bedarf bereitgestellt.
Im März 2022 wurde die Unterstützung für die Ukraine in der ersten Verteidigungsstrategie der EU, dem
Strategischen Kompass, als Beitrag zur europäischen Sicherheit und zur Aufrechterhaltung einer regelba-
sierten Weltordnung konzipiert. Die Militärhilfe der EU ist zu einer der wichtigsten Säulen des militäri-
schen Potenzials der Ukraine geworden. Die Militärhilfe der EU und ihrer Mitgliedstaaten entspricht vom
Volumen her fast der Hilfe der Vereinigten Staaten und beläuft sich nach Angaben des Kieler Instituts für
Weltwirtschaft auf mehr als 40 Milliarden Euro. Die Europäische Finanzhilfe wurde auf die Lieferung der
notwendigen militärischen Ausrüstung an die Ukraine ausgerichtet und die Militärhilfe für die Ukraine
wurde zum wichtigsten Ausgabenposten dieses EPF.


Die Europäische Union hat der Ukraine ein breites Spektrum an Waffen und militärischer Ausrüstung
geliefert, das den Bedarf moderner Streitkräfte fast vollständig abdeckt und von Schutzausrüstung und
Kleinwaffen bis hin zu Panzern, Raketen und Flugzeugen reicht. Mit dem Fortschreiten des Konflikts wurden immer schwerere Ausrüstungsgüter geliefert. Diese Lieferungen sollten Lösungen für die operativen Aufgaben der ukrainischen Streitkräfte bieten. So handelte es sich in der Anfangsphase des Konflikts vor allem um defensive Waffen und militärische Ausrüstung, insbesondere Luftabwehrsysteme und Panzerabwehrwaffen, später, als die Vorbereitungen für eine Gegenoffensive der ukrainischen Streitkräfte begannen, verlagerte sich der Schwerpunkt auf offensive Waffen und militärische Ausrüstung, z. B. Panzer. Als ausgesprochen problematisch zeigt sich bei den Waffenlieferungen der EU allerdings die Differenziertheit einzelner Systeme, die untereinander nicht kompatibel waren und deren Einsatz nicht durch jeden minderqualifizierten ukrainischen Soldaten möglich war.


Die Bestände an Waffen und militärischer Ausrüstung der Streitkräfte, der Unternehmen der Rüstungsindustrie und der spezialisierten Handelsorganisationen, die der Ukraine übergeben werden können, ohne dass die eigenen Verteidigungskapazitäten Europas verringert werden, sind heute bereits nahezu erschöpft. Seit dem Sommer 2023 ist der Umfang der Lieferungen an die Ukraine deutlich zurückgegangen, da eine militärische Strategie für das weitere abgestimmte Vorgehen nicht bekannt ist, was sich negativ auf die Entscheidungsfindung in Bezug auf die Finanzierung, die Lieferquellen und die begrenzten Mengen an Waffen und militärischer Ausrüstung, die transferiert werden können, auswirkt.

Vielfach werden allgemein formulierte Forderungen der ukrainischen Regierung ‒ allen voran von Selenskij ‒ zum Maßstab für die Hilfslieferungen genommen.
Unter aktuellen Lagebedingungen müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten unverzüglich Maßnahmen
ergreifen, um die an die Ukraine gelieferten Waffen zu ersetzen und ihr eigenes militärisches Potenzial
wieder aufzubauen sowie neue Lieferungen sicherzustellen. Daran geht kein Weg vorbei! Dafür sind Im-
porte die unmittelbarste Lösung. Die Ukraine hat zum Beispiel bereits T-72B-Panzer von der marokkani-
schen Armee erhalten, die in der Tschechischen Republik modernisiert wurden. Da die von der Europäischen Union für 2023 zugesagte Lieferung von 1 Million Granaten bis Ende März 2024 nicht in vollem Umfang gewährleistet werden kann, ist die EU ebenfalls auf Importe angewiesen. Die Tschechische Republik hat die Initiative ergriffen, 1.5 Milliarden Granaten aus bereits bekannten Quellen außerhalb der
EU zu kaufen. Etwa 20 Länder sind bereit, dafür Mittel bereitzustellen, darunter Kanada, Norwegen,
Deutschland, Belgien und Portugal.


Auch die Versorgung der eigenen nationalen Streitkräfte wird weitgehend durch Käufe ausserhalb der
Europäischen Union gelöst. So stammen nach den in der Strategie enthaltenen Daten vom Beginn des Krieges bis Juni 2023 78 % der militärischen Käufe der EU-Mitgliedstaaten aus Nicht-EU-Lieferungen, darunter 60 % aus den Vereinigten Staaten. So bezieht Polen beispielsweise M1A1 Abrams-Panzer aus den Vereinigten Staaten sowie K2-Panzer aus Südkorea, das sich zu einem wichtigen Lieferanten für EU-Staaten entwickelt. Auch K9-Haubitzen (Estland, Finnland, Polen) und K239-Mehrfachraketen-Systeme (Polen und Rumänien) werden dort gekauft. Finnland, die Tschechische Republik und Deutschland planen den Kauf von F-35-Kampfflugzeugen aus den USA, da es in Europa keine Kampfflugzeuge der fünften Generation gibt. Ein Kampfflugzeug der sechsten Generation, das sogenannte Future Combat Air System
(FCAS), wird zwar in der EU entwickelt, aber die Massenproduktion ist noch in weiter Ferne.


Die derzeitigen Produktionskapazitäten des militärisch-industriellen Komplexes der EU können den operativen Bedarf sowohl der Mitgliedstaaten als auch der Ukraine nicht vollständig decken. So hat die Bundeswehr im Mai 2023 einen Vertrag über den Kauf von 18 Leopard 2-A8-Panzern unterzeichnet. Die ersten Panzer werden 2025 ausgeliefert, das gesamte Volumen wird erst Ende 2026 zur Verfügung stehen.
Auf die Probleme bei der Produktion von Artilleriegeschossen wurde bereits oben hingewiesen. Im Oktober 2023 rief die EU das „Gesetz zur Unterstützung der Munitionsproduktion“ (ASAP) ins Leben, das darauf abzielt, die Produktion von Munition in der EU im Zeitraum von 2023 bis 2025 zu steigern. Im März 2024 wurden den betreffenden Rüstungsunternehmen Zuschüsse für die Steigerung der Produktionskapazitäten gewährt. Eine rasche Steigerung ist jedoch nicht zu erwarten.

Die Strategie und das Programm sind ehrgeizige Projekte, die darauf abzielen, die Effizienz des militärisch-industriellen Komplexes der Europäischen Union zu steigern. Dies ist eine logische Etappe in der Entwicklung der EU-Integration im militärischen Bereich. Im Rahmen der Projekte ist geplant, den Binnenhandel mit Waffen und militärischer Ausrüstung zu steigern, ein gemeinsames Beschaffungsinstrument zu entwickeln, gemeinsame Planungsprogramme für die Versorgung der Streitkräfte durchzuführen und gemeinsame militärische Forschung und Entwicklung zu unterstützen. Allerdings werden auch diese Maßnahmen nicht die Mobilisierung des militärisch-industriellen Komplexes der Europäischen Union heute und kurzfristig sicherstellen. Es wird wahrscheinlich nicht möglich sein, die Prozesse zu beschleunigen, die sich in der vorangegangenen Periode nicht so aktiv entwickelt haben, insbesondere wenn man die Widersprüche innerhalb der EU berücksichtigt, die auf den Protektionismus der Mitgliedsstaaten und die Forderungen nach dringenden Lieferungen von Waffen und militärischer Ausrüstung an die Ukraine zurückzuführen sind.


Obwohl das Potenzial der EU-Rüstungsindustrie nicht ausreicht, um den operativen Bedarf der Ukraine in vollem Umfang zu decken, verfügt die Europäische Union über die erforderlichen Instrumente, einschließlich finanzieller Mittel, um die Lieferungen fortzusetzen. Die langfristige Planung für die Integra-
tion des militärisch-industriellen Komplexes der EU und die Entwicklung seiner Produktionskapazitäten widerspiegelt die Ausrichtung der EU auf eine zunehmende Konfrontation mit Russland, das als größte Bedrohung der europäischen Sicherheit angesehen wird. Die Strategie konsolidiert den Kurs in Richtung Militarisierung der EU, insbesondere unter Berücksichtigung der Pläne von Ursula von der Leyen, den Posten eines Verteidigungskommissars zu schaffen, und von Josep Borrell, die Integration der Rüstungsindustrie voranzutreiben.

All dies sind jedoch vorerst nur Vorschläge und Projekte; ihre Umsetzung wird davon abhängen, wie
sie in die laufende langfristige Planung integriert werden können, einschließlich der Pläne, die an Exportverträge gebunden sind, sowie der Möglichkeiten für die Schaffung neuer Produktionsanlagen und die Modernisierung alter Anlagen, was erhebliche Finanzmittel erfordern wird.
An dieser Stelle ist jedoch eine weitere Konkretisierung notwendig. Die drastischen Steigerungsraten
der Ausgaben im militärischen Bereich gehen natürlich nicht daran vorbei, dass in allen EU-Nationalstaaten eine Umschichtung der Haushaltfinanzen erforderlich ist, was immer zu Lasten der Steuerzahler geht.

Aber nicht nur das. Auch wichtige und notwendige Investitionen in andere Haushaltspositionen werden reduziert und generell ist bereits zu erkennen, dass die nationalen Volkswirtschaften arg in Mitleidenschaft gezogen werden, mit der Konsequenz von sinkenden oder nicht mehr vorhanden Wachstum, Insolvenzen oder gar Verlagerung von Produktionen ins Ausland. Um diese Entwicklungen der Bevölkerung nahe zu bringen, wird rundweg als Ursache dafür der Krieg in der Ukraine benannt und darüber hinaus eine „generelle Bedrohung Westeuropas durch Putins imperialem Streben“ abgeleitet. Wie dem auch sei, aber die Strategen im Kreml haben das natürlich auch erkannt, denn offenbar führt der Krieg in der Ukraine zur Schwächung des Westens im Allgemeinen und der EU im Besonderen. Daraus leiten sich einige Besonderheiten ab.


Russland hat erkannt, dass je länger der Konflikt in der Ukraine anhält, desto mehr wird der Westen geschwächt. Und Moskau nimmt sich viel Zeit… Deshalb ist es auch eine Fehleinschätzung, wenn man das
langsame Vorrücken der russischen Armee der Stärke der ukrainischen Armee zuschreibt und meint, mit
noch mehr „Waffenlieferungen die Offensive der Russen zu bremsen oder gar einen Gegenoffensive herbeizuführen“.

Das Gegenteil ist der Fall, die Wirtschaften der EU-Staaten geraten unter massivem Druck, nur der militärisch-industrielle Komplex ist davon nicht betroffen.


Die Erhaltung und der Ausbau des militärisch-industriellen Komplexes der EU und das Engagement für diesen Entwicklungszweig werden vom Interesse der Union selbst und der einzelnen Mitgliedstaaten
abhängen. Genauso hängt dies ab von den finanziellen Möglichkeiten und möglichen gefährlichen Fehlentwicklungen der Volkswirtschaften und auch von der Leidensfähigkeit westlicher Gesellschaften, denn eine sicher spürbare Reduzierung des Wohlstandes geht damit einher.


Wir haben bisher fast ausschließlich die Waffenlieferungen des Westens an die Ukraine betrachtet
und sind damit einem tiefsitzenden westlichen Narrativ gefolgt, wonach „Geld und Waffen“ alles entscheiden. Aber die Lage auf dem ukrainischen Schlachtfeld wird noch durch ganz andere Komponenten bestimmt: qualifiziertes Personal und die Moral der kämpfenden Truppe. Und da muss man nüchtern konstatieren, dass der ukrainischen Armee nicht nur die Munition ausgeht, es mangelt auch zunehmend an Soldaten mit einer hohen Kampfbereitschaft, d.h. Moral. Und unter diesem Blickwinkel erscheint dann das große Hurra, mit dem die Freigabe der 61 Milliarden Dollar US-Militärhilfe begleitet wird, als leicht übertrieben, zumal inzwischen bekannt geworden ist, dass das Gro der Mittel nicht den Ukrainern, sondern der US-amerikanischen Waffenlobby zu Gute kommt.


Wie der ehemalige Pentagon-Berater, Oberst a.D. Douglas McGregor, am 15. April sagte, sollten die
Amerikaner verstehen, dass weder ihr Land noch die Länder Europas über Truppen verfügen, die gegen die russischen kämpfen könnten. Die Erfolge Russlands auf dem Schlachtfeld, die sich bereits in der Weiterentwicklung seiner Streitkräfte bemerkbar machen, sollten die Sinnlosigkeit einer fortgesetzten Unterstützung der Ukraine und der Entwicklung der Konfrontation seitens der Europäischen Union zumindest in Frage stellen. Ob aber jemals ein westlicher Politiker dies erkennt und bereit ist, entgegen dem Mainstream zu handeln, wird sich noch zeigen. Es bleibt spannend…

Autor: Joseph Flemming, 24.04.2024

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