Strukturelle Konfrontation zwischen den USA und Russland

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Wie geht es weiter mit USA-Russland wenn die Ukraine als willfähriges Opfer nicht mehr taugt?

Fast unbemerkt vollziehen sich im Russland-Ukraine-Konflikt Veränderungen,die westliche Massenmedien möglichst verschweigen bzw. deren Bedeutung kleinschreiben. Dabei kommt dem Verhalten der USA bzgl. der Konfrontation mit Russland eine besondere Bedeutung zu. Deshalb ist es angebracht, einmal genauer zu betrachten, was im Ergebnis der US-Wahlen sich ändern könnte und was passiert, wenn der Konflikt zwischen Russland und den USA auf dem Territorium der Ukraine beendet wird. Wie also kann sich die Konfrontation USA-Russland über die Ukraine-Krise hinaus entwickeln?

Betrachten wir dazu zunächst die US-amerikanische Sicht auf die russisch-amerikanischen Beziehungen.

Vieles spricht dafür, den gegenwärtigen Stand der russisch-amerikanischen Beziehungen als eine längere Pattsituation zu betrachten. Und diese wird wahrscheinlich auch dann noch andauern, wenn die USA erkannt haben, dass die Ukraine als wichtiges Instrument ihrer Außenpolitik nicht mehr taugt.

Vielmehr werden sich die USA auf ein anderes Land konzentrieren, das bereit ist, seine Interessen zu opfern und in der Konfrontation mit Russland als Frontstaat aufzutreten.

Dies ergibt sich aus der für den US-amerikanische Machterhalt grundlegenden „Wolfowitz-Doktrin“,die ein einziges Ziel definiert:

„Unser oberstes Ziel ist, das Wiederauftreten eines neuen Rivalen auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion oder woanders zu verhindern…“

Paul Dundes Wolfowitz (* 22. Dezember 1943 in Brownsville, Brooklyn, New York City) ist ein US-amerikanischer Politiker

Regelbasierte Weltordnung

1992 ‒ als Russland im Chaos versank und China geopolitisch noch keine Rolle spielte ‒ war die USA zur alleinigen globalen Supermacht aufgestiegen. Deshalb wurde nur ein Jahr nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die „Wolfowitz-Doktrin“ formuliert, nach der kein kollektives Sicherheitssystem wie das der UN-Charta, sondern allein die USA ‒ gestützt auf ihre militärische, wirtschaftliche und technologische Übermacht ‒ die internationalen Regeln bestimmen und auch durchsetzen soll. Im Westen wird diese Tatsache als „regelbasierte Weltordnung“ plakatiert.

Daher ist es nicht verwunderlich, dass zwischen Russland und den USA nach wie vor eine grundsätzliche Kluft in Bezug auf das Verständnis, wie die Weltordnung im 21. Jahrhundert aussehen soll, besteht. Amerikanische Analysten und „Experten“ sind fest davon überzeugt, dass Russland zur westlichen Welt gehört und die Bindung an Eurasien keine große Rolle spielt. Daraus wird aber auch geschlussfolgert, dass Russland sich nach der aktuellen Krise unweigerlich im westlichen Lager wiederfinden wird. Das heißt mit anderen Worten, dass China dann der „wahre Gegner der USA“ sein wird. Diese kontraintuitiven Vorstellungen sind im amerikanischen Diskurs seit Anfang der 1990er Jahre vorherrschend ‒ „Wolfowitz-Doktrin“. Also bitte sich nicht wundern.

Die Amerikaner glauben wirklich, dass Russland keine Alternativen mehr hat und daher jedes Angebot der Vereinigten Staaten annehmen muss. Denn schließlich stellen die Vereinigten Staaten noch das wichtigste Emissionszentrum der Welt dar und werden mit dem Dollar als wichtigste Weltwährung auf lange Sicht ein wichtiger Akteur auf dem Globus bleiben. Daraus abzuleiten ist dann auch die hegemoniale Stellung der USA in jedem Winkel der Erde. Natürlich hängt auch vieles von der innenpolitischen Situation in den USA ab, die sich weltweit auswirkt.

Wie werden sich die Wahlen auswirken?

US-amerikanischen Analysten sind überzeugt, dass die Wahlen in den USA keinen wesentlichen Einfluss auf die amerikanische Haltung gegenüber Russland haben werden. Dem stimme ich zu!

Daraus folgt, dass sich die Beziehungen zwischen Moskau und Washington nach einem Regierungswechsel in den Vereinigten Staaten wohl kaum ändern werden. Für den Kreml folgt daraus, dass es sinnvoll wäre, die amerikanische Politik als unabhängige Variable in die russische mittelfristige Planung einzubeziehen. Die US-Eliten werden möglicherweise auch in Zukunft keine zuverlässigen Gesprächspartner sein. In den meisten Fällen wird Washington Russland gegenüber feindselig agieren, während es in einigen Fällen opportunistisch handelt, um Moskau zu irgendeiner Form der Interaktion zu bewegen ‒ natürlich zu ihrem eigenen Vorteil. Das Dominanzstreben der Vereinigten Staaten und ihr Versagen, andere Länder als gleichberechtigte Partner zu behandeln, bleiben bestehen. Hieraus sind auch die Schwierigkeiten zu erklären, die die USA in ihren Beziehungen zu anderen Großmächten wie China, Indien und der Türkei sowie zu einigen ihrer Verbündeten in Westeuropa haben.

Etwas anders ist die russische und die chinesische Sichtweise zu werten. China wie auch Russland geht davon aus, dass Frieden immer das Ergebnis eines Kompromisses zwischen den großen Machtzentren ist. Ohne deren gegenseitiges Einverständnis, ohne Gleichberechtigung, Respekt für die Interessen des anderen und die Einhaltung des Grundsatzes der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des anderen ist es unmöglich, Frieden zu erreichen. Das hat große Auswirkungen auf die Art und Weise, ob und wenn ja, wie der Krieg in der Ukraine beendet werden kann.

Die USA sind der Ansicht, dass der Frieden eine Selbstverständlichkeit ist und dass es keiner besonderen Anstrengungen bedarf, um ihn zu erlangen und zu erhalten. Dies führt zu paradoxen Lösungen wie der Vorstellung, dass die Welt umso friedlicher sein wird, je mehr Waffen es gibt. Daraus speist sich die US-amerikanische Überzeugung, dass die USA weltweit die volle Kontrolle haben muss.

Two Targets

Mit der militärischen Konfrontation mit Russland auf dem Territorium der Ukraine sahen und sehen die Amerikaner ein kostengünstiges Instrument, um zwei Ziele zu erreichen:

  • die Schwächung Russlands und
  • das Beenden jeglicher Versuche in Westeuropa, die strategische Autonomie gegenüber dem Einfluss der USA zu erhalten.

Die Zielerreichung wäre verbunden mit einem Erstarken des US-amerikanischen Einflusses auf den europäischen Kontinent und die Freisetzung von Kräften für einen Konfrontation mit dem neuen Gegner ‒ mit China.

In den vergangenen zwei Jahren haben die USA diese Art der Zielerreichung durch einen Krieg in der Ukraine als relativ kostengünstig angesehen.

  • In der Tat wurden die russisch-europäischen Beziehungen gestört, die Gaspipeline „Nord Stream“, die das russische und das europäische Energienetz verbindet, quasi vernichtet, die Militarisierung in Osteuropa erhielt den gewünschten Impuls und der militärisch-industrielle Komplex der USA hat einen Aufschwung erfahren, indem wirtschaftliche Aktivitäten aus Europa in die Vereinigten Staaten verlagert wurden.
  • Von dieser Entwicklung hat die amerikanische Wirtschaft profitiert, während die europäische Wirtschaft erhebliche Verluste erlitten hat, deren langfristigen Auswirkungen noch gar nicht abzuschätzen sind.

Was sind die Ziele der USA in der Ukraine-Krise bezogen auf Russland?

Sie streben ein geschwächtes Russland an, das die Kontrolle über Transport-, Material-, Wirtschafts-, Energie- und andere Ressourcen in seinem riesigen eurasischen Gebiet verloren hat. Russland soll aus den fünf führenden Weltmächten entfernt und auf eine zweitrangige strategische Position zurückgedrängt werden.

Wie hat sich nun die strategische Lage in der Ukraine entwickelt?

Die Vereinigten Staaten sind offenbar allmählich zur Einsicht gelangt, dass die Ukraine als Instrument zur Eindämmung Russlands nicht länger eine billige Option ist.

  • Die militärischen, materiellen und personellen Ressourcen der Ukraine sind nahezu erschöpft, und die Aufrechterhaltung der Lebensfähigkeit des ukrainischen Staates wird für die USA und die Europäische Union immer kostspieliger.
  • Die möglichen finanziellen Verluste der westlichen Unterstützer können in gigantische Regionen katapultiert werden. Experten gehen davon aus, dass selbst wenn die Ukraine in Jahr 2024 einen Zahlungsausfall vermeiden kann, das Risiko eines solchen Zahlungsausfalls im Jahr 2025 bei 60 % und im Jahr 2026 bei 80 % liegt. Die Verluste gehen dann zu Lasten der Steuerzahler in den Geberländern.
  • Hinzu kommt noch der Reputationsschaden für den Westen im Falle einer Niederlage der ukrainischen Armee. Vietnam und Afghanistan lassen grüßen…Im ersten Jahr des Konflikts hatten die USA alle relativen Vorteile auf ihrer Seite. Da jedoch die Kosten für die Aufrechterhaltung der Intensität des Konflikts zunahmen, verschiebt sich das Gleichgewicht zwischen Nutzen und Kosten für die Vereinigten Staaten allmählich in Richtung Letzteres.
  • Lange Zeit betrachteten die USA Russland als einen strategischen Aktivposten mit abnehmender Bedeutung. Sie warteten auf den Zeitpunkt, an dem das Land nicht mehr zu den fünf führenden Nationen gehören würde, um sich dann mit China auseinandersetzen zu können.

Warum weigerten sich die USA Ende 2021, mit Moskau zu verhandeln, drängten die Ukraine zu einer militärischen Lösung der Krise und untersagten ihr dann kategorisch, selbst mit Russland zu verhandeln?

  • Die USA waren überzeugt ‒ entsprechend ihrer strategischen Doktrin ‒ einen schnellen Sieg über Russland erringen zu können. Wie immer verließen sie sich dabei auf die materiellen Ressourcen, die Waffen, die nachrichtendienstlichen Fähigkeiten, das Satellitennetz, die Waffenlieferungen sowie auf die politische und finanzielle Unterstützung der 52 Nationen, die sie um die Ukraine geschart hatten.
  • Aber die westlichen Staaten haben weder die Fähigkeiten Russlands noch das Potenzial ihrer eigenen Koalition richtig eingeschätzt. Insofern waren die erklärten kurzfristigen Ziele schon nicht mehr erreichbar. Ihrer Weltsicht folgend glaubten die USA, dass ein Land mit einer Wirtschaftsleistung, die 3 % des weltweiten BIP ausmacht, nicht in der Lage sein kann, effektiv gegen eine große Koalition zu kämpfen.
  • Der Westen ging davon aus, dass die Wirtschaft der westlichen Länder, die vom Dienstleistungssektor (der 65-80 % des BIP ausmacht) und nicht von der Schwerindustrie und den verteidigungsrelevanten Sektoren dominiert wird, jederzeit und unter allen Bedingungen in der Lage ist, die „russische Wirtschaft zu besiegen“.
  • Die Möglichkeit, dass Russland allein mehr Artilleriemunition produziert als alle westlichen Länder zusammen, wurde per se ausgeschlossen. Dies ist ein Paradoxon, das von den USA und ihren westlichen Partnern mit einer überheblichen Sicht erst gar nicht in Betracht gezogen wurde.

Zurück zur Ausgangsfrage.

  • Man muss den russisch-amerikanischen Konflikt als eine anhaltende Konfrontation betrachten, die auch dann noch andauern wird, wenn die Vereinigten Staaten erkennen, dass die Ukraine ihre Bedeutung als Instrument der Konfrontation mit Russland verloren hat, was logischerweise zum Ende des Ukraine-Krieges führen wird.
  • Aus der bereits zitierten „Wolfowitz-Doktrin“ ergibt sich jedoch eine außerordentlich gefährliche Schlussfolgerung, nämlich die, dass die USA den Schwerpunkt ihrer antirussischen Aktivitäten auf ein anderes Land verlagern werden, das wie die Ukraine bereit ist, sich zu opfern und den Kampf gegen Russland an vorderster Front zu führen.
  • In den an Russland angrenzenden ehemaligen sowjetischen Republiken sind dafür diverse Beispiele zu finden. Denn für die notwendige „Rückenfreiheit“ im Kampf gegen China bleibt Russland nach wie vor der größte Störfaktor für die USA. Insofern wird die USA für Russland eine ständige Bedrohung bleiben, die immer für langfristige Konflikte sogen wird

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