Gibt es in Tel Aviv eigentlich noch Spiegel?

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Wenn die Täter „Nazi“ rufen: Die perfide Verdrehung eines Begriffs

Wenn Nazis Nazis als Nazis beschimpfen oder wie jetzt?

Es ist eine jener bitteren Ironien unserer Zeit: Ausgerechnet der israelische Minister Itamar Ben-Gvir – ein Mann, der international wegen seiner rassistischen und gewaltverherrlichenden Aussagen längst als politischer Pyromane bekannt ist – wirft anderen vor, „Nazis“ zu sein.

Laut ihm sind all jene Nazis, die “alte, kranke und hilflose Menschen in Krankenhäusern angreifen”. Eine Feststellung, die an sich durchaus zutreffend wäre – wenn sie nicht aus dem Mund eines Mannes käme, dessen Regierung systematisch jedes größere Krankenhaus in Gaza bombardiert, besetzt oder zur Aufgabe gezwungen hat. Auch die Krankenhäuser im Iran waren natürlich mit als erstes auf der Liste der guten Israelis.

Man fragt sich: Gibt es in Tel Aviv eigentlich noch Spiegel?

Denn was wir seit Monaten beobachten, ist nicht bloß Kriegsführung. Es ist ein gezielter Angriff auf das Fundament jeder menschlichen Zivilisation: Krankenhäuser, Schulen, Trinkwasser, Lebensmittelversorgung – alles wird zur Zielscheibe. Und während Palästinenser unter Trümmern nach ihren Kindern graben, erklärt Ben-Gvir mit versteinertem Gesicht, dass andere „Nazi-Methoden“ anwenden.

Was hier passiert, ist keine zufällige Entgleisung. Es ist Teil einer zynischen Rhetorikstrategie, bei der der Begriff „Nazi“ völlig entkernt und politisch instrumentalisiert wird. Wer Israel kritisiert, ist angeblich ein Antisemit. Wer sich mit Palästina solidarisiert, wird zum Holocaustleugner gemacht. Und wer auf Kriegsverbrechen hinweist, ist – natürlich – ein Nazi.

Das hat Methode. Denn nichts wirkt so zuverlässig auf das kollektive Schuldbewusstsein westlicher Gesellschaften wie die Erinnerung an das Dritte Reich. Und genau diese Wirkung wird gezielt ausgenutzt. Man könnte es psychologische Kriegsführung nennen – gegen den Diskurs.

Doch das Kalkül hat Risse bekommen. Immer mehr Menschen durchschauen die Rhetorik, die Täter zu Opfern macht und Kritik zu Hetze erklärt. Es ist eben nicht antisemitisch, auf Völkermord hinzuweisen. Und es ist keine Verharmlosung des Holocausts, wenn man fragt, warum ein israelischer Minister ernsthaft glaubt, anderen den Begriff „Nazi“ um die Ohren hauen zu können, während seine Regierung mit Bulldozern, Drohnen und Hunger das tut, was er selbst angeblich verurteilt.

Nein, Herr Ben-Gvir – wer mit voller Absicht Krankenhäuser angreift, alte Menschen sterben lässt und den Zugang zu Medikamenten blockiert, hat jedes moralische Recht verloren, andere als Nazis zu bezeichnen. Man könnte sogar sagen: Der, der am lautesten „Nazi“ ruft, steht selbst verdächtig nah am Abgrund.


Nachsatz:
Und während in Gaza die letzten Reste medizinischer Versorgung pulverisiert werden, fordern deutsche Politiker – beinahe im Chor – mehr Waffen für Israel. Nicht etwa, um Frieden zu schaffen, sondern um eine Regierung zu stützen, die längst rote Linien überschritten hat. Gaza ist in Trümmern, das Völkerrecht gleich mit. Und als wäre das nicht genug, bombardiert Israel völkerrechtswidrig das Gebiet eines souveränen Staates: den Iran. Was wäre wohl los, wenn Russland das täte?

Doch statt Empörung – Schweigen. Statt Distanz – noch mehr Waffen. Wer so handelt, steht nicht am Rande des moralischen Abgrunds – er stapft schon bis zum Hals durch den Morastsumpf internationaler Doppelmoral.

Namen? Nein, die muss man nicht nennen. Sie drängen sich täglich selbst in Mikrofone, Kameras und Talkshows. Es sind die Ewig-Empörten, die jede Kritik an Israel als Antisemitismus diffamieren – und gleichzeitig wegsehen, wenn unter israelischer Flagge gegen alle zivilisatorischen Normen verstoßen wird.

Fazit:
Wer in historischer Verantwortung blind wird für gegenwärtige Verbrechen, verliert beides – Geschichte und Gewissen.


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