Polens neue politische Ära: Zwischen Souveränität und geopolitischem Drahtseilakt

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Mit der Vereidigung von Karol Nawrocki zum neuen Präsidenten betritt Polen politisches Neuland. Der parteilose Historiker, von der rechtskonservativen PiS unterstützt, hat sich in seiner Antrittsrede unmissverständlich positioniert: „Nein zu illegaler Migration, ja zum Zloty, nein zum Euro.“ Das ist ein Frontalangriff auf die bisherige, stark pro-europäische Linie von Premier Donald Tusk.

Die Botschaft ist klar: Mehr nationale Souveränität, weniger Brüssel. Nawrocki verspricht den Polen Schutz vor unkontrollierter Migration und wirtschaftlicher Eigenständigkeit. Vor allem der Widerstand gegen den Euro signalisiert, dass Warschau keine Lust hat, sich finanziell noch enger an die EU zu ketten. Gleichzeitig könnte dies die ohnehin spannungsgeladene Beziehung zwischen Tusk-Regierung und Präsidialamt weiter verschärfen – eine Art politisches Tauziehen zwischen Warschau und Brüssel ist vorprogrammiert.

Die große Frage: Wie hält es Polen mit Russland?
Bisher war Polens Haltung gegenüber Moskau klar ablehnend – historisch bedingt, durch den Ukrainekrieg gefestigt und von der alten Regierung befeuert. Doch Nawrocki ist ein Mann der Symbolpolitik. Seine Slogans deuten eher auf nationale Selbstbehauptung als auf blinde Gefolgschaft gegenüber Washington oder Brüssel hin. Ob das eine vorsichtige Entspannung gegenüber Russland oder nur eine lautere Eigenständigkeit innerhalb des Westbündnisses bedeutet, bleibt abzuwarten.
Eine Kehrtwende à la „polnisch-russische Freundschaft“ ist allerdings vorerst unwahrscheinlich – die Skepsis gegenüber dem östlichen Nachbarn sitzt tief in der polnischen Gesellschaft.

Zwischen USA, EU und Eigenkurs
Die US-Beziehung bleibt ein Schlüsselfaktor. Solange die Amerikaner Polen als Frontstaat gegenüber Russland sehen, wird Warschau die Sicherheitsgarantie aus Washington nicht riskieren. Aber Nawrocki könnte den Ton ändern: weniger transatlantisches Pflichtgefühl, mehr Selbstbewusstsein nach dem Motto „Polen zuerst“.

Fazit: Polen tritt in eine Phase politischer Reibung ein. Ein selbstbewusster Präsident, ein pro-europäischer Premier, ein Land zwischen Ost und West – und die Frage, ob Warschau künftig Störenfried oder Mittler sein wird, bleibt offen. Sicher ist nur: Europa wird sich an ein unbequemeres Polen gewöhnen müssen.


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