Covid-19: Wo Lohnsklaverei zum Pandemierisiko wird – war Ignoranz die Tagesordnung

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Der Fleischskandal von Gütersloh artet langsam zu dem aus, was in der Neuen Welt als „Hexenprozesse von Salem“ Einzug in die Geschichtsbücher hielt. Ein Fleischkonzern wird öffentlich als Verursacher einer neuen Infektionswelle angeprangert, vorgeführt, gebrandmarkt und genüsslich von denen nach Lust und Laune diffamiert, die eh gern in der Müsliabteilung der Bio-Läden ihre Nahrung suchen.
Gern auch politisch von denen unterstützt, die lieber über gefährliche Kobolde schwafeln, und dabei Kinderarbeit in Kobaltminen meinen, was über das Niveau der Diskussion alles aussagt. Genau wie im sog. Fleischskandal.

Nüchtern betrachtet, ist die deutsche Nahrungsmittelindustrie ein Billigsektor. Denn nirgends auf der Welt sind Nahrungsmittel so billig wie hier. Selbst in Afghanistan kostet ein Kilo Reis so viel wie hier auch. Und das gilt auch für Pflanzenöl, Mais, Getreide und Hülsenfrüchte. Selbst dort heimische Rosinen und Pistazien kosten in Afghanistan auf dem Markt in etwa so viel wie hier im Supermarkt.

Damit muss die Produktion dieser Nahrungsmittel billig sein. Besonders, wenn der dann darauf gesetzte Zwischen – und Einzelhandel noch Gewinne erzielen will. Nicht umsonst haben klassische Discounter inzwischen fast mehr non-food in den Regalen als Nahrungsmittel. Nur so können sie überleben.

Das wissen die Bauern als Produzenten am besten. Keiner von uns weiß genau, was sie an einem Doppelzentner Korn, Mais oder Getreide verdienen. Wir wollen es auch nicht wissen. Oder was ein Geflügelzüchter pro Huhn bekommt, dass dann als Geflügelfleisch bei uns auf dem Teller landet. Oder für 3,90 Euro pro Hälfte am Spieß so schön im Imbiss duftet. So ein Hühnchen (also beide Hälften zusammen!) bringt dem Züchter fünf (5) Cent! Damit macht es Sinn Zuchtanlagen auf 250.000 Tiere zu konzipieren.

Nordseekrabben müssen gepuhlt werden. Dafür schafft man sie nach Marokko, wo das billiger gemacht werden kann. In Deutschland gibt es noch zwei dieser mechanischen Anlagen. Die waren in der Pandemie gut ausgelastet. Ein Krabbenbrötchen kostete zeitweise 11 bis 15 Euro. Das Kilo 75 Euro.
Und was bei Krabben klappt, ist auch bei Fleisch so. Schlachtvieh wird just-in-time gezüchtet und vom Bauer X am Tag Y in Stückzahl S dem Schlachthof Z zugeführt. Und der hält für diese Menge und Stückzahl ein Zeitfenster offen, in dem die Tiere verarbeitet werden. Ähnlich der Autoindustrie, deren Bänder von ihren Zulieferern bestückt werden.

Nun ist aber die Fleischindustrie nicht in dem Grad automatisierbar, wie es beispielsweise die Karosseriefertigung in der Automotive ist. Jedes Tier ist anders. So anders, dass eine automatische Zerlegung in Filet, Nacken, Bauch, Rippen, Hüfte, Innereien und Haut keinen wirtschaftlichen Sinn macht. Der Mensch ist da besser geeignet.
Und wo immer das in einer Niedrigpreisbranche passiert, ist der Lohn eben dieser Menschen auch im Keller. Und damit auch alles was Lohnnebenkosten angeht. Und da diese hier in Deutschland zu hoch sind, kommen Werkverträge mit Subunternehmer ins Spiel, denen man nur die reine Arbeitsleistung abkauft. Ggf. inklusive Mittagsessen in der Kantine. Aber ansonsten das Personalrisiko möglichst klein hält und es dem Subunternehmer überlässt, mit der Differenz was der Schlachtbetrieb ihm zahlt und was er seinen Leuten zahlt, auszukommen. Zu managen. Es für sich zu optimieren.
Und wer vertraglich Mindestlöhne zzgl. kleinerem Aufschlag bekommt, wird für seine so angeheuerten Mitarbeiten kaum 4-Sterne-Hotels mit Einzelzimmer buchen können. Diese Arbeiter sind schließlich keine Mitarbeiter von EY, die bei Wirecard Bilanzen prüfen…

Und an der Stelle kommen dann die Möglichkeiten ins Blickfeld, wie und wo man sie denn unterbringen kann. Wohnraum ist in Deutschland knapp geworden. Zumindest in Städten. Aus unerfindlichen Gründen betrifft das alle berufstätigen Pendler, Freelancer und Menschen die fern der Heimat beruflich unterwegs sind.
Und hier wird dann ein Paradoxon offensichtlich. Es kann gar nicht passen. Zumindest nicht, wenn Subunternehmer mit solchen Werkverträgen ihre Leute zu hunderten in Reichweite zum Kunden unterbringen müssen.
Daher regeln diese Werkverträge auch Unterbringung, Transport und Versorgung von solchen Beschäftigten ganz klar: in Eigenregie des Subunternehmers!
Und der mietet dann Immobilien an, die keiner sonst haben will. Ergo nicht beste Lage. Und gern auch mit ein paar mehr Leuten in einer Wohnung, einem Gammelhaus oder einer Containerunterkunft, zur besseren Optimierung der Lohnnebenkosten.
Wo die einen Legehennenunterbringung optimieren wird hier die Unterbringung von Arbeitern optimiert. Der Unterschied besteht nur in einem Punkt: bei den Legehennen hat man sich vor Jahrzehnten aufgeregt und das gesetzlich geregelt!

Und das ist nicht nur in der Fleischindustrie so. Sondern auch auf dem Bau. Mit Saisonkräften im Tourismus. Mit Erntehelfern. Inzwischen selbst in Securitybereich! Oder mit Polizisten im Frankfurter Raum, die gemeinschaftlich auf Campingplätzen hausen, weil die Mieten in Frankfurt selbst zu hoch sind. Nur mal am Rande erwähnt, da der Autor sicher ist, dass das unbekannt ist.
Wenn also Servicekräfte dem geneigten Urlauber auf Norderney oder Sylt ein „Gläsle Champus“ servieren, dann darf man sich ruhig die Frage stellen, wo der oder die Servicekraft abends schläft. Mitunter in solchen Absteigen, dass sich kaum noch deutsche Servicekräfte dafür finden. Mitunter dann ein Grund, warum das „Gläsle Champus“ dann nicht so schnell an den Tisch gebracht wird und die Servicekraft im Stress ist. Personalmangel herrscht.

All das ist und war bekannt. Und all die Politiker und Propagandafunktionäre beruflicher Art wissen das. All die Demagogen haben über Jahrzehnte weggesehen. Haben sogar immer mehr erlaubt. Und wenn in Gütersloh etwas wichtig war, dann waren es die jährlichen Gewerbesteuereinnahmen für die Stadt selbst.

Und damit kommen wir zum zweiten Punkt der Versäumnisse. Dem wirklichen Betriebsklima in der Fleischverarbeitung. Und zwar dem Klima, was man an Thermometer und Hydrometer ablesen kann. Wenn man will.

Wenn also ein RKI und so Experten wie Wieler und Drosten TV-affin darüber berichten, dass sich der Virus im Sommer vermutlich nicht mehr so schnell verbreiten wird, weil es nicht mehr kalt ist und die Luftfeuchtigkeit zurückgeht, dann wäre der logische Umkehrschluss für geneigte Genies relativ klar: Der Virus verbreitet sich bei niedrigen Temperaturen und hoher Luftfeuchtigkeit optimal.
Ergo hätte daher von Anfang an ein Auge auf Betriebe geworfen werden müssen, die ganzjährig(!) diese Idealbedingungen vorweisen. Neben der Fleisch- und Fischverarbeitung also auch alle Kühlhäuser und jeder Betrieb, der auf niedrige Temperaturen angewiesen ist. Das betrifft auch den Metzger um die Ecke.
Und auch, ob es einen Luftaustausch an diesen Orten gibt, oder die Luft nur umgewälzt wird. Gern auch ohne Filter.

Als Normalbürger denkt man natürlich nicht soweit. Aber es sollten die tun, die wir dafür bezahlen exakt daran zu denken. Gern auch interdisziplinär, querschnittlich und vorausschauend. Also solche Leute, die beim RKI sind.
Auf Anfrage verweigert auch hier das RKI eine Antwort, ob und wie vor solchen Bedrohungen offiziell oder an Betroffene gewarnt wurde. Wie immer. Das RKI beantwortet keine kritischen Fragen. Egal wozu. Warum auch. Man wandelt dort in den Schuhen des Fischers.
Wenn nun also diese drei Dinge, optimierte Werkverträge und Laissez-faire bei Mitarbeitern, virusoptimierte Ganzjahresbedingungen und mangelnde Warnung durch zuständige Stellen zusammenkommen, dann kann es passieren, dass in Zeiten der Pandemie Landkreise und Regionen Welle Zwo, Drei oder X bekommen.

Daher ist es schon erstaunlich, wenn auch wenig erbaulich, gewisse Politiker jetzt sagen zu hören, dass der so betroffene Unternehmer der neue Hexer von Salem, pardon – Gütersloh, ist. Zumal jetzt auch andere Betriebe eben diese produktionsbedingte Schwäche offenbaren.
Und hier nun ökolike rumzuhüpfen und den Fleischkonsum an sich zu bashen, mag mal wieder der Unterversorgung des eigenen Körpers mit gewissen Nährstoffen geschuldet sein, denn Massenunterkünfte gibt es auch europaweit bei Erntehelfern. Soll heißen: die Werkverträge gelten auch für Obst-, Spargel- und Gemüseernten. Und damit auch die Unterbringung der Leute dicht auf dicht.

Und nun den Grund in Rumänien, Bulgarien und Polen zu suchen, weil die Leute da herkommen, ist auch wieder so eine Verschwörungstheorie der anderen politischen Flanke. Die kommen deshalb aus Osteuropa, weil sich Deutsche schon lange nicht mehr für das Fleischereihandwerk interessieren, die Ausbildungszahlen hier stetig zurückgehen. Der Beruf uninteressant ist. Dreckig, eklig, blutig und hart. Ein lebenslanger Aufenthalt in feuchter Kälte ist auch nicht sehr gesundheitsförderlich. Da studiert man lieber etwas mit „Medien“, was angeblich dann auch besser bezahlt ist, damit man schöner leben kann. Urlaube genießen kann. Wie auf Sylt mit einem „Gläsle Champus“ in der Hand, Austern schlürfen und sich fragen, warum die Kellnerin so fertig aussieht. Natürlich bevor wir mit dem Einweggrill zum Strand gehen, und das mitgebrachte marinierte Nackensteak zum Sonnenuntergang grillen.

Welche Maßnahmen nun in all diesen Branchen zu eben diesen Werksverträgen beschlossen werden, werden wir sehen. Doch wo Gier, Not, Heuchelei, Unwissen und Ignoranz zusammenkommen, seit Jahrzehnten blühen, da ist nicht viel zu erwarten. Zumal jetzt gerade die Wirtschaft nicht unbedingt in die Boomphase dreht. Unternehmen wie Kommunen Geld brauchen. Dringend.
Und dann ist da noch so ein Aspekt in einer Pandemie. Bei zusammenbrechenden Lieferketten gehört die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln in den sich abkapselnden Ländern zur obersten Priorität. Vielleicht, und das ist Spekulation, wurde deshalb vom RKI hier keine besondere Empfehlung herausgegeben. Vielleicht auch explizit politisch motiviert und mit der Hoffnung versehen, dass es schon gutgehen wird. Wie bei vielen anderen kritischen Themen schon erfolgreich probiert.
Wir sehen nun, dass es schiefgegangen ist. Warum auch immer. Nur das Ergebnis zählt. Und wie immer ist das RKI wieder vorn dabei, wenn es um fehlende Transparenz und Antworten geht. Und ganz ehrlich: hier hätte der TIERarzt Wieler wirklich mal punkten können…

Dem Autor und der Redaktion tun die Leute in den betroffenen Werken und Orten leid. Sie anzufeinden ist unterste Schublade. Das haben andere verdient. Wer hier Schuldige sucht und Fragen stellen möchte hat nun genug Leute aufgezeigt bekommen. Doch den Arbeitern und Bewohnern gehört unser aller Mitgefühl und unsere unkommentierte Unterstützung. Sic!


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