🧷 Die offizielle Erzählung:
Karl Otto Koch war SS-Standartenführer und der erste Kommandant von Buchenwald. Später auch in Majdanek aktiv. Sein Ruf war katastrophal, selbst innerhalb der SS. Man warf ihm massive Korruption, Machtmissbrauch, Veruntreuung, aber auch sexuelle Ausschweifungen und eigenmächtige Morde vor – darunter die Tötung politischer Häftlinge, die ihn belasteten.


Die Untersuchung leitete der SS-Richter Konrad Morgen, einer der wenigen, die im SS-System tatsächlich formell gegen Verbrechen innerhalb der Organisation vorgingen – allerdings nicht aus Humanität, sondern zur “Reinhaltung der SS”, wie es hieß.
Es ging also nicht darum, das Morden an sich zu stoppen, sondern die “Ehre der SS” gegen korrupte und unkontrollierte Elemente zu verteidigen.
🔍 Was war wirklich los?
Jetzt kommt der spannende Teil:
- Koch war aufgefallen.
- Er hatte systematisch Gelder unterschlagen, privat Häftlinge ermorden lassen, weil sie ihn angeblich belasten konnten.
- Es wird vermutet, dass er sogar Zeugen verschwinden ließ, die über seine illegalen Geschäfte berichten wollten.
- Auch die Kunstlederfabrik in Buchenwald, in der Häftlinge unter mörderischen Bedingungen arbeiteten, war Teil seines persönlichen Reichtumsystems.
- Ilse Koch, seine Frau, spielte eine zentrale Rolle. Der berüchtigte „Hexe von Buchenwald“ wurde nachgesagt, sie hätte Lampenschirme aus Menschenhaut besitzen wollen – was nie zweifelsfrei bewiesen, aber symbolisch für die Grausamkeit stand.
- Konrad Morgen nutzte den Fall, um sich innerhalb der SS zu profilieren – eine Art interner Saubermann, der selektiv gegen „Exzesse“ vorging, aber das System als solches nicht infrage stellte. Seine Ermittlungen gegen Koch waren spektakulär – wohl auch, weil Koch sich zu sichtbar bereichert hatte. In einem solchen Regime wird nicht Unrecht bestraft – sondern Kontrollverlust.
- Die Hinrichtung im April 1945 – also nur 10 Tage vor der Befreiung von Buchenwald durch die Amerikaner – war vermutlich auch eine Form von Spurenverwischung oder Selbstinszenierung. Man wollte vor dem Zusammenbruch noch schnell demonstrieren: „Seht her, wir haben unsere schwarzen Schafe bestraft.“
🧨 Was wird verschwiegen?
Jetzt zur eigentlichen Brisanz:
- Es ist kein Akt von Gerechtigkeit, wenn ein Massenmörder von anderen Massenmördern hingerichtet wird.
- Die Verbrechen von Koch waren nicht außergewöhnlicher als das, was in anderen Lagern geschah – sie waren nur auffälliger und peinlicher für das System.
- Dass ausgerechnet die SS jemanden wegen Mord an Häftlingen verurteilt, ist ein makabrer Zynismus. Die SS hat Hunderttausende ermordet – systematisch, geplant, verwaltungstechnisch sauber dokumentiert.
- Das Urteil gegen Koch diente weniger der Gerechtigkeit als vielmehr der Selbstreinigung der SS vor dem absehbaren Untergang.
- Und: Viele andere Lagerkommandanten wurden nicht belangt – weder von der SS, noch später von der Justiz.

Gibt es ein Fazit?
Koch war ein Symbolfall. Nicht, weil er schlimmer war als die anderen – sondern weil er das System mit seiner Selbstsucht und Korruption blamiert hat. Das war in einem Regime, das auf Kontrolle, Macht und Ordnung baute, tödlich. Seine Hinrichtung war ein Signal nach innen, nicht nach außen.
Und ja – solche Widersprüche werden gerne unter den Teppich gekehrt. Sie passen nicht zur sauber aufgeteilten Gut/Böse-Erzählung. Wer sich ernsthaft mit der Geschichte befasst, muss diese Doppelmoral erkennen – sonst bleibt man ein Opfer der offiziellen Narrative.
🧑⚖️ Konrad Morgen – Der Richter der SS

Geboren: 8. Juni 1909 in Frankfurt am Main
Gestorben: 4. Februar 1982 in Frankfurt am Main
Beruf: Jurist, ab 1941 Ermittlungsrichter im Reichskriminalpolizeiamt der SS
🎩 Das Image: Der „Saubermann der SS“
Konrad Morgen wurde in der Nachkriegszeit oft als eine Art Widerstandskämpfer im System dargestellt – das ist massiv übertrieben. Ja, er ermittelte gegen Korruption und Machtmissbrauch in Konzentrationslagern. Ja, er ließ sogar mehrere SS-Führer verhaften, darunter eben Karl Otto Koch.
Aber: Seine Motivation war nicht humanitär, sondern ideologisch. Er war kein Gegner des Systems, sondern ein Verteidiger seiner Reinheit. Sein Ziel war nicht die Gerechtigkeit für die Opfer, sondern die Disziplinierung der Täter, die sich „danebenbenommen“ hatten.
🧠 Wie weit gingen seine Ermittlungen?
Morgen untersuchte ca. 800 Fälle, darunter:
- KL Buchenwald (Koch)
- KL Majdanek
- KL Auschwitz (gegen Kommandant Höß, wurde aber gestoppt)
- KL Dachau
Er ließ etwa 200 SS-Angehörige anklagen, rund 5–10 wurden hingerichtet. Bei Zehntausenden SS-Männern in den Lagern eine lächerlich geringe Quote.
Wichtig: Als er begann, gegen Auschwitz-Kommandanten zu ermitteln, wurde ihm der Stecker gezogen. Himmler persönlich soll die Ermittlungen gestoppt haben. Warum? Weil der „Betrieb“ der industriellen Massenvernichtung nicht gestört werden durfte.
⚖️ Nach dem Krieg:
Morgen war Zeuge im Nürnberger Prozess – er galt als jemand, der aus dem Inneren des Systems berichten konnte. Er wurde nicht angeklagt, bekam später wieder eine Zulassung als Anwalt und arbeitete nach dem Krieg ganz normal weiter. Skandalös, aber typisch für die junge Bundesrepublik.
Er war ein Insider mit Wissen, aber kein Gegner des Systems. Eine tragische, zynische Figur – intelligent, aber moralisch desolat.
👩🦰 Ilse Koch – Die „Hexe von Buchenwald“

Geboren: 22. September 1906 in Dresden
Gestorben: 1. September 1967 im Frauengefängnis Aichach (Suizid durch Erhängen)
Ehefrau von Karl Otto Koch – und selbst SS-Mitglied, aktiv in der Lagerführung.
😈 Das Image: Die sadistische Lagerherrin
Ilse Koch war eine Projektionsfläche für das Böse schlechthin:
- Sadistin
- Exzessiv in Machtmissbrauch
- Angeblich sexuell pervers
- Lampenschirme aus Menschenhaut – DER Mythos schlechthin
Aber: Historisch ist nicht alles davon haltbar. Die Lampenschirm-Geschichte wurde nie bewiesen. Es gab Hautpräparate in Buchenwald, aber ein direkter Zusammenhang zu ihr ist nicht zweifelsfrei belegt.
👀 Was ist belegt?
- Sie nutzte Häftlinge für persönliche Zwecke (z. B. Handwerkerarbeiten)
- Sie demütigte und schlug Häftlinge persönlich
- Sie lebte in dekadentem Luxus, während um sie herum gemordet wurde
- Sie hatte Einfluss auf das Schicksal einzelner Gefangener (etwa durch Gesten oder Zurufe)
- War mitverantwortlich für das „System Koch“ – also Korruption, Bereicherung, Misshandlung
⚖️ Nach dem Krieg:
- 1947 in Dachau zum Tode verurteilt, aber
- 1948 durch General Lucius D. Clay (US-Militärregierung) zur lebenslangen Haft begnadigt
- Begründung: „Keine ausreichenden Beweise für direkte Morde“
- Später erneut in Augsburg angeklagt und 1951 zu lebenslanger Haft verurteilt
- 1967 Suizid im Gefängnis – kurz vor ihrem geplanten Gnadengesuch
🧨 Der Skandal:
Die amerikanische Begnadigung Ilse Kochs löste in den USA einen Riesenskandal aus – selbst die Presse (z. B. Life Magazine) schrieb empört darüber. Clay wurde heftig kritisiert. Auch das zeigt, wie ungleich und oft willkürlich Nachkriegsjustiz verlief.
🎯 Fazit:
- Konrad Morgen war kein Retter, sondern ein innerer Systemrichter, der seine eigene Ordnung durchsetzen wollte.
- Ilse Koch war schuldig – aber nicht alles, was man ihr andichtete, ist historisch belegbar.
- Der Fall Koch (beide) zeigt, wie internationale und deutsche Narrative oft auslassend, ungenau oder bewusst vereinfachend erzählen.
- Der Mythos „guter Nazi, der gegen böse Nazis kämpfte“ – ein bequemes Märchen, das auch heute noch gern benutzt wird, um systemische Schuld auf Einzelfälle zu reduzieren.