Hut ab, MT, Chapeau, Simo! – 24:23-Sieg über die Löwen!

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Was für ein Spiel, was für eine Sensation! Die MT Melsungen ringt den amtierenden deutschen Meister Rhein-Neckar Löwen mit 24:23 nieder, nachdem sie zur Halbzeit noch mit 13:15 hinten gelegen hatte. Als Matchwinner darf sich Torhüter Nebojsa Simic fühlen, der in der zweiten Spielhälfte zur Hochform auflief und reihenweise klarste Chancen vereitelte. Die von Trainer Heiko Grimm gewählte Taktik, den Gegner zeitweise mit sieben Feldspielern vor wechselnde Situationen zu stellen, ging voll auf. Eines der Überraschungsmomente: Finn Lemke als Kreisläufer. Und der 2,10-m-Riese traf prompt in wichtigen Phasen zweimal von der 6 m-Linie. Beste Torschützen vor 8.789 Zuschauern in der Mannheimer SAP Arena waren Gudjon Valur Sigurdsson (7/2) für die Löwen und Julius Kühn (9) für die MT. Mit diesem Ergebnis könnte die MT den Kampf um die Deutsche Meisterschaft entschieden haben. Denn die Gelbhemden sind nun auf einen Ausrutscher der Flensburger angewiesen. Die Nordhessen haben mit diesem Sieg Platz sieben fast sicher und empfangen zum letzten Heimspiel am Sonntag den frischgebackenen Europapokalsieger Füchse Berlin. Die Kasseler Rothenbach-Halle ist seit Monaten ausverkauft.

A. Käsler-Foto: Wie schon im Hinspiel: Die MT, hier Nebojsa Simic, jubelnd obenauf, die Löwen, hier Mads Mensah Larsen, konsterniert am Boden.

Schon zu Beginn wartete die MT mit einer überraschenden Angriffsformation auf: Statt auf Rechtsaußen Arjan Haenen für den verletzten Tobias Reichmann einzusetzen, bot Heiko Grimm dort mit Marino Maric einen Kreisläufer auf. Der hatte die Aufgabe, neben Felix Danner als zweiter Mann in die Nahwurfzone überzugehen, um dort die Löwen-Abwehrspieler zu beschäftigen. Ganz gelingen wollte dies zunächst nicht. Denn einen vertändelten Ball nutze Patrick Groetzki zur 1:0-Führung für die Hausherren. Die die MT nach einer frühen Zeitstrafe gegen Kim Ekdahl du Rietz in Person von Julius Kühn egalisieren konnte.

Besonders auffällig: Die MT spielte aufreizend bedächtig nach vorne, suchte erst gar nicht nach schnellen Gegenstoßmöglichkeiten, sondern baute fast behäbig den Positionsangriff auf. Auch die SKY-Kommentatoren Markus Götz und Stefan Kretzschmar konnten ihr Erstaunen darüber nicht verbergen. Die Antwort gab nach dem Spiel Heiko Grimm: “Ein Teil unseres Plans bestand darin, das Tempo extrem zu verschleppen um den Gegner, der eigentlich ein schnelles Spiel gewohnt ist, regelrecht zu nerven”, so der MT-Trainer.

So blieben die Gäste den Gelbhemden im weiteren Verlauf auf den Fersen, auch wenn die in der 8. Minute durch einen Treffer von Kreisläufer Hendrik Pekeler erstmalig mit zwei Toren in Führung gingen (5:3). Kurz darauf musste Heiko Grimm ungeplant reagieren: Felix Danner war offenbar umgeknickt und konnte nicht mehr weiterspielen, für ihn brachte er Johannes Golla. Das Prinzip mit zwei Kreisläufern, in dem Fall ausser Golla noch Marino Maric, wurde beibehalten. Letztgenannter schaffte nach mustergültigem Anspiel von Michael Müller den 6:5-Anschluss. Und als Jeffrey Boomhouwer, der zwischenzeitlich Michael Allendorf auf Linksaußen abgelöst hatte, zum 6:6 traf, war alles wieder offen (15).

Den Löwen fehlte bis dahin der gewohnte Rückhalt auf der Torhüterposition. Ex-MT’ler Mikael Appelgren hatte nicht gut ins Spiel gefunden und musste einige eigentlich haltbare Bälle passieren lassen. So auch den Ausgleichstreffer von Julius Kühn zum 7:7 (17.).    

In der Folge operierte die MT mit einem siebten Feldspieler, Nebojsa Simic verließ jeweils seinen Kasten beim Angriff seiner Mannschaft. Dieses Konzept, auch wieder Teil des Plans von Heiko Grimm, fruchtete indes nicht. Statt den Gegner zu verwirren, schienen eher die MT-Cracks mit dieser Situation Schwierigkeiten zu haben. Das spielte den Löwen in die Karten. Die starteten einen 3:0-Lauf und man musste aus Melsunger Sicht befürchten, dass sie von nun an das Spiel mehr und mehr auf ihre Seite holen würden (10:7, 21.). Zumal sich auch Mikael Appelgren im Tor jetzt steigerte. 

Die Gastgeber bestätigten auch in den nächsten Minuten diesen Eindruck. Julius Kühn verkürzte zwar zum 10:8, aber prompt antworteten die Löwen über Linksaußen Gudjon Valur Sigurdsson und Kreisläufer Hendrik Pekeler, der Nebojsa Simic mit einem gefühlvollen Heber überwand (12:8, 24.). Keine Frage, der amtierende Meister wurde jetzt immer mehr seiner Favoritenrolle gerecht und behauptete weiter den Vorsprung.

Dass der aber kein Ruhekissen war, zeigte sich in der Schlussphase der ersten Halbzeit. Eben noch mit 13:9 geführt, sahen sich die Kraichgauer plötzlich einer aufbäumenden MT gegenüber. Johannes Golla gab mit seinem Tor zum 13:10 das Signal. Und jetzt funktionierte auch die Idee mit dem jeweils siebten Feldspieler. Denn aus den Überzahlsituationen schlugen die Gäste Kapital – erst durch Jeffrey Boomhouwer, danach durch Arjan Haenen und dann durch Julius Kühn (14:13). Zumindest mit einer Zweitoreführung konnte die Hausherren dann deshalb in die Halbzeitpause gehen, weil Sigurdsson einen Strafwurf verwandelte. 

Mit Beginn der zweiten Spielhälfte zog die MT das Tempo deutlich an, spielte schneller nach vorne und auch der Positionsangriff nahm an Fahrt auf. In der Abwehr überraschte sie mit der Hereinnahme von Finn Lemke, dessen Einsatz tags zuvor noch mit einem Fragezeichen versehen war. Die Mannschaft wirkte gefestigt, spielte weiterhin sehr diszipliniert und mit wenig technischen Fehlern und blieb so den Löwen auf der Spur. Die meisten Zuschauer in der Halle und auch an den TV-Geräten warteten wohl darauf, dass sich der Favorit mit fortschreitender Dauer deutlicher absetzen würde. Schließlich stand für ihn praktisch die Entscheidung über die nächste deutsche Meisterschaft  auf dem Spiel.

Aber das passierte nicht. Die Mannschaft von Trainer Nicolaj Jacobsen wirkte irgendwie gehemmt, der Druck schien sie eher zu lähmen als zu beflügeln. Auf der anderen Seite begann sich etwa ab Mitte der zweiten Halbzeit die Beharrlichkeit der MT auszuzahlen, die Lauerstellung lange behauptet zu haben. Zwar stellte Alexander Petterson zunächst auf 21:18 (44.) und von den Rotweissen scheiterten erst Kühn, danach Golla und dann auch noch Haenen an Appelgren, aber dann trifft Kapitän?Michael Müller und leitet damit einen lang gezogenen Endspurt ein. Zweimal ist Julius Kühn erfolgreich und schafft damit zum ersten mal nach dem 7:7 wieder den Ausgleich (21:21, 51.). Danach scheitert der Goalgetter aussichtsreich am inzwischen eingewechselten Andreas Palicka.

Entscheidend in dieser Phase war, dass Nebojsa Simic endgültig zur Höchstform auflief und klarste Chancen der Gelbhemden vereitelte. Spekatukälr etwa, als er im ersten Angriff nach dem Timeout der Löwen erst Kreisläufer Raphael Baena einen eigentlich todsicheren Ball abkaufte und auch noch gleich den Nachwurf des völlig freistehenden Sigurdsson von Linksaussen parierte.

Nachdem  Baenas dann doch getroffen hatte, besorgte den erneuten Ausgleich sowie die erste Führung für die nun immer stärker aufkommende MT ausgerechnet der Abwehrchef. Und dann auch noch aus der Nahwurfzone: Finn Lemke agierte schon seit einigen Minuten als zweiter Kreisläufer, wurde dann in zwei aufeinander folgenden Angriffen jeweils von Lasse Mikkelsen, der als Regisseur die Position mit Julius Kühn getauscht hatte, quasi in der 2. Etage angespielt, und lochte gekonnt ein. In dem Moment zeigte die Hallenuhr 57:46 gespielte Minuten.

Nur 23 Sekunden später behielt Sigurdsson von Linksaussen die Nerven und egalisierte.  Aber Melsungen antwortete prompt, in dem Fall durch einen überraschenden Wurf von Lasse Mikkelsen. Der Spielmacher konnte zu dem Zeitpunkt noch nicht ahnen, dass er damit bereits den Siegtreffer erzielt hatte. Wie konsterniert die Löwen anschließend waren, zeigte sich im Ballverlust kurz nach Mittelanwurf. Die MT schlug daraus aber kein Kapital. Musste sie auch nicht mehr, denn der letzte Wurf von Hendrik Pekeler aufs verwaiste MT-Gehäuse wurde von Johannes Golla geblockt. Die Sensation war perfekt!

Stimmen zum Spiel:

Nikolaj Jacobsen: Wir standen in der Abwehr eigentlich ganz gut, haben die MT bei 24 Toren gehalten. Unser Problem war der Angriff. Als wir Mitte der zweiten Halbzeit mit drei Toren weg waren, hatten wir mehrere Chancen, den Vorsprung zu vergrößern. Die haben wir aber nicht genutzt, denn die MT hatte einen Simic im Tor. Meine Mannschaft hat alles gegeben, ich kann ihr keinen Vorwurf machen. Nun haben wir es nicht mehr in eigener Hand, Meister zu werden. Wir müssen trotzdem den Kopf wieder hochkriegen und uns gut auf die beiden letzten Spiele vorbereiten.

Heiko Grimm: Unser Plan ist aufgegangen. Wir wollten das Spiel in vier taktische Abschnitte à 15 Minuten aufteilen und haben uns dazu jeweils etwas überlegt. Im ersten Abschnitt  zum Beispiel wollten wir bewusst das Tempo verschleppen, um den Gegner, der es ansonsten gewohnt ist schnell zu spielen, zu nerven. Das sieht nicht schön aus, erfüllte aber in diesem Fall seinen Zweck. Ein weiteres Mittel war der siebte Feldspieler. Wir haben dies schon seit Beginn der Woche im Training geübt. Aber: Ungewöhnliche Dinge kann man nur in einer bestimmten Konstellation anwenden. Wenn die Rhein-Neckar Löwen etwa nicht so unter Druck gestanden hätten, hätte womöglich vieles von dem, was wir uns zurecht gelegt hatten, nicht funktioniert. Am meisten hat mich gefreut, dass heute eine wirkliche Mannschaft auf dem Feld stand, die noch dazu sehr diszipliniert gespielt hat. Natürlich haben wir uns alle sehr über diesen Erfolg gefreut, aber ohne das lauthals in der Kabine zu feiern. Ich finde, man darf auch nach solchen Siegen gegen eine große Mannschaft nicht den Respekt vor dem Gegner verlieren und sollte sich lieber etwas in Demut üben. Jetzt freuen wir uns auf das nächste Highlight, unser Heimspiel in der ausverkaufter Rothenbach-Halle gegen Berlin.

Statistik

Rhein-Neckar Löwen: Appelgren (9 Paraden), Palicka (2 P.) – Schmid, Bliznac, Sigurdsson 7/2, Radivojevic, Baena 3, Tollbring, Mensah Larsen 1, Pekeler 3, Groetzki 3, Reinkind, Taleski, Petersson 4, Ekdahl du Rietz 2 – Trainer: Nikolaj Jacobsen.

MT Melsungen: Simic (14 Paraden), Sjöstrand (n. e.) – Maric 2, Kühn 9, Lemke 2, Golla 2, Mikkelsen 1, Danner, P. Müller, Boomhouwer 2, Schneider 1, Allendorf, M. Müller 3, Haenen 2 – Trainer Heiko Grimm.

Schiedsrichter: Robert Schulze (Magdeburg) / Tobias Tönnies (Magdeburg)

Zeitstrafen: 4 – 6 Minuten (du Rietz, Mensah Larsen –  Kühn, Lemke, Langhans)

Strafwürfe: 2/2 – 0/0

Zuschauer: 8.789, SAP Arena Mannheim

Das nächste Spiel:
So., 27.05.18, 12:30 Uhr: MT Melsungen – Füchse Berlin, Rothenbach-Halle Kassel (ausverkauft)

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