Massaker und Massenflucht: Tausende Syrer suchen Schutz vor islamistischen Kämpfern
Seit dem Umsturz in Syrien überschattet eine neue Welle der Gewalt das Land. Besonders betroffen ist die Küstenregion um Latakia, wo es in den letzten Tagen zu blutigen Massakern an alawitischen Zivilisten gekommen ist. Kämpfer der radikal-islamistischen Hayat Tahrir al-Sham (HTS), die mittlerweile große Teile der neuen Regierung dominieren, haben sich Berichten zufolge an Vergeltungsaktionen gegen die religiösen Minderheiten des Landes beteiligt. Vor allem Alawiten, Christen und Drusen sollen ins Visier geraten sein.
Brutale Angriffe und Berichte über gezielte Massaker
Unabhängige Beobachter sprechen von massiven Übergriffen gegen alawitische Dörfer. Menschenrechtsorganisationen wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) berichten von außergerichtlichen Hinrichtungen und gezielten Angriffen auf die Zivilbevölkerung. In einigen Ortschaften seien ganze Familien ermordet oder in Gefangenschaft verschleppt worden. Die Bilder, die aus den betroffenen Regionen auftauchen, zeichnen ein schockierendes Bild – aufgespießte Leichen, verbrannte Häuser und wahllose Erschießungen.
Die Vereinten Nationen äußerten sich „äußerst besorgt“ über diese Berichte und sprechen von potenziellen Kriegsverbrechen. Auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) fordert dringend ungehinderten Zugang zu den betroffenen Gebieten, um Verletzte zu versorgen und humanitäre Hilfe zu leisten. Dennoch bleibt die Lage unübersichtlich, da unabhängige Reporter kaum Zugang zu den umkämpften Regionen haben.
Flucht in Richtung russische Militärbasis
Angesichts der Gewalt und der wachsenden Unsicherheit sollen tausende alawitische Zivilisten aus ihren Dörfern in Richtung der russischen Militärbasis Hmeimim in Latakia geflohen sein. In sozialen Netzwerken verbreiteten sich in den vergangenen Tagen dramatische Aufnahmen von Menschen, die in Panik Zuflucht in der Nähe der russischen Truppen suchen. Einige Quellen sprachen sogar von über 8.000 Schutzsuchenden, die sich in das Gebiet der Luftwaffenbasis geflüchtet haben.
Internationale Nachrichtenagenturen wie Reuters und AP konnten diese Zahl bislang jedoch nicht unabhängig bestätigen. Sie berichten zwar übereinstimmend, dass „Hunderte“ – möglicherweise auch mehr – Zivilisten vor den Übergriffen der islamistischen Milizen geflohen sind und Schutz auf russischem Gebiet suchten. Von einer fünfstelligen Zahl ist allerdings in diesen Berichten nicht die Rede. Dennoch lassen vorhandene Bild- und Videodokumente den Schluss zu, dass sich deutlich mehr Menschen als offiziell bestätigt in der Nähe der Basis aufhalten.
HTS bestreitet Vorwürfe, Russland hält sich bedeckt
Während regierungsnahe syrische Quellen und russische Medien die Angriffe auf die Alawiten als „ethnische Säuberungen“ einstufen, weist HTS die Vorwürfe eines „Genozids“ vehement zurück. Der Anführer der neuen Regierung, Ahmad al-Sharaa, erklärte in einer Fernsehansprache, dass es sich um eine „notwendige Operation“ gegen Assad-loyale Kräfte handele, bestritt jedoch gezielte Angriffe auf Zivilisten. Gleichzeitig gibt es Berichte über öffentliche Exekutionen von Anhängern des gestürzten Regimes.
Russland hat sich offiziell nicht konkret zu den Flüchtlingen geäußert. Außenminister Sergej Lawrow sprach lediglich von einer „inakzeptablen Situation“ und betonte, dass Moskau nicht tatenlos zusehen werde, sollte sich die Sicherheitslage weiter verschärfen. Aus dem Umfeld des russischen Militärs wurde bestätigt, dass die Basis Hmeimim nicht direkt angegriffen wurde und „keine unmittelbare Gefahr“ bestehe. Ob und wie viele Zivilisten dort aufgenommen wurden, blieb jedoch unklar.
Fazit: Eine dramatische Lage mit ungewisser Dimension
Die Ereignisse der letzten Tage zeigen, dass Syrien erneut am Rande eines humanitären Desasters steht. Tausende Menschen sind auf der Flucht, zahlreiche Familien haben Angehörige verloren, und die religiösen Spannungen drohen erneut in eine Spirale der Gewalt zu münden. Während unabhängige Quellen die exakte Zahl der Flüchtlinge auf Hmeimim nicht bestätigen können, sind die Berichte über Massaker an Zivilisten gut dokumentiert.
Die vorhandenen Bilder von Flüchtlingen lassen vermuten, dass die von prorussischen und syrischen Quellen genannte Zahl von 8.000 nicht aus der Luft gegriffen ist – doch ohne eine unabhängige Bestätigung bleibt sie vorerst spekulativ. Klar ist jedoch, dass die Situation vor Ort immer dramatischer wird. Sollte sich die Gewalt weiter ausbreiten, droht eine neue humanitäre Katastrophe in der Region.