SPD-Innenexpertin Vogt dringt auf Reisekosten-Übernahme für afghanische Ortskräfte

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Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 28. Juni 2021)

Die SPD-Innenexpertin Ute Vogt dringt auf eine Übernahme der Reisekosten afghanischer Helfer deutscher Institutionen, die zum Schutz vor den Taliban in die Bundesrepublik ausreisen. Sie würde es begrüßen, wenn diese Kosten übernommen werden, zumal es „ja nicht um so wahnsinnig viele Menschen” gehe, sagte die innenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion in einem Gespräch mit der Wochenzeitung „Das Parlament”. Deren Flug zu finanzieren, würde Deutschland nicht überfordern „und wäre auch ein Zeichen der Wertschätzung gegenüber der Arbeit, die da für uns geleistet worden ist”.

Vogt begrüßte zugleich, dass Afghanen, die ab 2013 für staatliche deutsche Einrichtungen gearbeitet haben, in Deutschland Schutz finden können, und nicht nur kommen kann, wer in den vergangenen zwei Jahren etwa für die Bundeswehr tätig war. Man sei sehr zufrieden in der SPD-Fraktion, dass es jetzt zu dieser Entscheidung gekommen ist, sagte sie. Es sei  ja schon ein erleichtertes Verfahren vereinbart gewesen, doch habe man nun „den richtigen Durchbruch, dass wir sagen können: Wer für uns gearbeitet hat, darf deswegen nicht an Leib und Leben bedroht werden“. Die afghanischen Ortskräfte hätten „für uns und mit uns gearbeitet, und deshalb haben wir eine ganz große Fürsorgepflicht“, die nicht mit dem Abzug aus dem Land ende.

Das Interview im Wortlaut:

Frau Vogt, das Kabinett hat sich darauf verständigt, dass Afghanen, die ab 2013 für staatliche deutsche Einrichtungen gearbeitet haben, in Deutschland Schutz vor den Taliban finden können. Auch die Innenministerkonferenz ist davon abgerückt, nur kommen zu lassen, wer in den vergangenen zwei Jahren etwa für die Bundeswehr gearbeitet hat. Eine überfällige Entscheidung?
Ja. Wir sind sehr zufrieden und froh in der SPD-Fraktion, dass es jetzt zu dieser Entscheidung gekommen ist. Wir hatten immer in kleinen Schritten Verbesserungen erreicht; es war ja schon ein erleichtertes Verfahren vereinbart gewesen. Aber jetzt haben wir tatsächlich den richtigen Durchbruch, dass wir sagen können: Wer für uns gearbeitet hat, darf deswegen nicht an Leib und Leben bedroht werden. Die haben für uns und mit uns gearbeitet, und deshalb haben wir eine ganz große Fürsorgepflicht, die eben nicht endet, wenn wir aus Afghanistan abziehen.

Vorher hatte etwa das Innenministerium argumentiert, dass die individuelle Gefährdung einer Ortskraft in zeitlichem Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis stehen müsse und sich die Bundesregierung bereits vor langem für eine Frist von zwei Jahren ausgesprochen hat. Können Sie das nachvollziehen?
Wenn man überlegt, wann sich so eine Gefahr äußert, ist bei „normalen“ Verhältnissen schon davon auszugehen, dass nach zwei Jahren klar sein müsste, ob jemand bedroht ist oder nicht. Aber wenn die westlichen Kräfte jetzt abziehen, ist für diese Menschen ja keinerlei Schutz mehr vorhanden, und wir haben eben festgestellt, dass die Taliban dazu übergehen, dass für sie alle als Verräter gelten, die auch nur ein paar Tage mit deutschen Behörden zusammengearbeitet haben. So lange wir noch vor Ort waren, war die Gefährdungslage eine andere als jetzt. Mit dem Truppenabzug ist die Gefahr sehr groß, dass die Taliban Listen von Menschen sozusagen abarbeiten, die in irgendeiner Form mit uns zusammengearbeitet haben. Deshalb bin ich sehr erleichtert, dass es jetzt eine Regelung gibt, die über die zwei Jahre hinausgeht.

Andere Entsenderstaaten fanden da schneller zu großzügigeren Lösungen…
Ja. Bei uns ist es häufig so, dass in der Union erstmal einige Abwehrreflexe greifen, sobald es um das Thema Zuwanderung geht. Die haben wir aber Gott sei Dank jetzt überwunden. In diesem speziellen Fall geht es ja auch um Menschen, die oft schon sehr gut mit Deutschland vertraut sind, weil sie ja intensiv mit deutschen Kräften zusammengearbeitet haben. Die wissen schon sehr gut, was auf sie zukommt, kennen oft auch die deutsche Sprache, zumal es sich in vielen Fällen um Dolmetscher handelt.

Der Abzug der westlichen Truppen soll bis zum 11. September abgeschlossen sein; die Ortskräfte müssen jetzt schnell in Sicherheit. Geht das rechtzeitig?
Wir haben ja ein einfaches Verfahren, mit Ansprechpartnern vor Ort. Wichtige Dinge wie die Sicherheitsüberprüfung, die das Verfahren oft verzögern können, werden nun in Deutschland vorgenommen. Wir haben also schon dafür gesorgt, dass es schneller geht. Ich finde, man kann auf die Sicherheitsüberprüfungen nicht verzichten; die sind auch im Sinne unserer eigenen Sicherheit notwendig. Aber manche Verfahren werden nun einfach in Deutschland abgewickelt, um das Ganze zu beschleunigen. Auch haben wir ja heute schon einige Ortskräfte aufgenommen, und mehr als 380 haben bereits eine Zusage bekommen.

Neu ist auch, dass die ehemaligen Helfer nun alle ihre ledigen Kinder mitbringen dürfen, nicht nur die minderjährigen. Ein gutes Signal?
Dass auch erwachsene Kinder mitkommen können, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Wenn ihre Eltern bei den deutschen Truppen gearbeitet haben, endet die Gefährdung ja nicht mit der Volljährigkeit.

Für „Zweitfrauen“ gilt die Regelung aber nicht. Sind die weniger gefährdet?
Das ist ein Problem, weil das mit unserem Recht in Konflikt kommt. Wir haben ja erst vor wenigen Jahren festgelegt, dass sich in Deutschland auch an unsere Regelungen in Bezug der Eheschließung halten muss, wer hier leben will. Die betroffenen Frauen müssten daher wohl selbst noch einmal ihre Gefährdung nachweisen und können sich auf dem normalen Weg um eine Einreise und ein Aufenthaltsrecht in Deutschland bemühen, aber in dem beschleunigten Verfahren wäre das schwierig.

MdB Ute Vogt Von Foto: Gerd Seidel, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35413171

Ortskräfte, die vor 2013 etwa für die Bundeswehr haben, werden in der jetzt vorgesehenen Regelung nicht erfasst. Sind da alle Gefährdeten schon in Deutschland?
Da haben zumindest viele schon die Möglichkeit genutzt. Deren Tätigkeit für uns liegt jetzt mehr als sieben Jahre zurück – da kann man schon davon ausgehen, dass diejenigen, die deswegen Probleme bekommen haben, schon die Chance hatten, nach Deutschland zu kommen. Und die Lage ist ja wohl auch je nach Region unterschiedlich, und es kommt auch darauf an, wo jemand lebt und wie er dort verankert ist. Wir haben ja zudem auch vorher schon Leute aufgenommen; das waren dann aber immer Einzelaufnahmen.

Noch offen ist die Finanzierung der Reise nach Deutschland. Bisher müssen die Ortskräfte den Flug selbst bezahlen – wer das nicht kann, hat Pech gehabt?
Wir würden es begrüßen, wenn diese Kosten übernommen werden – zumal es ja nicht um so wahnsinnig viele Menschen geht. Deren Flug zu finanzieren, würde uns nicht überfordern und wäre auch ein Zeichen der Wertschätzung gegenüber der Arbeit, die da für uns geleistet worden ist.

Von welcher Größenordnung reden wir, also neben den rund 400 bereits für die Ausreise erfassten Helfern und ihren Familien? Geschätzt werden wohl etwa 350 weitere Ortskräfte eine Einreiseerlaubnis erhalten können; wie viele werden das dann mit Ehefrau und Kindern?
1.500 etwa, rechnen wir.

Der Bundestag hat vergangene Woche einen Grünen-Antrag abgelehnt, ein „Gruppenverfahren“ für die Aufnahme afghanischer Ortskräfte einzuführen, weil der Nachweis einer konkreten individuellen Bedrohung eine unzumutbare Hürde darstelle. Ist das falsch?
Wir haben mit dem vereinfachten Verfahren schon die Möglichkeit geschaffen, dass viele kommen können. Gegen das Gruppenverfahren haben wir uns entschieden, weil wir keine massenhafte Abwanderung gut qualifizierter Leute wollen. Schließlich gibt es in Afghanistan nicht nur die Taliban. Jetzt zu sagen, dass wir einfach alle gut Ausgebildeten mitnehmen, wäre nicht fair gegenüber der jetzigen, legal gewählten Regierung. Die sagt genauso wie das Parlament und die Zivilgesellschaft dort, dass sie ein Problem haben, wenn alle Hochqualifizierten abwandern. Das war einer der Gründe, warum wir diese pauschalen Aufnahmezusagen nicht gemacht haben.

Seit 2013, dem Start des Ortskräfteverfahrens, sind darüber etwa 3.400 Menschen nach Deutschland gekommen. Die erhielten nur eine befristete Aufenthaltserlaubnis. Kann das so bleiben?
Dass wir derzeit Menschen aufnehmen, weil sie gefährdet sind, spricht dafür, dass wir nicht diejenigen zurückschicken, die bereits hier sind, weil sie gefährdet waren. Es ist ein normales Verfahren, zu überprüfen, ob sich die Lage im Land stabilisiert. Eine Rückkehr wäre aber nur möglich, wenn die Taliban in Afghanistan keine entscheidende Rolle mehr spielen. Das sehe ich leider im Moment noch nicht. Und: Es besteht natürlich auch die Möglichkeit für die Menschen, nach fünf Jahren ein unbefristetes Aufenthaltsrecht in Deutschland zu erhalten.

Deutscher Bundestag


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