Bundeswehr: Transall auf Abschiedstour – der Blick geht hinter die Wolken

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Bundeswehr/LTG63: Transall auf Abschiedstour

Zur Zeit fliegt die letzte “Trall” wie sie liebevoll genannt wird ihre Abschiedstour über Deutschland. In Sonderlackierung und oft von anderen Fliegern begleitet. Gerade eben kreiste sie um Köln-Wahn herum, von wo sie recht häufig abgehoben hat.

Die Geschichte der C-160 Translall ist gut dokumentiert (HIER). Fast 70 Jahre Dienst und Entwicklungsgeschichte haben ihre Spuren im Netz hinterlassen. Sie war ein gewohnter Anblick am Himmel und in den Einsätzen der Bundeswehr weltweit.

 

 

Sehr gutes Video HIER.

 

Zusammen mit der amerikanischen C-130 Hercules und der russischen IL-76 Candid wohl das bekannteste Transportflugzeug der Nachkriegszeit und selbst an den Mythos dessen anknüpfend was die DC-3 Dakota und die Ju-52 (Tante Ju) (HIER) an Emotionen – gerade auch hier in Deutschland –  auslösen konnten.

Und so geht der Blick bei Sichtung dieses Abschiedsfluges hinter die Wolken und die Erinnerung wird wach. Vor allem bei denen, die da mitgeflogen sind. Mitunter mitfliegen mussten.

 

Quelle. Bundeswehr/LTG63/Minnich: Innenraum vom Heck her gesehen..

OK. Der Artikel wird sentimental. Zugegeben. Gleich zu Beginn erwähnt. Denn die Truppe und dieses Flugzeug verbindet eine Art Hassliebe. Sie war kein Luxustarnsportmittel. Laut bis ohrenbetäubend. Bordservice gab es nicht (lach!!) und als Truppentransporter erinnerte die Kiste an einen Viehwagon, der aber nur vier Fenster hatte.
Ob man sich totschwitzte oder elendig erfror kam auf die Position des Sitzplatzes an. Vorn war Sauna und dann nahm die Temperatur pro Sitzplatz nach hinten hin dramatisch ab. Bis hin zu sibirischer Kälte.
Es war komisch anzusehen, wie man vorne aus den Klamotten stieg und keine zehn Meter weiter der eigene Atem frostig vor der Nase hing.
Unter solchen abenteuerlichen Bedingungen konnte so ein Flug… lang werden. Egal wie kurz er war.

 

Quelle: Bundeswehr/LTG63/Hildeman: Luftlandeübung Swift Response 2019

Ein guter Trick war nicht zuerst einzusteigen, sondern zum Schluss. Besonders  wenn es durch die vordere Seitentür ging. Der Lademeister schickte alle in den dunklen Bauch und füllte so die Plätze auf. Am Ende blieben dann die Plätze dicht bei der Tür übrig. Das waren die First-Class-Tickets. Sie lagen in der gemäßigten Klimazone. Keine Tropen und auch keine arktischen Bedingungen. UND man hatte Beinfreiheit!!!!!

So kam es dann häufig vor, dass alte Flugveteranen ganz hinten am Ende der Schlange geduldig warteten und jungen aufstrebenden Generalstabsoffizieren den Vortritt ließen. Lächelnd und “hilfsbereit”… Denn dem Lademeister war der Dienstgrad gern auch mal scheißegal. Bestenfalls Generäle wurden vor einem allzu schnellen Einstieg gehindert. Jeder andere wurde ins Laderaum-Roulette geschickt.

 

 

Quelle Bundeswehr/LTG63: Transall in AFG

Unvergessen mein Einflug von MeS nach Kabul anno 2006. Irgendwo über dem Hindukusch, kurz vor Kabul, schlug das Raketenabwehrsystem an. Thermische Täuschkörper wurden ausgestoßen und der Pilot tat sofort das, was dann einzig sinnvoll ist, wenn eine Rakete im Anflug ist. In Schleifen fliegend den Sturzflug erproben. Zwischen die Berggipfel abtauchend und die Täler suchend. Nix für schwache Nerven aber mit Achterbahnfeeling. Dumm für den gelaufen, der jetzt nicht angeschnallt war. Merke: bei Y-Tours wird sich nicht abgeschnallt!

 

 

 

Quelle: Bundeswehr/LTG63: Überwachung des Landeanflugs

Ein wirklich stattgefundener Raketenangriff auf eine Trall in AFG ist dem Autor nicht bekannt. Doch 2010 hatte ich dann ein zweites Mal so eine Aktion zu durchleben. Diesmal beim Abflug aus Kabul kurz nach dem Start. Ich hatte einen tollen Ausblick aus einem der wenigen Fenster. Die Tragfläche entlang, die dem Berghang recht nahe gekommen ist… Aber nahe ist halt nicht berührt. Und die Trall-Piloten vermochten diesem Gerät einige Kunststückchen zu entlocken. 

Und dann war da der Heimflug aus Feyzabad nach Termez (Usbekistan) über MeS als Zwischenstation anno 2010. Es ging für mich los mit einer C-130 der Spanier in Feyzabad nach MeS, das man gewöhnlich nach knapp einer Stunde erreicht.

 

Nach knapp 80 Minuten kam dann die Durchsage, dass der Luftraum über MeS gesperrt ist, und es nun ein wenig Zeit brauchen würde.
Kommt vor. In Kriegsgebieten sind Flughäfen gern auch mal unter Beschuss oder es treiben sich da Leutchen herum, die das gern tun würden. Alles OK. Fliegen in AFG ist halt kein Touriflug nach Lanzarote, Malle oder Antalya.

Quelle: Bundeswehr/LTG63/Heym – Transall auf der der Landebahn

Komisch wurde es dann, als die Spanier landeten. Ohne weitere Durchsage. Die Besatzung stieg aus und als brave Soldaten warteten wir ab was kommt.
Ich hatte gleich das Gefühl, dass ich den Geruch kenne. Der Papst erkennt Flughäfen am Geschmack, nachdem er den Boden geküsst hat. Und jeder, der schon einmal in Kabul war, erkennt den Geruch nach Scheisse wieder. Lässt sich halt nicht bessere beschreiben, sorry!
Durch fehlende Kanalisation werden Abwässer auf die Strasse geleitet. Dort verdunsten und vertrocknen sie. Werden zu Staub und dann durch den Wind verteilt. Kleben wie eine Glocke über der Stadt. Jeder, der da länger als zwei Wochen zu tun hat, hat dann minimal einmal eine Entzündung der Schleimhäute und/oder Durchfall.

 

 

Quelle: Bundeswehr/LTG63/Seidel: C-160 Transall in AFG

Ergo wussten ehemalige Kabultouristen, dass man nicht in MeS war. Dann kam ein Spanier der Bodencrew, schaute verstört in das Flugzeug wo wir Deutsche brav saßen und meinte, dass man kurz mal zwischengelandet wäre. Ginge aber gleich weiter. Stimmte soweit auch. Nach knapp 30 Minuten kam eine neue Crew, ließ die Motoren an und rollte zur Startbahn. Und dann zurück. 
Einer der vier Motoren machte Probleme. Man bot uns an nach Herat mitzufliegen und von dort dann am nächsten Morgen nach MeS weiterzufliegen. Nur flog am nächsten Morgen der Shuttle nach Termez zum Flieger nach Deutschland.
Nichts gegen die spanischen Kameraden aber in Sachen Kommunikationspolitik war das Misstrauen groß geworden und wir schauten uns ratlos an.

Ergo wurde gefragt, wer der ranghöchste Offizier wäre. Und damit war ich dann dran…

 

 

Quelle: Bundeswehr/LTG63/Mandt: Cockpit Transall

Ich entschied, dass es besser wäre unser Glück von Kabul aus zu versuchen, anstatt den militärischen Arm des spanischen Lufttransports weiter zu bemühen. Wir stiegen aus. Ohne dass diskutiert wurde. Noch nicht mal die Kameraden sagten etwas, die am nächsten Tag um 1000h von MeS los mussten, um den Flieger in Termez zu erreichen. Das sagt alles.

Wir schleppten unser Gepäck zum Terminal und ich entdeckte einen Luftwaffenkameraden, der zufällig in der Funktion war, die Flugabfertigung koordinieren zu dürfen. Ich schilderte ihm das Problem von vierzig Kameraden, die nach MeS mussten. Und das asap.

 

 

Er versprach sein Bestes zu tun. Keine zwanzig Minuten später rollte eine Transall heran, von der Startbahn umgeleitet, öffnete die Heckklappe und fing an Fracht rauszuwerfen.
Der Pilot, auch ein Oberstleutnant sagte, dass er so viele wie möglich mitnehmen würde, es aber ein Gewichtsproblem gäbe. Wir müssten alle auf die Waage.

Taten wir. Die jeweiligen Gewichte wurden akribisch aufaddiert. Und als das Ende der Schlange absehbar war und das Limit erreicht wurde, flog die nächste Palette Fracht aus der Maschine. Bis alle an Bord waren. Neben, zwischen, vor und hinter der Restfracht verteilt. Aber an Bord. Und auf dem Weg nach MeS, das wir kurz vor der Schließung des Flugfeldes erreichten. In völliger Dunkelheit. Aber der Gewissheit am nächsten Tag den Shuttleflug nach Termez zu bekommen.

Quelle: Bundeswehr/LTG63: Luftbild aus einer Transall beim Anflug auf Dakar (Senegal).

Für viele Einsatzveteranen ist der Anblick der Trall nicht nur vertraut. Fast jeder hat Erinnerungen an diese fliegenden Unbequemlichkeiten lautstarker Art. Aber jeder wusste, dass diese Flugzeuge auch dort landeten, wo sonst niemand landet.
Man wusste, das wenn immer möglich diese Flugzeuge es versuchen würden, auch unter widrigsten Bedingungen, Fracht zu liefern oder einen abzuholen.
Gerade dann, wenn es galt Verletzte oder Verwundete zu bergen, was in AFG zu den Standardoperationen gehörten. Unsere MEDIVAC-Flieger holten auch Amerikaner, Briten und Kanadier aus dem Süden und Osten ab. Dann auch unter Feuer im Landeanflug oder beim Start. Nicht wenige Flugzeuge hatten Löcher im Rumpf.

 

 

Heute flogen hier in Köln gleich zwei Tralls in enger Formation am Fenster vorbei. Und schlagartig erinnerte man sich an seine Erlebnisse. So muss es sich in den 80er auch angefühlt haben, als damalige Veteranen eine Ju-52 am Himmel sahen (Video: HIER und HIER).
Doch anders als diese “alten Tanten Ju” wird das Erfolgsmodell Transall wohl nur noch in Museen zu finden sein. Touristisch wird da außerhalb der SadoMaso-Szene kaum einer mitfliegen wollen, was so eine Nutzung unwirtschaftlich machen würde…

Das Nachfolgemodell Airbus A400M ist leistungsstärker, größer und in fast allen Dingen der Trall überlegen. Ob sie aber jemals an die durchschnittliche Zuverlässigkeit der Trall heranreichen wird, ist fraglich. Da darf man gespannt sein.

 

Bundeswehr/LTG63/Petersen: Transall im Landeanflug

Dennoch werden sich nun unsere ehemaligen Trall-Besatzungen bemühen, unsere Leute aus Kabul rauszufliegen. Gerade jetzt, während man Erinnerungen an alte Zeiten nachhängt, werden wieder unsere Transportflieger alles tun, um jeden heimzuholen. Wer es immer auch schafft die Laderampe zu erreichen wird mitgenommen werden. Dann auch ohne Waage… Notfalls bleibt ein Teil der Bordausstattung zurück.

Vielleicht sollte man auch den einen oder anderen verantwortlichen Bürokarten zurücklassen, denn so manche haben gezeigt, dass sie weniger als ein bordeigener Klappsitz Wert sind. Soviel Glück werden wir aber kaum haben. Leider!

 

 

Und ansonsten wünsche ich den Kameraden allseits einen gute Flug und immer eine Handbreit Platz zwischen Flügel und Felswand! (Scheisse war das damals knapp…)!!! – SIC!

 

Ein Dank geht ans das LTG 63 (HIER) für die freundliche Unterstützung mit Bildern! Nebenbei: Auch die Luftwaffe sucht noch Nachwuchs (Bewerbungsportal: HIER).

 

 

 

Auch:

Das Personalproblem der Bundeswehr im demographischen Wandel

Die Bundeswehr und ihre CI

Afghanistan: War es das wirklich WERT?

Evakuierungseinsätze der Bundeswehr – Kabul ist das Fanal

 

 

 

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