Sascha Rauschenberger
(Kommentar)
„Seitdem der Krieg in der Ukraine zu immer heftiger geführten Kämpfen an der Front führt, der
kollektive Westen die Ukraine mit schweren Waffen überschüttet und Russland mit dem Einsatz von
zusätzlichen Soldaten versucht eine Wende herbeizuführen, hört man immer öfter ‒ wohlgemerkt von
allen mehr oder weniger beteiligten Seiten ‒, dass „ein Einsatz von Atomwaffen durchaus zur Realität
werden könnte. (…)“
Wie soetwas am Beispiel von Köln aussehen könnte, wurde schon beschrieben…
Ein paar Gedanken zu einem Atomkrieg am Beispiel von Köln… – Rabenspiegel
Der Autor H. Joseph Fleming ist ein profunder Kenner Russlands, seines Militärs sowie der russischen Verteidigungspolitik und bietet gern Perspektiven an, die so im Westen nicht gern veröffentlicht werden. Wer einen Gegner bekämpfen will, oder auch mit ihm verhandeln will oder muss(!), der sollte diesen Gegner auch verstehen. Seine Ambitionen, sein Denken, seine Geschichte, seine Werte/Traditionen und seine Gefühle. Nur so ist er letztlich schnell und sicher zu schlagen. Egal ob am Verhandlungstisch oder auf dem Schlachtfeld.
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—Anfang—
Seitdem der Krieg in der Ukraine zu immer heftiger geführten Kämpfen an der Front führt, der
kollektive Westen die Ukraine mit schweren Waffen überschüttet und Russland mit dem Einsatz von
zusätzlichen Soldaten versucht, eine Wende herbeizuführen, hört man immer öfter ‒ wohlgemerkt von
allen mehr oder weniger beteiligten Seiten ‒, dass „ein Einsatz von Atomwaffen durchaus zur Realität
werden könnte“.
Vom selben Autor:
Die „Gerassimow-Doktrin“ und ihre Anwendung in der Ukraine – Rabenspiegel
Deshalb mein Vorschlag, sich dieses Thema einmal genauer anzuschauen.
Zunächst einmal ist festzustellen, dass sich die Einstellung zu Atomwaffen im Allgemeinen und zur
Möglichkeit eines Atomkrieges in den 2020er Jahren deutlich verändert hat. Dabei wird deutlich, dass
jede Aussage zum „Einsatz von Atomwaffen“ zwei grundlegenden Sichten zuzuordnen ist:
a) Atomwaffen sind eine Gefahr, machen Angst und je nach politischer Grundposition sind
die einen die Guten und die anderen die Bösen – was wechselseitig passieren kann und
b) Atomwaffen sind Realität und die Menschheit muss damit leben – es entsteht die Frage nach
dem WIE!
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In den 2020er Jahren gibt es bedeutende Veränderungen in der russischen Militärdoktrin, so dass
das Jahr 2022 wieder einmal zu einem Meilenstein oder auch Wendepunkt ‒ je nach Standpunkt ‒
geworden ist.
Wir leben jetzt möglicherweise in einer neuen Welt-Unordnung, zu der auch eine
veränderte Einstellung zum Krieg im Allgemeinen gehört. Ein „grösserer Krieg“ steht
wahrscheinlich wieder auf der Liste möglicher Optionen zur Lösung internationaler
Streitigkeiten, so dass die Diskussion über einen Nuklearkonflikt äusserst relevant wird und über
spekulative Betrachtungen hinaus „schleichend“ zur Realität werden kann.
Auch die äusseren und politischen Rahmenbedingungen haben sich geändert. Die dreissigjährige
Abwesenheit des Ausbruchs eines grossen Krieges hat die Angst vor einem solchen in den Köpfen der
aktiven Politiker allmählich zerstreut. Ich meine, dass es sich dabei um eine „Kompetenzkrise“
handelt, die unmittelbar mit einer Abnahme der Professionalität der Entscheidungsträger
verbunden ist.
Heute empfinden junge Politiker und ihre Berater rationales und interessenbasiertes Handeln, wie es die alten Politiker in Krisen uns vorgemacht haben, nicht mehr als adäquat. Es passt nicht zu ihren Vorstellungen und politisch-ideologischen Grundhaltungen.
Der Einfachheit halber gestalten sie ihre Entscheidungen wertebasiert. Die deutsche Aussenministerin
und die EU-Chefin machen es uns regelmässig vor. Aber das soll hier nicht vertieft werden.
Wenn wir von einem hypothetischen nuklearen Konfliktszenario sprechen, sind wir gezwungen,
drei Szenarien in Betracht zu ziehen.
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Das erste ist das klassische Szenario, bei dem Atomwaffen gegen Städte oder strategische Ziele eingesetzt werden ‒ so wie in Hiroshima und Nagasaki.
Die zweite Option ist der Einsatz von Kernwaffen als Element der Kriegsführung in Form von taktischen Kernwaffen.
Die dritte Art des Nuklearkonflikts wird von einigen Experten nicht als direkter Atomkrieg wahrgenommen, könnte aber
zu einem solchen führen.
Es handelt sich um den Einsatz „radiologischer Waffen“, sei es eine schmutzige Bombe oder die Freisetzung grosser Mengen an hochradioaktiven Material, ausgelöst durch einen Angriff auf ein Kernkraftwerk.
Will man das Thema „Atomwaffen“ heute aktuell betrachten, so gehören auch hochpräzise
Trägersysteme von Atomwaffen und taktischen Atomwaffen dazu. Erst beide Komponenten erlauben es,
sie nicht nur zur Bombardierung von Städten einzusetzen.
Hinzu kommt, dass Atomwaffen nach und nach durch automatisierte Kampfsysteme, zu denen nicht nur Drohnen gehören, von der Spitze des Waffenarsenals verdrängt werden. Die relativ billigen Drohnen werden es ermöglichen, militärische Fähigkeiten direkt gegen das menschliche Potenzial des Feindes einzusetzen. Daraus ergibt sich aber
auch eine meist nicht beachtete Notwendigkeit, nämlich die Bedeutung eines Faktors wie der elektromagnetischen Strahlung von Nuklearwaffen, die es ermöglicht, „Drohnen im Kriegsgebieten zu stören und auszuschalten“.
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Aus dem Gesagten folgt eine höchst aktuelle Schlussfolgerung. Während früher jeder Einsatz
von Kernwaffen tabu war, ist der Einsatz ihrer taktischen Varianten, die direkt auf militärische
Ziele ausgerichtet sind, heute durchaus diskutabel.
Nur Optionen, die eine Gegenwertstrategie ‒ im Sinne von Gegenreaktionen des Feindes ‒ beinhalten, bleiben tabu. Zu solchen Optionen gehören ein direkter Angriff auf grosse Städte oder die Detonation einer thermonuklearen Waffe in grosser Höhe, die 90 % der zivilen Elektronik ausschalten kann. Im weiteren Sinne geht es auch um den Einsatz von
Kernwaffen, die in US-amerikanischen Medien als „Bloody Nose“ bezeichnet werden.
Darunter wird der Einsatz ultrakleiner atomarer Sprengladungen und ultrapräziser konventioneller Munition
verstanden ‒ immer verbunden mit der Hoffnung, dass ein „rational denkender Feind“ nicht mit einer
vollständigen nuklearen Gegenreaktion antwortet.
Schliesslich hat die Verbreitung der Kernenergie eine neue Art der Bedrohung geschaffen, nämlich die Explosion eines Kernkraftwerks bei einem Angriff mit konventionellen Waffen.
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Eine solche Explosion hätte zwar nicht alle Schadensfaktoren von Atomwaffen, sondern käme eher einer „schmutzigen Bombe“ gleich, aber die Auswirkungen sind vergleichbar, insbesondere die Langzeitfolgen.
In Anbetracht der Tatsache, dass das kontaminierte Gebiet für lange Zeit „unnutzbar und schwer betretbar“ wäre ‒ ganz zu schweigen von den Auswirkungen auf den politisch-moralischen Zustand des Gegners aufgrund der Strahlengefahr ‒ könnte eine schmutzige Bombe durchaus auch als Element einer Gegenwertstrategie angesehen werden.
Würde eine der kriegsführenden Seiten über Kernkraftwerke verfügen, so hätte sie auch leicht Zugang zu dem hochradioaktiven Material, dessen Nutzung in „schmutzigen Bomben“ eine militärische Antwort ermöglichen würde, die eher von der unterlegenen als von der siegreichen Seite eingesetzt wird.
Grob gesagt, kann ein Land in einem totalen Krieg, wenn es erkennt, dass es nicht mehr gewinnen kann, sich entscheiden, „sehenden Auges in den Untergang“ zu marschieren, indem es seinem Gegner die Besetzung der eroberten Gebiete so schwer wie möglich macht.
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Man muss sich aber darüber im Klaren sein, dass der Einsatz solcher Mittel gegen eine Atommacht zu einer nuklearen Antwort und dem Ausbruch eines umfassenden Atomkriegs führen kann und ist daher nach Ansicht des Autors ein plausibles Nullsummenspiel.
Schauen wir kurz in die Vergangenheit. Modelle der nuklearen Abrüstung oder der nuklearen Abschreckung haben die beiden Seiten, Sowjetunion / Russland und die USA, an den Verhandlungstisch geführt, wobei die französischen und britischen Nuklearkapazitäten immer als Ergänzung zu den amerikanischen verstanden wurden. Im neuen Jahrhundert ändert sich die Situation:
1. China wird die führende Atommacht werden und seine Kapazität auf das Niveau der
beiden letztgenannten Länder erhöhen;
2. darf man die „kleineren Atommächte“ nicht ignorieren.
Einige dieser Atommächte sind bereits heute in der Lage, mit den „grossen Fünf“ zu konkurrieren. Ein russischer
Militärexperte, Chrustaljow, stellt in diesem Zusammenhang fest:
„Was die maximale Sprengkraft betrifft, die bei unterirdischen Tests erreicht wird, so liegen nicht nur Delhi und Islamabad, sondern auch Paris und London bei diesem Parameter hinter Pjöngjang zurück.“
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Wir müssen also feststellen, dass heute die Architektur der nuklearen Abschreckung immer komplexer wird und mehr als nur bipolare Optionen umfasst.
Natürlich funktionieren in einer solchen Situation die klassischen Modelle der Abschreckung nicht, sowohl wegen der grossen Zahl der Teilnehmer als auch wegen der unterschiedlichen Fähigkeiten der Beteiligten. Nur wenn der Unterschied gross ist, sind minimale und verlässliche Abschreckungsoptionen realistisch und ausreichend.
Minimale Abschreckung setzt voraus, dass der Feind über ein gewisses Mass an Atomwaffen verfügt und dass er versuchen könnte, einen Vergeltungsschlag zu führen, wobei das Schlüsselwort „versuchen“ lautet. Die Wahrscheinlichkeit ist zwar gering, muss aber dennoch berücksichtigt werden.
An diesem Punkt wird die abschreckende Nation verwundbar, denn unter bestimmten politischen Umständen könnte der Angreifer einen Präventivschlag als „das kleinere Übel“ betrachten.
Daher muss das Potenzial für einen Vergeltungsschlag erhöht werden, und der nächste Schritt ist eine glaubwürdige Abschreckung, bei der die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Reaktion so weit erhöht wird, dass sie nicht ignoriert werden kann.
Dies setzt in der Regel voraus, dass der Besitzer einer Atomwaffe bereits auch über Trägerraketen verfügt, die in der Lage sind, einen inakzeptablen Schaden anzurichten.
Darüber hinaus könnte eine schmutzige Bombe oder die Androhung eines Angriffs auf ein Kernkraftwerk ‒ insbesondere auf feindlichem Gebiet ‒ sehr wohl die Aufgabe einer minimalen oder glaubwürdigen Abschreckung erfüllen.
Auch weil ein solcher Angriff von der internationalen Gemeinschaft und deren Institutionen möglicherweise nicht als hinreichender Grund für einen Vergeltungsschlag mit Kernwaffen angesehen wird.
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Die Gefahr eines solchen Schlagabtausches wiederum stellt für die bestehenden Atomwaffenstaaten ein sehr unangenehmes Dilemma dar. Entweder muss das Atomprogramm eines potenziellen Gegners mit allen Mitteln ‒ auch mit militärischen ‒ „im Keim erstickt“ werden.
Dabei besteht die Gefahr, dass man nicht nur einen „schlechten Ruf“ riskiert, sondern auch in einen militärischen Konflikt verwickelt werden kann, der von der Logik des Präventivschlags bestimmt wird. Oder man gerät in eine Situation, in der eine militärische Auseinandersetzung ‒ ein Krieg ‒ eine Kapitulation vor den Forderungen des Gegners bedeutet, die ebenso wenig akzeptabel sein kann.
Nun versuchen wir, kurz- bis mittelfristige Szenarien für nukleare Konflikte zu skizzieren, etwa bis zum Jahr 2025. Dabei lassen wir bewusst die Geschichten von Falschmeldungen aussen vor.
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Ein Konflikt in Form eines umfassenden Krieges zwischen den Atommächten erscheint im Vergleich zu den anderen Optionen am unwahrscheinlichsten, da er ein höheres Mass an Eskalation erfordert. Solch ein Konflikt zwischen den atomaren G5-Staaten ‒ USA, China, Russland, Frankreich und Grossbritannien ‒ kann sich weiterentwickeln, je nach den Umständen, die ihn ausgelöst haben.
So könnte beispielsweise ein amerikanisch-chinesischer Krieg die Folge der US-Hilfe für Taipeh sein. Das setzt voraus, dass die Duldung des taiwanesischen Unabhängigkeitskurses durch die USA auf Seiten Chinas zu „nicht-friedlichen Massnahmen zur Verhinderung einer Abspaltung“ führt.
In diesem Fall ist eine direkte Eskalation jedoch nur dann wahrscheinlich, wenn die US-Truppen, die Taiwan unterstützen, direkt unter Beschuss geraten.
Ein weiteres unangenehmes Szenario, das zu einer direkten Konfrontation führen könnte, wäre ein chinesischer Angriff auf Taiwan, der durch die Stationierung amerikanischer militärischer Kapazitäten auf der Insel ausgelöst wird. Die Entsendung amerikanischer Truppen nach Taiwan ist eine der „roten Linien“, die von chinesischer Seite auf Expertenebene genannt werden.
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Das Pentagon ist wie immer nicht der Ansicht, dass eine solche Stationierung amerikanischer Streitkräfte als eindeutige
Überschreitung von „roten Linie“ zu verstehen ist, da die Anwesenheit amerikanischer Militärberater auf der Insel offiziell anerkannt wurde.
Die Taiwanesen selbst betonten jedoch zum Zeitpunkt der Anerkennung, dass es sich nicht um eine ständige Garnison oder Militärbasis handele. Gleichzeitig erwägen die Amerikaner und ihre Verbündeten die Möglichkeit, Raketenabwehrsysteme, Kurz- und Mittelstreckenraketen und Atomwaffen in der Region zu stationieren, was der Logik einer „Abschreckung“ Chinas entspricht.
Die Idee, amerikanische Atomwaffen in Japan zu stationieren, wurde vom ehemaligen Premierminister Shinzo Abe kurz vor seinem Tod geäussert. Da Taiwan während des Kalten Krieges als „unsinkbarer Flugzeugträger“ der USA vor der chinesischen Küste galt, ist nicht auszuschliessen, dass Washington und/oder Taipeh irgendwann auf die Idee kommen, Raketen, Raketenabwehrraketen oder sogar atomare Sprengköpfe auf Japan zu stationieren. Eine Wiederholung einer fast wortwörtlichen Analogie zur Kubakrise, und zwar in einer viel gefährlicheren Version, wäre unvermeidlich.
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(Anm. d. Red.: Die USA eröffnen die seit Jahrzehnten geschlossenen Basen auf Guam (HIER) wieder und haben so die Möglichkeit der Stationierung von nuklearen Waffensystemen OHNE die Zustimmung einer anderen Nationen direkt in Chinas Interessenbereich.
Das kann als Reaktion darauf verstanden werden, dass China und Palau ein Stationierungsabkommen unterzeichnet haben, was eine chinesische Basis in der Mitte des Pazifiks möglich macht.)
Die zweite Art von Konflikten, bei denen ausschliesslich taktische Atomwaffen zum Einsatz kommen, setzt einen konventionellen Krieg voraus.
Erst ab einem bestimmten Zeitpunkt kommen taktische Kernwaffen zum Einsatz, nämlich dann, wenn dieser konventionelle Krieg eine Eskalationsstufe erreicht hat, wo eine der Konfliktparteien bereit ist, die „Büchse der Pandora“ zu öffnen.
Das bedeutet, dass ein Nuklearkonflikt dieses Typs erstens einen grossen Krieg und zweitens eine Situation an der Front voraussetzt, in der Probleme nur noch mit Hilfe von taktischen Atomwaffen gelöst werden können.
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Aus Sicht des Autors sind folgende Optionen für einen Atomwaffeneinsatz die wahrscheinlichsten:
1. Die erste ist der bereits erwähnte Einsatz einer „schmutzigen Bombe“ oder anderer Formen eines radiologischen Angriffs, der eine Reaktion einer Atommacht provozieren könnte.
Dabei könnte es sich entweder um den Einsatz radiologischer Waffen als Teil einer Taktik der verbrannten Erde durch die unterlegene Seite handeln oder um eine Situation, in der der Besitzer einer „schmutzigen Bombe“ einen Nachbarn bedroht, in der Erwartung, dass die internationale Gemeinschaft diesem nicht erlaubt, angemessen zu reagieren.
2. Die zweite Option lässt sich als „erfolgloser Versuch, ein Schwellenland in seiner Wiege zu ersticken“ beschreiben. Entweder war die Atommacht gezwungen, einen Präventivschlag zu führen, auch unter Einsatz seiner eigenen Nuklearwaffen oder bei dem Versuch dem Feind mit konventionellen Waffen zu begegnen, wurde dessen Verteidigungsfähigkeit unterschätzt und eine minimale oder glaubwürdige Abschreckung zeigte keine Wirkung. Gleichzeitig ist ein Präventivschlag mit Atomwaffen gerade dann sehr wahrscheinlich, wenn sich das Schwellenland im Fenster der Verwundbarkeit zwischen minimaler und glaubwürdiger Abschreckung befindet, so dass ein massiver Präventivschlag die Möglichkeit jeder Form von nuklearer Antwort ausschliessen sollte. Angesichts der Anzahl der Schwellenländer haben solche Szenarien heute leider eine recht grosse geografische Reichweite.
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Diese Szenarien haben eine weitere sehr unangenehme Folge. Wenn ein Präventivschlag gegen ein Land geführt wird, das gross genug ist, um seine Fähigkeiten nur teilweise auszuschalten, während das gesamte politische System weiter funktioniert, steigt die Entschlossenheit der Regierung, der Eliten und der Öffentlichkeit, sich Atomwaffen oder nukleare Verbündete zu beschaffen.
In Verbindung mit dem Faktor Revanchismus und Hass, der durch die militärische Auseinandersetzung gewachsen ist, wird jeder Waffenstillstand nicht als Frieden, sondern als rein temporärer Waffenstillstand angesehen werden.
Dadurch entsteht die Gelegenheit, eine „neue Runde“ einzuläuten, bei der man bereits in der Lage sein muss,
atomare Waffen ‒ welcher Art auch immer ‒ einzusetzen.
Die Situation, in der die alten Regeln nicht mehr funktionieren und die neuen noch nicht ausgearbeitet sind, bringt eine Reihe von Staats- und Regierungschefs auf die Idee, dass der beste Weg zur Konfrontation mit einer Atommacht oder zur Erlangung von Souveränität darin besteht, eigene Atomwaffen zu entwickeln (Anm.: z.B. der Iran).
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Jetzt sind wir gezwungen, den Konflikt in der Ukraine zu betrachten, der auf einer solchen Logik beruht. In seiner Rede vom 19. Februar 2022 stellte Selenskij die Ukraine vor folgende Wahl:
Entweder tritt sie der NATO oder einem anderen Militärbündnis bei, das ihr im Falle eines bewaffneten Konflikts durch westliche Mächte ‒ einschliesslich solcher, die über Atomwaffen verfügen ‒ auf ihrer Seite Garantien bietet, oder die Ukraine tritt aus dem Budapester Memorandum bzw. aus dem Atomwaffensperrvertrag aus, was automatisch den Beginn eines eigenen, ukrainischen Atomprogramms bedeutet.
Da die Ukraine über die Technologie zur Herstellung von waffenfähigem Plutonium verfügt, ist es durchaus möglich, eine schmutzige Bombe herzustellen, wenn sie über die erforderliche technische Basis verfügt.
Auch Munition auf Basis von Reaktorplutonium ist theoretisch möglich.
Solche Munition wurde bereits in den 1960er Jahren und später erfolgreich hergestellt und getestet. Obwohl sie im Vergleich zu den Klassikern einen geringeren Wirkungsgrad haben, ist eine aus Reaktorplutonium hergestellte Ladung eine vollständige nukleare Ladung, vor allem, wenn man schnell eine Bombe bauen muss.
Selenskijs Rede kam nicht aus heiterem Himmel ‒ im Jahr 2021 gab es bereits mehrere ähnliche
Äusserungen, darunter die Bemerkung, dass „wenn die Ukraine eine Atommacht wäre, jeder anders mit
ihr reden würde. Die Ukraine würde anders verhandeln … sie könnte die ganze Welt erpressen.“
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Die Reaktion Moskaus dürfte daher ähnlich ausgefallen sein wie die der USA auf die Äusserungen Nordkoreas, dass „Nordkorea das Recht hat, nicht nur Atomwaffen zu besitzen, sondern jede Art von Waffen einzusetzen, einschliesslich noch leistungsfähigerer Waffen, um seine Souveränität und sein Existenzrecht gegen die ständig wachsende nukleare Bedrohung durch die USA zu verteidigen“.
Diese Bemerkungen wurden als direkter Hinweis darauf gewertet, dass der Norden die ganze Zeit über Atomwaffen entwickelt hatte und waren dann auch schlussendlich der Auslöser für die derzeitige Krise im pazifischen Raum.
Was den Einsatz einer schmutzigen Bombe durch die Ukraine anbelangt, so ist diese Option aus Sicht des Autors sehr realistisch. Es gibt die Rohstoffe, es gibt die technologische und technische Basis, und es gibt die Transportmittel, einschliesslich derer, die in der Lage sind, sie auf russisches Territorium zu bringen, zumal in der aktuellen Waffenlieferung der USA weitreichende Raketen enthalten sind.
Aber allein schon die in der ukrainischen Armee vorhandene Mittelstreckenrakete „Grom-2“ ist für solch einen Angriff auf Russland einsetzbar. Vor allem, wenn es sich nicht um ein bestimmtes Gebäude, sondern beispielsweise um einen Stausee handelt, der als Wasserquelle für eine Großstadt dient.
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Die heute in der ukrainischen Armee verfügbaren Trägermittel sind durchaus in der Lage, eine Entfernung von bis zu 500 km zurückzulegen, was es ermöglicht, nicht so sehr Moskau selbst anzugreifen, sondern die Wasserquellen, die es versorgen, wie z. B. den Stausee Mosheisk.
Aber selbst wenn die maximale Entfernung 300 km beträgt, gibt es in Zentralrussland genügend Städte, die nicht so
gut von der Raketenabwehr abgedeckt sind wie Moskau, und dennoch würde ein Angriff auf einen solchen Ort mit einer radiologischen Waffe in Russland eine ganze Reihe wirtschaftlicher und innenpolitischer Konsequenzen nach sich ziehen.
Natürlich muss man auch darüber nachdenken, ob die ukrainische Führung den politischen Willen für einen solchen Angriff hat, wenn man die Konsequenzen bedenkt. Naheliegend ist aber, dass Kiew in seinem Hass auf Russland zu mehr fähig ist, als zu solch einem Angriff. Dies gilt umso mehr, als die Ukraine das KKW Saporoschje seit langem gezielt beschiesst, und zwar auf Objekte, die radiologische Schäden verursachen können. Aber es gibt noch mehr rationale Gründe für Kiew, „nukleare Mittel“ einzusetzen.
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Erstens ist die ukrainische Elite ein gutes Beispiel für die bereits erwähnte Kompetenzkrise.
„Junge Führungspersönlichkeiten“ und unprofessionelle Politiker gewinnen oft dadurch, dass sieanerkannte Regeln brechen, ohne sich die Frage zu stellen, ob das erlaubt ist. Aber genau solches Handeln treibt sie auch oft zu Ideen, die ein professioneller Politiker als verrückt bezeichnenwürde.
So äusserte sich Selenskij erst kürzlich, dass er es
„begrüssen würde, wenn die NATO Atomwaffen auf Russland abwirft. Aber wichtig wäre es in diesem Fall, dass die Möglichkeit eliminiert wird, dass Putin mit nuklearen Waffen antworten kann.“
Man könnte darüber schmunzeln, aber leider zeigt es die Gefahr, die aktuell die Eskalationsspirale im Ukrainekrieg weiter befeuert.
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Zweitens beinhaltet die Logik des totalen Krieges, dass gegen einen überlegenen Feind jedes Mittel recht ist, auch solche, die vom Standpunkt der Friedensethik aus inakzeptabel sind. Dazu zählt zweifelsohne der Einsatz der Taktik der verbrannten Erde. In solch ein Szenario passen die radiologischen Waffen perfekt.
Wie aus den Äusserungen Oleksij Arestowitschs, vormals der Berater des ukrainischen Präsidenten, aus dem Jahr 2019 hervorgeht, war für zumindest einen Teil der ukrainischen Elite der akzeptable Preis für die ukrainische Unabhängigkeit ein grösserer Krieg mit Russland, trotz schwerer Verluste in der Bevölkerung, einschliesslich der Zivilbevölkerung.
Zumindest hat Arestowitsch selbst ausdrücklich geäussert, dass er „unterscheidet zwischen einer schrittweisen Besetzung der Ukraine durch Russland innerhalb von 10 bis 12 Jahren und einem NATO-Beitritt, der die ukrainische
Unabhängigkeit garantiert. Dafür wäre aber ein grosser Krieg mit Russland noch vor dem Beitritt zum Militärblock unvermeidlich.“
Das aus dem Munde eines ukrainischen Politikers im Jahre 2019!
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Dann könnte seine Logik funktionieren: „Selbst wenn wir den Krieg jetzt verlieren, müssen wir dafür sorgen, dass unsere Nachfolger weiter für die Unabhängigkeit der Ukraine kämpfen können und das erfordert erstens, es Russland so schwer wie möglich zu machen, ukrainisches Territorium zu behalten, und zweitens, den Hass zwischen den Völkern der beiden Länder weiter zu schüren.“
Unter diesem Gesichtspunkt ist die Anwendung der oben beschriebenen nuklearen Instrumente durchaus nachvollziehbar.
Ein weiterer Aspekt, der nicht vergessen werden darf. Es geht die unterlegene Seite in solchen Kriegen oft von der eigentlichen militärischen Aktion zu terroristischen Handlungen über, die nicht so sehr darauf abzielen, den Verlauf der militärischen Auseinandersetzung selbst zu verändern, sondern vielmehr darauf, die Situation durch einen Schlag gegen die politische und moralische Verfassung der gegnerischen Bevölkerung zu verändern (Anm: z.B. auch die Taliban).
Ein gutes Beispiel dafür waren die Terrorakte in Russland im Jahr 2004, als versucht wurde, die Niederlage auf dem Schlachtfeld durch tschetschenischen Terroristen zu kompensieren, darunter so radikale wie in Beslan.
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In diesem Zusammenhang erscheint ein terroristischer Anschlag mit einer Art Massenvernichtungswaffe allein aufgrund der Existenz einer solchen Möglichkeit logisch.
Es ist zu hoffen, dass die weitere Entwicklung des Ukraine-Konfliktes weder regional noch global zum Einsatz von Atomwaffen führen wird.
Ausschliessen kann man solch ein Szenario aufgrund der gegenwärtigen Lage leider nicht.
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