„Freiheit ist immer die Meinung der Anderen“, sagte einmal Rosa Luxemburg und wusste dabei genau, wovon sie in einer kaiseraffinen und national geprägten Umgebung sprach, denn „die Anderen“ war sie selbst. Daher wird sie gern auch immer noch als demokratische Ikone gesehen, werden Plätze nach ihr benannt und so getan, als wenn sie nicht dafür gewesen wäre, eine Art Sowjetstaat-System für Deutschland zu propagieren, dessen furchtbare Auswüchse schon zu ihrer Zeit sehr sichtbar wurden.
So wird die unkritische Reflexion eingängiger Thesen in unserer Zeit schon zur Phrase an sich. Es fällt aber oft nicht auf. Und daher wird es gern gemacht.
Neulich war zu lesen, dass ein Journalist – und nicht gerade von einem kommunalen Käseblatt – von der Presse als der Vierten Macht im Staate sprach. Trotz Nachschlagen in heimischen Regalen und Recherche im Internet fand ich aber nur die verfassungsmäßige Teilung von legislativer, judikativer und exekutiver Gewalt, deren Aufgaben und Zusammenwirkung im Grundgesetz ganz gut beschrieben ist. Dass die Presse als vierte Gewalt gilt, war dem einzig möglichen Artikel (Pressefreiheit) im GG nicht zu entnehmen. Und da sich diese Vierte Macht als Kontrollorgan der anderen drei sieht, aber durch nichts reglementiert ist als durch Sitte und Anstand, wird es recht schwer – zumindest für eine demokratische Sicht der Dinge. Damit die Akzeptanz bestehen bleibt, muss der Journalist eben diese Prämissen – Sitte und Anstand – erfüllen. Ebenso wie seine Redaktion. Und der Herausgeber.
Da dem nicht öffentlich und sofort widersprochen wurde, muss es wohl so sein. Anspruch und Realität scheinen zu stimmen.
Funktioniert das System denn?
Ob etwas funktioniert – oder nicht – zeigt immer ein Stresstest. Bei Banken hat das in den vergangenen Jahren gut funktioniert. Prämissen wurden hinterfragt, Parameter definiert und Indikatoren vereinbart. Wie würde so ein Presse-Stresstest aussehen, wenn man ihn für Demokraten und Medienvertreter einrichten wollte? OK: will man nicht, weil das der Pressefreiheit widerspricht. Sagt die Vierte Macht…
Daher ist es wohl opportun sich anzusehen, wie Demokraten und ihre selbsternannten „Bewahrer“ auf Stress reagieren. Nehmen wir das Beispiel Migration.
Völlig ungefiltert werden hier unter dem Begriff des Flüchtlings/des Migranten grundsätzlich Menschen verstanden, die vor Krieg und Verfolgung fliehen. Eine Differenzierung findet nicht statt. Doch wer das dennoch tut ist verdächtig, eben nicht demokratisch zu sein, da Demokraten des Mainstreams eben nicht solche Unterschiede wie Flüchtling, Asylsuchender, Wirtschaft- oder Klimaflüchtling oder gar Glücksritter machen und grundsätzlich das ebay-Motto „Vertrauen ist Trumpf“ bei der verteidigenden Stressreaktion zu Grunde legen.
Das schon panische Umsichschlagen bei der Begründung dessen, was andere, die die Situation differenzierter betrachten, als Risiko sehen, könnte als niedlich empfunden werden, wenn es nicht ständig eskalieren würde. Nicht nur in der Heftigkeit, sondern auch in der verbalen Entgleisung an sich. Denn es ist schon als Stresswerkzeug zu sehen, dass jeder, der nicht uneingeschränkt für ungefilterte Migration ist, automatisch ein versteckter (oder gar offensichtlicher!) Freiheits-Feind oder gar Nazi sein muss.
Der Grad dessen, wann die Nazi-Keule kommt, ist abhängig von zwei Dingen: wer der angebliche Nazi ist und wie bekannt er ist. Bei Gauland ist das einfach. Bei Herrn Müller-Schmidt-Meier in der Nachbarschaft auch. Bei Herrn Seehofer wird das schon schwierig. Bei ehemaligen Bundesverfassungsgericht-Richtern auch. Und bei ausländischen Staatsoberhäuptern und Regierungschefs erst recht.
Warum ist das so?
Das ist so, weil seit fast 30 Jahren der Mainstream immer weiter von der Mitte nach links abgerutscht ist, bis linke Ideologie zu so etwas wurde, was man eben nun neudeutsch Mainstream nennt. Unangefochten, unreflektiert und neuerdings dann auch alternativlos. Aus letzteren besteht bekanntlich eine Demokratie. Aus der Aneinanderreihung gleicher Meinungen, die nicht zu diskutiert werden brauchen, wenn sie von den Richtigen kommen.
Und nun wird öffentlich tatsächlich hinterfragt, was A) die Richtigen sind und B) was das soll? Das ist in der Betrachtung Vieler keine Demokratie. So geht das nicht (mehr)…
Und schon fühlt sich die linke, absprachenliebende und ständig weichgespülte demokratische Elite, die mit „dem Marsch durch die Institutionen“, so die Forderung der 68er-Bewegung, es in über 40 Jahre geschafft hat, ihre Sicht der Dinge – gern dann auch sprachlich kuschelweich – zu zementieren, etwas pikiert…
Und so beginnt der ungewohnte Stress.
Wie soll man „das Thema“ nur einfangen?
Es setzt Toleranz derer voraus, die das Volk ausmachen. Mit wachsendem Wohlstand ließ der Unmut gegen links nach, weil es ja allen gut ging, und Gleichgültigkeit im Angesicht der bröckelnden Werte, Moralvorstellungen und Normen einsetzte, was von links gern als Toleranz und Akzeptanz verstanden wurde und immer noch wird.
Donald Trump zeigte als erster, dass dem nicht so ist und holt Leute da ab, wo sie sich angesprochen fühlen. Allein schon sprachlich. Als Gegenpol zu all denen und dem, was so als Mainstream eingerichtet wurde und so verstanden sein wollte. Victor Orban, die Lega in Italien, selbst Emmanuel Macron schauen dem Volk „auf’s Maul“.
Gerne werden von Demokraten Objektivität, Streitkultur und eine offene Debatte eingefordert. Vom Gegner wird verlangt, Argumente anzuhören und auf Faktenbasis alles offen auszudiskutieren. Gern auch kontrovers aber immer auf einen Konsens ausgerichtet. Und wenn nicht offen auf der Bühne, dann hinter den Kulissen. Ralf Dahrendorf lässt mit seiner „Konflikttheorie“ grüssen.
Beim Thema Migration / Flüchtlinge ist das anders. Hier kann es nach Ansicht des Mainstream nur den einzig wahren moralischen Imperativ geben.
Nun ist es aber so, dass mit der Zeit offensichtlich wird, dass das Thema Migration an gewissen Ressourcen hängt, denen bestimmte Prozesse vorzulaufen haben, die nicht nur – aber auch! – eine juristische Anspruchsgrundlage bedingen, die auf ein Konglomerat von nationalen und internationalen Gesetzen, Verträgen und Abkommen basieren, und die einzuhalten sind.
„Alles nur wertlose Phrasen“ riefen sie, die selbst ernannten Gutmenschen, und hatten selbst keine funktionierenden Konzepte. Weder für die, die jetzt nicht mehr mainstreamkonform wählten, noch für alle anderen.
Das geht sogar im Demokratieverständnis einiger so weit, die Regeln von Recht und Verfassung, die eben diese Demokratie begründen, für sich aus Eigeninitiative zu ändern (Ulrike Bremermann, BAMF Bremen) oder gar mal eben das Land für offen zu erklären und jeden ungefiltert aber mit offenen ausgestreckten Armen hereinzulassen (Angela Merkel). Und ja, „nun sind sie halt da…“
Von Anfang an war eines zu beobachten: Gegner dieser Denkart fanden hier im deutschen Establishment kaum Freunde.
Die Macht der Bilder, im demokratischen Deutschland arg beäugelt und gern mit dem Anspruch verschönt, niemals Produktionen zu gestatten, die an „Die Macht des Willens“ oder an „Jud Süß“ erinnern, niemals wieder eine solche offene Hetze, wie die von Goebbels, zu tolerieren.
Goebbels‘ Rhetorik vermied man, doch mit den Bildern agierte man – offen und ohne jede Kritik oder auch nur einem Hauch von Kritikbewusstsein. Niemals tauchte ein Bild, ein Mitschnitt oder Schnappschuss auf, der Migrationsgegner in einer vorteilhaften Art zeigte. Weder als Politiker noch als Mensch. All die Bilder, die sonst rausgefiltert wurden, wurden hier wieder bewußt verwendet. Anschaulich zu sehen an Frauke Petry, Marine le Pen oder anderen Vertretern der nichtlinken Szene.
Gern hätte man auch neuerdings Bundes-Innen- und Heimatminister Horst Seehofer und seine Rhetorik dem NS-Spektrum zugeordnet, nur fehlte dazu dann doch der Mut oder die juristische Einsicht war da, dass das auch hier sehr teuer werden kann. Wenn auch eine bekannte linke Journalistin das mit Seehofer Ende Mai versucht hat und diesen damit veranlasste, den merkelschen Integrationsgipfel zu meiden. So etwas sieht man gern als demokratischen Erfolg an.
Einhellig prügelten und prügeln alle vier sog. Gewalten auf Gegner der uneingeschränkten Willkommenskultur ein, die mit Masse eben nur mal Risiken, Prämissen, Ressourcen und Gesetzeslage angeführt hatten. Natürlich waren unter den Gegnern auch Leute zu finden, die im Geschichts-Unterricht wohl besser hätten aufpassen sollen, doch die extremen Positionen sind auf beiden Seiten gut auffindbar und eigentlich für die Beurteilung der demokratischen Basiskultur nebensächlich. Einer Basiskultur, die nun deutlich Stress-Symptome zeigt, weil der Mainstream aufgrund der laufenden Ereignisse bröckelt und zunehmend deutlich wird, dass die Mahner und Kritiker – also die neuen Nazis – vielleicht doch Recht hatten… Das das alles doch nicht alternativlos und rechtens – oder gar richtig! – war.
Es ist demokratisches Recht, demokratische Freiheit und demokratisches Prinzip, in Zweifelsfällen die Auseinandersetzung zu suchen. Auch das Programm der jeweiligen demokratischen Parteilinie zu artikulieren.
Leider – so scheint es immer mehr – ist dabei jedes völlig anders geartete Gegenargument inzwischen so unmodern, dass eben das, was Demokratie ausmacht, gern mal ausgebremst wird: die Meinungsfreiheit
Für die einen ist die „moralisch richtige“ demokratische Beschränkung hier ein alternativloser neuer Wert an sich (siehe das Netzdurchdringungsgesetzt von Heiko M.), für andere ein Werteverfall der übelsten Art. Letztere sind dann die neuen Nazis, die den Mainstream nun selbst dank erlebter Stressreaktion als Nazis beschimpfen. Ein Paradoxum mit dem Potential zum Perpetuum mobile…
An dem Punkt angekommen müsste man sich eigentlich zurücklehnen und herzhaft lachen können. Tut man aber nicht. Man legt nach…
All das wurde, wenn überhaupt, nur am Rande erwähnt, die Gelegenheit verspielt, den Blödsinn einmal sinnvoll und neutral aufzuarbeiten. Doch bei über 75% eher linker Journalisten in den politischen Redaktionen von Presse und sonstigenMedien, ist dieser Ansatz auch etwas, was im Stress unterging. Die schlugen sogar als erste um sich und heizten so etwas an, was anfangs nur als sachlicher Einwand verstanden sein wollte. Inzwischen aber zur Glaubensfrage des Bürgertums für die Demokratie an sich geworden ist: kann man so mit uns umgehen?
Hier entstand ein Bruch von Werten und Normen, auch von Moral, der kaum glaubhaft machen kann, dass die „Vierte Gewalt“ im Staate tatsächlich Macht verdient.
Die täglichen Opfer dieser ungefilterten, undifferenzierten und unreflektierten Willkommenspolitik linker Ideologen können hier nicht uminterpretiert werden, zumal man anderswo seit Jahrzehnten etwas anderes einfordert.
„Jahrelang kämpften wir für die Rechte der Frauen und jetzt stecken wir sie in Säcke“, war so ein Kommentar einer Leserin in den Social Media zur Verschleierungsfrage. Warum kommt diese Frage nicht von Alice Schwarzer, Claudia Roth oder anderen Lichtgestalten des alternativlosen Mainstreams? Warum kommt nach den Mädchenmorden und Vergewaltigungen jetzt kein Wort? Warum taucht Angela Merkel ab? Kann es sein, dass der Stresstest etwas anderes bewirkt als Diskussion und Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner? Das Aussitzen wollen? Vogel-Strauss-Politik? Nachdem die Einschüchterung mit der gesellschaftlichen Ächtung und der Nazi-Keule versagte?
Und spätestens jetzt wird klar, dass unsere Demokraten ein Problem mit der Demokratie haben, wenn sie nicht ihre Sicht der Dinge widerspiegelt. Wenn die nicht zum von ihnen propagierten und verordneten Mainstream gehört und die nicht das ist, was sein soll(te). Und das auf Basis dessen, was man eben nicht mit Anstand und Sitte titulieren kann, was aber die Voraussetzung dessen war, auf was sich die Presse selbst in ihrem Anspruch der „Vierten Gewalt“ berief.
Doch wer bewacht nun die Wächter? – DAS VOLK!
Und das hat in den USA gewählt. Hat in Ungarn, Österreich, Italien und Polen Fakten geschaffen. Hat nun zwischenzeitlich in England dafür gesorgt, dass mit dem Brexit ein Schlussstrich gezogen wurde. Ob das gut ist oder nicht, ist letztlich egal, denn es war Volkes Stimme. Und wenn das Volk mehrheitlich entscheidet, dass nun C, anstatt A oder B gemacht wird, dann ist das legitim. Das Wahlvolk zeigt seine Enttäuschung und sein Unverständnis. Wenn aber offensichtlich wird, dass trotz mehrheitlicher Entscheidung ausschließlich C angegriffen wird und alle so tun, als wenn nur dumme Wähler C gewählt hätten, man es doch anders machen soll und dies ungefiltert und unwidersprochen immer wiederholt wird, dann ist etwas in der Demokratie selbst passiert, was wohl kaum als demokratisch zu bezeichnen ist.
Und genau das zeichnet die momentane Situation aus. Wo bleibt Rosa Luxemburg, die vor 100 Jahren die Freiheit der Andersdenkenden formulierte und forderte.
Und dann noch ein Gedanke. Was erwarten denn diese Art von Demokraten von Menschen, die sie einerseits so schön diffamieren, verunglimpfen und beleidigen, wenn diese Menschen nun wie beispielsweise Trump, an der Macht sind? Respekt? Nachsicht?? Achtung???
Wohl kaum. Subskription wohl eher…
Am Empfinden des Volkes vorbeiregieren zu wollen, seinen Ängsten und Nöten gegenüber blind zu sein und jeder kritischen Frage mit einem bornierten Schulterzucken auszuweichen, rächt sich auf Dauer, denn jeder hat nur EINE Stimme. Und die ist gleich viel wert. Die Summe aller Stimmen macht dann das aus, was Mehrheit ist. Und wer das nicht sieht, wird durch eben diese Mehrheit abgestraft werden. Gerade dann, wenn sie wütend, in Not und/oder bedroht ist. Oder sich nur so fühlt. Trump hat das erkannt. Clinton 2016 nicht. Und hier bei uns?
Und man sollte sich hüten, mit viel Sendungsbewusstsein anderen Völkern Vorgaben zu machen, wenn man selbst noch nicht einmal ansatzweise die Seele des eigenen Volkes oder das Prinzip der Demokratie versteht. Das ist nicht nur undemokratisch, das ist schon richtig blöd!
Der Autor Sascha Rauschenberger
Sascha Rauschenberger, geboren 1966 in Wattenscheid, ging nach dem Abitur zur Bundeswehr, wo er als Panzeraufklärer und Nachrichtenoffizier Dienst tat. Er diente, unter anderem als Reservist, in vier Auslandseinsätzen, zuletzt als Militärberater in Afghanistan.
Seit 2000 ist er als Unternehmensberater im Bereich Projektmanagement und Arbeitsorganisation (Future Work) tätig.
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