Jeder kennt sie aus dem Wetterbericht: die gefühlte Temperatur. Während das Thermometer eine klare Zahl anzeigt, wird uns oft eine zweite, subjektivere Größe präsentiert – eine Temperatur, die eher dem entspricht, was unser Körper wahrnimmt. Doch wie wird diese eigentlich ermittelt? Und wer bestimmt, was wir “fühlen” sollten?
Die gefühlte Temperatur ist das Ergebnis verschiedener meteorologischer Berechnungen. Sie berücksichtigt neben der tatsächlichen Lufttemperatur auch Faktoren wie Windgeschwindigkeit, Luftfeuchtigkeit und Strahlungswärme. So entsteht zum Beispiel der sogenannte “Windchill-Effekt” im Winter: Kalter Wind entzieht der Haut schneller Wärme, wodurch es kälter erscheint, als es tatsächlich ist. Umgekehrt sorgt hohe Luftfeuchtigkeit im Sommer dafür, dass unser Körper die Hitze schlechter abgeben kann – es fühlt sich heißer an als das Thermometer anzeigt.
Meteorologen greifen für diese Berechnungen auf standardisierte Modelle zurück. Diese beruhen auf einem fiktiven “Durchschnittsmenschen”, meist definiert als eine Person mittleren Alters, mit durchschnittlichem Stoffwechsel, bekleidet mit standardisierter Kleidung und in gemäßigter Aktivität. Die Werte stammen aus experimentellen Untersuchungen und werden durch Algorithmen für verschiedene Wetterbedingungen angepasst. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) oder internationale Institutionen wie das National Weather Service (NWS) in den USA veröffentlichen regelmäßig gefühlte Temperaturen basierend auf solchen Modellen.
Doch während die gefühlte Temperatur ursprünglich dazu diente, den Menschen ein praxisnäheres Verständnis für das Wetter zu geben, hat sie sich zunehmend verselbstständigt. In der öffentlichen Wahrnehmung scheint sie oft wichtiger zu sein als die objektiv messbare Temperatur. Wetterberichte sprechen mittlerweile fast reflexartig von “Hitzewellen” oder “extremer Kälte”, selbst wenn die Thermometerwerte in einem normalen Bereich liegen. Diese Emotionalisierung des Wetters passt gut in die Zeit: Wir sollen nicht nur das Wetter erfahren, sondern es auch “fühlen” – und zwar möglichst intensiv.
Und hier kommt der KLIMA-Michel ins Spiel. Er verlässt sich blind auf diese Berechnungen, ohne sich die Grundlagen näher anzusehen. Wenn ihm gesagt wird, dass 30 Grad sich anfühlen wie 40, dann ist es für ihn so. Ob sich diese Berechnungen wirklich mit seiner eigenen Wahrnehmung decken, spielt dabei kaum eine Rolle. Der KLIMA-Michel orientiert sich an den medial vermittelten Gefühlen, nicht an der tatsächlichen Realität.
Vielleicht wäre es an der Zeit, wieder mehr auf das Thermometer zu achten – und weniger darauf, was uns gesagt wird, was wir empfinden sollten.