Todesstrafe: Hinrichtungen steigen weltweit an – mehr Exekutionen besonders in Iran und Saudi-Arabien
Der neue Bericht von Amnesty International zur weltweiten Anwendung der Todesstrafe zeigt für 2021 eine besorgniserregende Zunahme von Hinrichtungen und Todesurteilen. Im Iran verzeichnet die Organisation die höchste Zahl an dokumentierten Exekutionen seit 2017. Mit der Aufhebung von Coronamaßnahmen in vielen Ländern fällten auch Gerichte wieder mehr Todesurteile. Trotz dieser Rückschritte weist 2021 insgesamt die zweitniedrigste Anzahl an dokumentierten Hinrichtungen weltweit seit 2010 auf.
BERLIN, 23.05.2022 – Amnesty International dokumentierte 2021 mindestens 579 Hinrichtungen in 18 Staaten – verglichen mit dem Vorjahr ist dies ein Anstieg um 20 Prozent.
Markus N. Beeko, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland, sagt: „Nach dem niedrigsten Stand von Hinrichtungen im Corona-Jahr 2020 wurden 2021 wieder deutlich mehr Menschen durch Staaten hingerichtet. Verantwortlich dafür ist weiter die kleine Gruppe unbelehrbarer Staaten, die an diesen grausamen und unmenschlichen Tötungen festhält, unter anderem Iran und Saudi-Arabien, die staatliche Exekutionen im letzten Jahr stark ausgeweitet haben. Auch in den ersten Monaten des Jahres 2022 setzte sich dieser Trend fort: Saudi-Arabien ließ im März an einem einzigen Tag 81 Menschen hinrichten.“
Für den größten Teil der weltweiten Hinrichtungen war Iran verantwortlich, wo mindestens 314 Menschen exekutiert wurden, nach 246 im Vorjahr 2020. Dieser Anstieg ist teilweise darauf zurückzuführen, dass die iranischen Behörden Drogendelikte vermehrt mit der Todesstrafe ahndeten – obwohl sie nach völkerrechtlichen Bestimmungen nur für vorsätzliche Tötungsdelikte verhängt werden darf. Die iranischen Behörden setzten sich zudem über Kinderrechte hinweg: Sie richteten drei Menschen hin, die zum Zeitpunkt der mutmaßlichen Straftat unter 18 Jahre alt und somit minderjährig waren.
In Saudi-Arabien verdoppelte sich die Zahl der Hinrichtungen von 27 im Vorjahr auf 65 im Jahr 2021. Ein zutiefst mangelhaftes Justizsystem verurteilte beispielsweise Mustafa al-Darwish zum Tode. Die Behörden beschuldigten den jungen Saudi und Angehörigen der schiitischen Minderheit, an einem gewalttätigen Protest gegen die Regierung teilgenommen zu haben. Er wurde im Juni 2021 hingerichtet – nach einem grob unfairen Gerichtsverfahren, in dem ein durch Folter erzwungenes „Geständnis“ als belastendes Material verwendet wurde.
Wie bereits in den Vorjahren sind in dieser Bilanz keine Angaben zu China, Nordkorea und Vietnam enthalten. Amnesty International geht aber davon aus, dass Tausende Hinrichtungen in China und eine beträchtliche Zahl in Nordkorea und Vietnam vollzogen wurden. Die Regierungen dieser drei Staaten halten Angaben zur Todesstrafe unter Verschluss und behandeln sie als Staatsgeheimnis.
Auch die Zahl der Todesurteile stieg zum Teil aufgrund der Lockerung der Coronamaßnahmen, die die gerichtlichen Prozesse zuvor verlangsamt hatten, um fast 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr: In 56 Staaten verurteilten Gerichte mindestens 2.052 Menschen zum Tode. Besonders markant war die Zunahme an Todesstrafen in Ägypten, Bangladesch, Indien, Myanmar und Pakistan. Ungeachtet des Anstiegs ist die globale Gesamtzahl an neu verhängten Todesurteilen die zweitniedrigste seit 2016.
Todesstrafe als Instrument staatlicher Repression
2021 setzten zahlreiche Staaten die Todesstrafe als Instrument der staatlichen Repression von Minderheiten und Demonstrierenden ein. So war die Militärregierung in Myanmar für einen besorgniserregenden Anstieg in der Anwendung der Todesstrafe verantwortlich. Das Militär stellte unter dem herrschenden Kriegsrecht Zivilpersonen vor Militärgerichte, wo sie in Eilverfahren zum Tode verurteilt wurden und keine Rechtsmittel einlegen konnten. In einer augenscheinlich gezielten Repressionskampagne gegen Demonstrierende und Journalist_innen verurteilten die Behörden beinahe 90 Menschen willkürlich zum Tode, mehrere von ihnen in Abwesenheit.
Positive Entwicklung zu einer Welt ohne Todesstrafe
Trotz dieser beunruhigenden Zahlen gibt es auch positive Anzeichen für eine Entwicklung hin zur weltweiten Abschaffung der Todesstrafe. Die Anzahl an Staaten, von denen bekannt ist, dass sie die Todesstrafe anwendeten, blieb das zweite Jahr in Folge auf dem tiefsten Stand seit der ersten Datenerfassung von Amnesty International im Jahr 1979. Kasachstan, Papua-Neuguinea und Sierra Leone brachten Gesetzesänderungen auf den Weg, die bis Anfang 2022 die Todesstrafe in diesen Ländern beendeten. Ghana, Malaysia und die Zentralafrikanischen Republik unternahmen erste Schritte in diese Richtung. In 144 Ländern – mehr als zwei Drittel aller Staaten – ist die Todesstrafe mittlerweile in Gesetz oder Praxis außer Vollzug gesetzt.
Der US-Bundesstaat Virginia schaffte als 23. Staat – und als erster Südstaat – die Todesstrafe ab. Zudem gab die neue US-Regierung im Juli bekannt, dass sie alle Hinrichtungen auf Bundesebene bis auf Weiteres aussetzen werde. 2021 war daher seit 1988 das Jahr mit den wenigsten Exekutionen in den USA.
„Eine Welt ohne staatliches Töten ist nicht nur vorstellbar, sondern möglich – das zeigt die positive Entwicklung der letzten Jahrzehnte: Der Großteil der Staatengemeinschaft hat diese ultimativ grausame, unmenschliche und erniedrigende Strafe abgeschafft oder zumindest ausgesetzt. Doch Ende letzten Jahres saßen mindestens 28.670 zum Tode verurteilte Menschen weltweit in Todeszellen. Es braucht verstärkten Druck der internationalen Staatengemeinschaft auf die kleine, aber sehr aktive Gruppe der weiter hinrichtenden Staaten. Es ist höchste Zeit, die Todesstrafe in die Geschichtsbücher zu verbannen!“, so Beeko.
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