Die Befreiung
Nach einer gefühlten, an der Wand gelehnten, stickig heißen Ewigkeit unterm Sandsack höre ich Schüsse draußen. Lautes Herumschreien. Kommandos fliegen durch die Luft. „Lass das die Jungs vom KSK (Kommando Spezialkräfte, die Spezialkräfte der Bundeswehr) sein“, bete ich. Das Gefechtsgetöse dröhnt zu uns, ich stehe still und lausche dem Kampflärm. Dann plötzlich ganz laut und unvermittelt nahe: „Wir sind deutsche Spezialkräfte. Wir sind hier, um Sie zu befreien. Alle auf den Boden!“ Das ist ein Schock. Ich dachte, so eine Befreiung muss eine freudige Angelegenheit sein. Pustekuchen. Genau genommen machen unsere Befreier genauso weiter, wie die Geiselnehmer aufgehört haben. Sie kommandieren uns herum, zwingen uns auf den Boden. Hinterher erkenne ich das als logisch: Die wissen ja noch nicht, wer Geisel und wer Terrorist ist. Könnte ja sein, dass sich einige Terroristen rasch einen Overall und einen
Sack übergezogen haben, um unerkannt und vor allem lebend zu entkommen.
Also werfe ich mich wieder in den Dreck und versuche, mich nicht hektisch zu bewegen. Auch davor hatte uns der Trainingsleiter beim Briefing gewarnt. Da die Spezialkräfte ebenfalls mit Adrenalin vollgepackt sind und nicht genau wissen, wer Geiselnehmer und wer Geisel ist: „Macht bloß keine hektischen Bewegungen wie Jubelschreie oder Hände erleichtert in die Luft werfen! Am besten die Hände wieder in den Nacken legen und ruhig liegen bleiben.“
Da merke ich, wie ich durchsucht werde. Schon wieder. Wenigstens höre ich dabei eine deutsche Stimme. Man, tut das gut! Innerlich flehe ich, dass sie mir schnell den Sack vom Kopf ziehen. Dann frage ich laut: „Seid Ihr vom KSK?“ Dafür ernte ich ein lautes „Shut up!“ Oha, das hatte ich jetzt nicht erwartet. Das fand ich verstörend. Die benehmen sich exakt wie die Geiselnehmer, und ich habe immer noch den bescheuerten Sandsack auf dem Kopf.
Wir werden auf die Füße gestellt. Es folgen einige Anweisungen der Spezialkräfte untereinander. Dann werden wir so hintereinander aufgereiht, dass jeder die Hände auf die Schultern des Vordermannes
legt. In dieser ziemlich seltsamen Polonaise stehen wir still, während die Spezialkräfte die Lage unter Kontrolle bringen. Dann endlich: „Jetzt können Sie die Säcke runternehmen!“
Erleichterung pur.
Einer der anderen aus unserer Gruppe will erleichtert reden, erntet aber ebenfalls ein brüskes „Shut up!“ Dann spricht der Anführer der Befreier zu uns und erklärt, was jetzt passieren wird. Und zwar: Wir laufen geordnet zum Ausgang, da warten wir dann alle. Wir werden mit dem Helikopter hier herausgeflogen. Echt jetzt? In einem echten Heli? Die fahren für so eine Übung aber schweres Gerät auf! Es wird vereinbart: Für das „Boarding“ gehen je vier Geiseln mit einem Befreier zum Helikopter – auf sein Zeichen.
Jetzt geht die Stahltür nach draußen auf – ich werfe den ersten Blick nach langem ins Freie und bin vom Donner gerührt: Es schüttet wie aus Kübeln, ein veritabler Platzregen. Wow, denke ich, wann hat sich das Wetter denn so verändert? Beim Überfall vor einer gefühlten Ewigkeit schien noch die Sonne, es war brüllend heiß. Bevor ich weiter darüber nachdenken kann, bin ich mit den anderen drei Geiseln an der Reihe. Auf das Signal des Truppführers sprintet einer der Befreier und wir vier hinter ihm nach draußen. Wir rennen auf den Helikopter zu, der vor uns auf der Straße landet. Wir rennen, denn im Ernstfall weiß niemand, ob und wie viele Heckenschützen noch hinter der nächsten Hausecke lauern und Ziel nehmen. Alle springen in den Heli. Anschnallen nicht vergessen.
Ich finde zwar das Schloss, aber keinen Gurt – aber ehrlich, das ist mir jetzt völlig egal. Was für ein geniales Gefühl, befreit zu sein. Sehen, frei atmen zu können. Keine Kabelbinder mehr an den Händen. Die anderen Teilnehmer zu sehen. Da geht der Heli auch schon mit dem typischen Fahrstuhlgefühl, das den Magen auf die Knie rutschen lässt, in die Luft – und ich weine vor Freude. Die Geiselnahme mag simuliert gewesen sein, doch die Gefühle sind echt. Bei allen in der Gruppe gehen die Gefühle hoch. Auch wenn ich subjektiv zu keinem Zeitpunkt Lebensgefahr empfunden habe und auch objektiv nie in echter Gefahr war. Aber dieses befreiende Gefühl überwältigt mich. All die aufgestauten Stress-Hormone, die schweißtreibenden Anstrengungen, die superaufgeladenen Nerven, die heftigen Gefühle der letzten Stunden – alles fällt mit einem emotionalen Knall ab. Das Ende vom Adrenaline Rush. Und das Ende der Übung.
Das Übungsende
Ich lächle meinen Nebenmann an, Michael. Der strahlt ebenfalls aus allen Poren. Beide genießen wir den ungewohnten und unerwarteten Helikopter-Flug.
Bei der Landung sehen wir schon andere Teilnehmer aus unserer Gruppe. Wir fallen uns in die Arme und warten auf die letzten, die noch vom Heli ausgeflogen werden. Erst nach einigen Minuten fällt mir etwas ziemlich offensichtliches auf: Wir stehen alle im Platzregen, sind klitschnass – und keinen stört es. Aus unseren Schuhen läuft Regenwasser und spült den ganzen Stress raus. Wir sehen aus wie orangene Marsmännchen, denke ich. Orange is the new black. Nach ein paar Minuten kommt der Trainingsleiter dazu und erklärt mit wohlwollendem Lächeln:
„Exit, Übungsende.“
Es folgt ein kurzes Feedback reihum. Den „Gefangenen“ stehen zum Abschluss jetzt auch alle „Geiselnehmer“ gegenüber. Endlich, von Angesicht zu Angesicht. Ich bin überrascht: ein großes Team von 18 Mann, eine kleine Armee. Wahnsinn, dass es so viele sind, hätte ich nie gedacht, geschweige denn in der Geiselhaft wahrgenommen. Wir sind alle unglaublich aufgedreht und laufen fast beschwingt zu unserem Trainingsgelände zurück. Alle reden wild durcheinander. Jeder erzählt jedem seine Eindrücke. Den einen haben die Geräusche verstört (das fremdsprachige Macho-Gebrüll, das penetrante Klicken des Feuerzeugs, das einschüchternde Herumbrüllen der Wachen), andere fühlten sich vom knurrenden Schäferhund eingeschüchtert. Wieder andere empfanden es als entwürdigend, nur noch als Nummer angesprochen zu werden.
Danach Während wir zurücklaufen, ziehe ich das Fazit meines eigenen Verhaltens. Bis auf die ersten zwei Minuten der Übung war ich mental stark und habe mich nicht aus der Fassung bringen lassen. Mir fiel das Atmen schwer unter dem Sack und dann wurde das unbequeme Herumstehen zur Qual. Das zähle ich zu meinen Lowlights. Aber weder die Geräusche, noch die Schnüffelei, das Angefasstwerden oder das Verhör haben mich erschüttert. Das Verhör war sogar mein Highlight, wie auch die Autofahrten – und dann erst die Evakuierung per Helikopter! Bei einer Geiselnahme von „Highlights“ zu sprechen – ist das übertrieben oder bereits Zeichen ordentlicher Resilienz?
Natürlich ist mir klar: Wäre das eine echte Geiselnahme gewesen, hätte es sicher Gewalt und Folter gegeben, vielleicht auch Vergewaltigung. Dann wären möglicherweise noch Knebel und Kopfhörer dazu gekommen, um uns aller Sinne zu berauben. Wie lange und ob man das überhaupt überstanden hätte, vermag ich nicht zu sagen – und möchte es nie erleben. Das hier hat gereicht, um einen realitätsnahen Eindruck zu erhalten und die eigene Stress-Resistenz einem Hochintensiv-Training zu unterziehen. Ich könnte mir Führungskräfte vorstellen, die nach so einem Training nie wieder Bammel selbst vor der schärfsten Vorstandspräsentation haben.
Ich drehe mich zu einem der Trainer um und frage: „Wie lange hat die Übung eigentlich gedauert?“ „Knapp drei Stunden“, höre ich. Wie bitte? Das waren nur drei Stunden? Mir kam das sehr viel länger vor. Der Trainer sagt: „Mit einigen Gruppen machen wir das auch sechs Stunden lang.“ Ich denke: Nein, danke. Geisel möchte ich nie wieder sein! Schon lieber Kommandosoldat. Auf jeden Fall trainiert und gut ausgebildet für diese Lagen.
Nach unserer „Befreiung“ sind wir alle platt. So viel Adrenalin hatte ich noch nie im Blut. Noch Tage später, als ich längst wieder zu Hause bin, baut mein Metabolismus den StresshormonÜberschuss ab – dergestalt, dass ich keine vier Stunden pro Nacht schlafe, über drei Tage hinweg!
Das Debriefing
Am nächsten Tag machen wir eine professionelle Aufarbeitung der einzelnen Phasen des Überfalls und der Gefangenschaft. Alles wurde auf Video aufgenommen. Ich sehe, wie viele Personen auf der Seite der vorgeblichen Geiselnehmer dabei waren. Auch sehe ich, dass zu jedem Zeitpunkt der Sanitäter vor Ort war und ständig kontrolliert hat, ob es allen gut geht. Auch der Psychologe war ständig dabei und wäre beim ersten Anzeichen einer Panikattacke eines Teilnehmers sofort eingeschritten. Wobei Menschen, die zu Panikattacken neigen, eher nicht so ein Training besuchen. Das wäre Konfrontationstherapie der dritten Art. So gehen wir Szene für Szene durch. Mit dem Psychologen ordnen wir unsere Stressreaktionen und unser Verhalten gemeinsam ein. Das ist nochmal sehr hilfreich. Auch zeigt der Austausch mit den anderen, dass jeder seine eigene Coping Strategy, Bewältigungsstrategie, seine ureigenen Gefühlsreaktionen, High- und Lowlights hatte. Erst jetzt kriege ich mit: Einige der Geiseln sagten tatsächlich mittendrin „EXIT!“ Du weißt nie, was du wirklich drauf hast, bis du an deine Grenze gehst. Und darüber hinaus. „EXIT“ zu benutzen ist ein in die Übung eingebauter Schutz, um zu verhindern, dass über die persönliche Belastungsgrenze gegangen wird. Die persönliche Grenze liegt bei jedem woanders und ist kein Makel. Es soll nur erreicht werden, diese Grenze zu kennen, nicht aber sie zu überwinden.
Natürlich hat der Helikopter-Flug einen ganz besonders emotionalen Höhepunkt gesetzt. Einfach toll!
Alle sind nachhaltig begeistert von dieser einmaligen Erfahrung und jeder nimmt viele Eindrücke mit. Alle Teilnehmer aus unserer Gruppe gehen sensibilisiert und weitaus stress-resistenter als zuvor in ihre Einsatzländer. Ich wünsche allen, dass sie dort viel Gutes tun, wohlbehalten zurückkommen und ihr erworbenes Wissen nie anwenden müssen. Und wenn doch: Immer durch den Sack atmen! Auch das haben wir im Container gelernt: Wenn nichts mehr hilft, hilft Galgenhumor.
Auch eine Bewältigungsstrategie. Meine „Geisel-Kollegen“ sagten hinterher: „Uns hat das ja mehr oder minder geschockt – aber schön, dass die Wiebke die ganze Zeit über großen Spaß hatte!“ Und alle lachten. Leute, was habt ihr erwartet? Ich komme aus dem Management. Und das ist ebenfalls kein Pony-Hof.
HEAT war so dermaßen mein Ding, dass ich spontan beschließe: Im nächsten Leben werde ich Kommandosoldat. Und in diesem buche ich das nächste Training bei der HEAT Akademie. Persönliche Bemerkung Mario Pröhl, der Gründer und Leiter der H.E.A.T. Akademie, war 23 Jahre lang bei der Bundeswehr und lange Zeit selbst Kommandosoldat. Er weiß mit jedem Handgriff, jeder Erläuterung, was er tut, was Sache ist und was du tun musst, um selbst in brenzligsten Situationen zu überleben und souverän zu bleiben. Wenn ich bewerten müsste, was ich bei ihm erlebt und gelernt habe, dann bekämen er, sein Kurs und sein ganzes Team mein uneingeschränktes 5-Sterne-Rating
mit Extra-Bonus. Seit Jahren ist HEAT ein Muss für jeden, der in kritische Regionen reist, aber auch für alle, die auf unvorhergesehene Situationen hier in Deutschland vorbereitet sein wollen. Und für alle Führungskräfte in der Wirtschaft, die eine Stress-Resistenz erwerben wollen, die ihresgleichen sucht.
Autorin:
Wiebke Köhler ist seit über zwanzig Jahren Top Management Strategieberaterin; auch ist sie Gründerin, Key Note Speakerin und mehrfache Buchautorin. Sie arbeitete während ihrer beruflichen Laufbahn in den Top Management Beratungen bei Roland Berger und McKinsey & Co. Als Partnerin im Executive Search begleitete sie internationale, globale Konzerne bei der Besetzung von Vorstandspositionen und bekleidete zuletzt die Position als Personalvorstand bei der AXA Konzern AG in Deutschland. Sie ist CEO der Top Management Beratung impactWunder und unterstützt Konzerne in strategischen Fragen des Marketings und im HR, vor allem rund um Kultur, Werte- und Machtwandel und bei der Führungskräfteentwicklung. Sie engagiert sich ehrenamtlich für eine bessere Vernetzung von Bundeswehr und ziviler Gesellschaft und hat dazu bisher zahlreiche Artikel und zwei Bücher („Führen im Grenzbereich“ und „Besuch bei der Truppe – Menschen in Uniform“) veröffentlicht.
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