Ukraine: Wenn man den Gegner nicht verstehen will und Geschichte ignoriert

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Wie entstehen Kriege?

Manchmal durch den verdrehten Wortlaut einer Botschaft, wie es Bismarck mit der Emser Depesche 1870 schaffte.
Manchmal reicht es auch Botschafter aus dem Fenster zu werfen, wie in Prag anno 1618.
Oder man ermordet einfach mal wie 1918 den Thronfolger und alles stürzt sich begeistert in einen Krieg, den alle Seiten wollten, wie 1914 in Sarajevo.
Manchmal reicht auch mangelnde Weitsicht wie 1941als die USA Japan den Ölhahn zudrehten und dieses letztlich gezwungen war anzugreifen, weil die Vorräte nur 18 Monate weit reichten.

Als der Ostblock in den 90er zusammenbrach, die Wiedervereinigung letztlich möglich wurde, war viel in der Schwebe. Es existierten zahlreiche Möglichkeiten. Russland dachte sogar 2000 daran der NATO beizutreten. Putin reichte mit seiner bemerkenswerten Rede im Bundestag Deutschland und dem Westen die Hand. – Wir wollten ihn aber nicht. Und Russland auch nicht. Warum eigentlich?

Mit der Wiedervereinigung standen auch andere Lösungen im Raum. So zum Beispiel die Idee, dass Deutschland aus der NATO austritt und neutral bleibt. Wie die Schweiz. Das sollte Russland Sicherheit geben. Denn eines wollte Russland niemals haben: die NATO als direkte Nachbarn.
Das wurde zugesagt. Deutschland blieb in der NATO und die NATO samt Mitgliedsstaaten sagten Russland zu die NATO nicht weiter in den Osten zu erweitern. Wir wissen, was passierte… Die Zusage wurde nicht eingehalten.

Als der Westen (USA) den Umsturz in der Ukraine förderte, wenn nicht gar inszenierte(!), reichte es Russland. Und dann dem Westen, der blauäugig nicht erkannte, wie sehr er vitale Interessen Russlands missachtete. Im Glauben fest, dass Sanktionen Russland schaden würden.

Das taten sie auch. Anfangs. Aber Russland ist seit 20 Jahren unter Sanktionen. Konnte sich darauf einstellen, sie umgehen und andere Partner gewinnen. Wie China, das im Westen auch als böse angesehen wird, aber von dem wir abhängig sind.
Und China hat da auch ein paar territoriale Interessen, historisch begründet, die es gern gelöst sehen will. Im chinesischen Meer und dann Taiwan als solches.

Russland hat seine territorialen Interessen klargemacht. Grenzen aufgezeigt und gewartet. Es kam nichts. Im Gegenteil. So schuf es ab 2014 Fakten, indem es die Gebiete besetzte oder besetzen ließ, die 1953 der Ukraine von Russland zugeschoben wurden.
Der Westen hatte „übersehen“, dass die Grenzen der Verwaltungsbezirke der ex-UdSSR zum Teil genauso willkürlich waren, wie die sog. Grenzen in Afrika. Nichts mit der Geschichte zu tun hatten, sondern eher mit wirtschaftlichen Überlegungen.
So wurden die jetzt umstrittenen und autonomen Separatistengebiete von Russland der Ukraine aus rein wirtschaftlichen Gründen aus Russland zugeschlagen. Andernfalls wäre die riesige Ukraine ein reiner Agrarstaat gewesen…

Mit dem Minsker Abkommen hatten die Separatistengebiete ohnehin schon eine hohe Autonomie. Die Masse der dort lebenden ethnischen Russen hatte zwei Staatsbürgerschaften. Eine von der Ukraine samt Sonderstatus und dann eine von Russland. – Rein völkerrechtlich leben dort nun also auch Russen…

Und dieser Vorfall ist nicht einmalig auf der Welt. Das läuft auch anderswo. Und gerade jetzt, unter den Augen der Welt und besonders von Europa zerbricht in Bosnien das Daytoner Abkommen samt 30 Jahren Fortschritt.
Die serbische Teilrepublik in BiH will aus der bosnischen Föderation heraus. Tut gerade alles, um es zu erreichen. Löst die serbischen Teile der Armee aus den Föderationsstreitkräften heraus und bringt die Region wieder an den Rande dessen, was Anfang der 90er zum Bürgerkrieg führte. Hören wir etwas davon?

Politik lebt von der Sprache. Von ganzen, grammatikalisch richtigen und verständlichen Sätzen mit exakter Formulierung. Manchmal auch von der richtigen Betonung. Es ist wohl das schwierigste Umfeld der Kommunikation. Wo man an Sätzen zum Teil wochenlang zusammensitzt und an ihnen arbeitet. Wo jedes Komma zählt, ein „und“ ungeahnte Stellenwerte gewinnt und ein „oder“ schlicht noch Klärungsbedarf hat.

Wo sorgsam kommuniziert wird – nicht geplappert. Wo man sich bemüht vorverfasste Texte exakt abzulesen und dabei die richtige Betonung der Passagen zu treffen, die einem im gemeinsamen Papier am wichtigsten sind. In dem Wissen, dass diese Betonung letztlich das ist, was der Gegenseite an Wichtigkeit für einen selbst vermittelt werden soll. Woran auch jeder erkennt, was der anderen Seite eigentlich wichtig war. Und sei es noch so schwammig – weil offen – formuliert. Offen nicht aus Prinzip, sondern aus Mangel an klarer Einigkeit, die man hätte zu Papier bringen können…

Den Punkt hat Putin lernen müssen und im Laufe der Jahre zur Perfektion gedrillt. Er redet nicht wirr, wie unsere Presse es gern sagt. Überhaupt reden immer nur die wirres Zeug, die unserer Presse nicht passen. Ein gefährliches Verhalten, da es den Stil der Politik mitprägt.
Besonders dann wenn Protagonisten mitmischen, deren Bildung und Wissen unterdurchschnittlich sind und das Plappern zum persönlichen Stil erhoben haben. Die noch nicht einmal in der Lage sind fünf einfache vorformulierte Sätze fehlerfrei vorzulesen. Oder gar richtig zu betonen, wie es in der Diplomatie bisher üblich war. Wo Diplomatie öffentlich zur Fressefreiheit wird. Oder mutiert…

So redet man schnell aneinander vorbei. Besonders dann, wenn altgediente Diplomaten, auf diese… neuen Teilnehmer der Weltpolitik treffen. Die verstehen das nicht als frischen Wind, der er auch nicht ist, sondern als mögliche neue Strategie sie über den Tisch zu ziehen.
Denn wo klare Verträge genauso klar gebrochen wurden, wie wirkt da tautologische Plapperei am Verhandlungstisch? Souverän? Vertrauenswürdig? Verlässlich?

Russland hat nun die Souveränität der Separatisten anerkannt. Ein paar Staaten folgten diesem Beispiel schon. Ähnlich dem Fall, als der damalige Außenminister Genscher Kroatien als souverän anerkannt hat… Oder der Kosovo als souverän anerkannt wurde, obwohl er eigentlich zu Serbien gehörte.
Oder Pakistan anerkannt wurde, nachdem es sich von Indien losgelöst hatte.
Oder gar Israel anerkannt wurde…

Und wie wollen wir es halten, wenn sich Schottland aus UK herauslöst? Belgien in zwei Teile zerbricht?

Staatsgrenzen sind nirgendwo in Stein gemeißelt. Waren es auch nie. Daher auch die hohe Kunst der Diplomatie, um das in Frieden zu lösen. Folgerichtig daraus abgleitet auch der hohe Anspruch an deren Handelnden.

Hier wurde auf ganzer Linie gepatzt. Mitunter auch von falschen Prämissen ausgegangen. Von der Idee, dass der Westen die Macht hat hier machen zu können, was ihm beliebt. Nur ist das – noch – so? Was von den angenommenen Tatsachen sind noch reale Tatsachen, was ist nur noch eingeschränkt da und was sind potemkinsche Dörfer im Hirn derer, deren Glaube größer ist als ihr Wissen?

Ende der 90er nahmen die USA an, dass Russland nie wieder auf die Beine kommen würde. Sie führten sich auch so auf. Weltweit. Machten was sie wollten. Gern auch mit Falschinformationen (Massenvernichtungswaffen im Irak). Destabilisierten ganze Regionen und schufen mitunter auch das, was Flüchtlingsströme sind und verursachen.
Man nahm China nicht ernst, ignorierte Afrika und tat so, als ob das amerikanische Zeitalter angebrochen wäre. Das neue römische Imperium…

Das war blauäugig, borniert und wenig weitblickend, wie wir gerade feststellen.

Putin wird seine Schritte abgestimmt haben. Mit denen, die im gleichen Boot sitzen wie er. Das wird uns in den nächsten Wochen sehr deutlich vor Augen geführt werden. Viele werden überrascht sein, wie weit die Unabhängigkeit derer schon reicht, die dem Dollar-Diktat so nicht weiter folgen wollen. Politisch, wirtschaftlich, finanziell oder auch militärisch.

Höchste Zeit die hohe Kunst der Diplomatie wieder zu erlernen, bevor es zu spät ist. Wieder einmal. – SIC!

P.S.: Anno 1990 war ich auf der Offizierschule in Hannover (OSH). Unser Inspektionschef, Oberstleutnant Füssel, der auch Politische Bildung und Innere Führung unterrichtete, rannte Tag für Tag durch seine vier Hörsäle und störte nach Belieben die planmäßigen Unterrichte. Ließ “Taktik” Taktik und “Logistik” Logistik sein.
Ihm war es ein Anliegen mit uns Fahnenjunkern die politische Lage zu diskutieren. „Hier passiert gerade Geschichte“ war sein Lieblingssatz.
So erfuhren wir jede diplomatische Wende, von jeder Kurve in den Verhandlungen und jedem Widerspruch. Er sezierte quasi das damalige Geschehen und diskutierte mit uns das Für-und-Wider… Und das immer wieder.
Er gab nichts vor. Er förderte die Diskussion. Zwang uns dazu nachzudenken. Weiter zu denken, als bloß JA oder NEIN zu sagen. Wir wurden den Mann nicht los.

Er hatte Recht. Uns, die wir das durchlitten haben, sind die verschiedenen Ansätze von damals noch in Erinnerung. Was alles zur Debatte stand und warum der ein oder andere Teil nicht gekommen ist.

Der Verzicht der NATO-Osterweiterung war ein zentraler Bestandteil der Verhandlungen. Der von Russland explizit gewünschte Puffer zwischen sich (und seinem aufkommenden inneren Chaos) und dem Westen.

Wir haben das zugesagt! Wer es nicht glaubt möge alte Zeitungen lesen. Die Kommentatoren aller Zeitungen(!) lassen da keinerlei Zweifel. WIR, der Westen, hat sich hier nicht an Vereinbarungen gehalten und dann auch noch Russland dämonisiert.
Ganz schlechte Voraussetzungen für neue Verhandlungen, würde OTL Füssel sagen…

Und einer derer, die OTL Füssel damals haben mitertragen müssen ist heute Brigadegeneral und Vizepräsident des MAD.

 

 

Auch:

Gastautor: Russlands militärische Macht (nordhessen-journal.de)

Gefährliches Säbelrasseln um Russland: Was will Putin eigentlich? (nordhessen-journal.de)

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