Dämpfer für Merkel bei Wiederwahl zur Kanzlerin

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14.03.2018

Hans-Edzard Busemann, Thorsten Severin

Berlin (Reuters) – Bundeskanzlerin Angela Merkel startet ohne den Rückhalt von 35 Abgeordneten der großen Koalition in ihre vierte Amtsperiode.

Mindestens jeder elfte Parlamentarier aus den Reihen von CDU, CSU und SPD verweigerte Merkel am Mittwoch bei der Kanzlerwahl im Bundestag die Stimme. Sechs Monate nach der Bundestagswahl stimmten 364 Abgeordnete für die 63-Jährige – eigentlich verfügt die Koalition über 399 Mandate. Merkel kündigte an, am Freitag zu einem Antrittsbesuch zum französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu reisen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier forderte die neue Regierung auf, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Ein “schlichter Neuaufguss des Alten” werde dazu nicht reichen.

“Diese Regierung muss sich neu und anders bewähren”, sagte Steinmeier. Notwendig sei ein anderer Umgang mit Parlament und Öffentlichkeit. Zugleich warb das Staatsoberhaupt dafür, der Regierung einen Vertrauenskredit zu gewähren.

Nach der Wahl Merkels wurde im Bundestag auch das neue Kabinett vereidigt. Das Finanz- und das Außenministerium werden von den SPD-Politikern Olaf Scholz und Heiko Maas übernommen. Das Innenministerium geht an Horst Seehofer (CSU). Das Wirtschaftsministerium leitet der CDU-Politiker Peter Altmaier. [nL8N1QV4BR] Von den 15 Bundesministerin fügten zwölf ihrem Amtseid den Satz “So wahr mir Gott helfe” an, ebenso wie Merkel.

DOBRINDT: GEGENSTIMMEN GEHÖREN DAZU

Da die Wahl der Regierungschefin geheim war, ist unklar, ob Merkel Unterstützung aus der Opposition erhielt und damit noch mehr Abgeordnete aus dem Regierungslager ihr die Stimme verweigerten. Linken-Chefin Katja Kipping schrieb auf Twitter: “Nur 9 Stimmen über dem Durst. Das ist ein holpriger Start für Merkel und die neue Regierung.” FDP-Vize Wolfgang Kubicki sagte im Sender n-tv, dass es so viele Abweichler gebe, sei kein gutes Zeichen für das Bündnis. Parteichef Christian Lindner sagte, die große Koalition sei nur groß darin, viel Geld der Bürger auszugeben. Nach Ansicht von AfD-Fraktionschefin Alice Weidel wurde dem Land mit der Wahl Merkels “nichts Gutes getan”. Die Partei- und Fraktionschefs der Grünen äußerten die Hoffnung, dass die Koalition über ihren Vertrag hinauswachse, denn dieser weise große Lücken auf, etwa Klimaschutz und Armutsbekämpfung.

Vertreter von Regierung und Koalitionsparteien maßen den fehlenden Stimmen aus dem eigenen Lager dagegen keine große Bedeutung bei. Merkel selbst sagte im ZDF, das Ergebnis müsse mit dem früherer Kanzlerwahlen verglichen werden. Dann habe man vergleichbare Ergebnisse. Sie zeigte sich zudem zuversichtlich, dass man auch in Zukunft Mehrheiten sicherstellen werde.

“Gegenstimmen gehören zur Demokratie dazu”, sagte auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt im TV-Sender Welt. Unions-Fraktionschef Volker Kauder sagte bei Phoenix, er sehe überhaupt keinen Makel für Merkel. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sprach von einem “guten Start für Deutschland”, denn es gebe wieder eine stabile Regierung. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Carsten Schneider, räumte bei Reuters TV ein, in geheimer Wahl sei es immer so, dass der ein oder andere “sein Mütchen auch kühlt”.

MIT WIEDERWAHL ENDET SECHSMONATIGE HÄNGEPARTIE

Mit der Vereidigung endet die längste Phase der Regierungsbildung in der Geschichte der Bundesrepublik. Nach der Wahl am 24. September hatten zunächst CDU, CSU, FDP und Grüne Sondierungsgespräche für eine Jamaika-Koalition geführt. Nachdem die FDP die Gespräche platzen ließ, nahmen Union und SPD auf Drängen Steinmeiers Beratungen über eine Neuauflage der großen Koalition auf, obwohl die Sozialdemokraten nach ihrem historisch schlechten Ergebnis von 20,5 Prozent zunächst den Gang in die Opposition beschlossen hatten.

Merkel sieht nach eigenen Worten eine wichtige Aufgabe darin, auch die Probleme der Menschen zu lösen, die die rechtspopulistische AfD gewählt haben. “Das ist unser Anspruch, dass wir sie kleiner machen und sie möglichst aus dem deutschen Bundestag wieder herausbekommen”, sagte sie in der ARD. Am Abend stand bereits die erste Kabinettssitzung an.

Nach Steinmeiers Worten kommen auf die neue Koalition “Bewährungsjahre für die Demokratie” zu. Die liberalen Demokratien des Westens seien Anfechtungen ausgesetzt. In der Weltpolitik mache sich wieder ein Kampf “Jeder gegen Jeden” breit, ganz aktuell in der Handelspolitik. Viele Freunde und Partner gerade in Europa hofften darauf, dass Deutschland zeige, dass liberale Demokratien “handlungsfähig und zukunftsfähig” seien.

Vertreter der Regierung erklärten, nun endlich mit der Arbeit beginnen zu wollen. Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) etwa kündigte Gespräche über die EU-Subventionen für deutsche Landwirte an. Familienministerin Franziska Giffey (SPD) sagte, sie wolle sich vor allem um Maßnahmen gegen Kinderarmut kümmern. Dobrindt nannte als Ziele der neuen Regierung die dauerhafte Begrenzung der Zuwanderung und Hilfen für Familien.

 

Foto: REUTERS/Fabrizio Bensch

 

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