Gastbeitrag: Der deutsche Bundeskanzler zwischen den Fronten

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Der Autor H. Joseph Fleming ist ein profunder Kenner Russlands, seines Militärs sowie der russischen Verteidigungspolitik und bietet gern Perspektiven an, die so im Westen nicht gern veröffentlicht werden.

 

Die Kanzlerschaft von Olaf Scholz fällt offenbar in die angespannteste Zeit der Beziehungen des Westens zu Russland seit dem Ende des Kalten Krieges.

Der Unterschied zwischen Scholz und seiner Vorgängerin besteht darin, dass er in seinem aussenpolitischen Handeln durch die politischen Grundsätze seiner Junior-Koalitionspartner eingeschränkt ist. Die Positionen der ehemaligen Partner in der „Grossen Koalition“ von CDU/CSU und SPD bezüglich der Aussenpolitik gegenüber Russland stimmten mehr oder weniger überein, so dass es für Angela Merkel leichter war zu manövrieren.

Olaf Scholz steht nicht nur durch seine „grüne“ Aussenministerin unter Druck, sondern auch von Deutschlands NATO-Verbündeten, allen voran Polen und die baltischen Staaten. Sie erwarten von Berlin ein entschiedeneres Vorgehen gegen Russland und drängen Deutschland, die Pipeline „Nord Stream 2“ zu blockieren, die Ukraine zu bewaffnen und grössere Kontingente der Bundeswehr an die Ostflanke des Militärbündnisses zu verlegen. Allerdings wehrt sich Scholz verzweifelt gegen Versuche, Deutschland in eine Konfliktspirale zu ziehen.
Gleichzeitig ist er darauf bedacht, nicht der „Russophilie“ und des „Verrats an westlichen Werten“ beschuldigt zu werden und sich solidarisch gegenüber den Verbündeten aus EU und NATO zu verhalten. Nachdem die USA und Grossbritannien die Ukraine mit tödlichen Waffen, Raketen, Panzerabwehrmittel und anderem militärischem Gerät aufgerüstet haben, schickten die Deutschen als symbolische Geste „immerhin“ 5‘000 Stahlhelme in Richtung Kiew.

Trotz der komplizierten und zwiespältigen Lage, in der sich Scholz nun befindet, unternimmt er und sein Kabinett alles, um eine Eskalation der Konfrontation in Europa zu begrenzen. Und das ist nicht nur der Wunsch des deutschen Bundeskanzlers, sondern ein Spiegelbild der Stimmung im gesamten deutschen Establishment. Denn immerhin haben in den vergangenen zwei Monaten deutsche Politiker und hohe Beamte verschiedener politischer Lager lautstarke Erklärungen über die Notwendigkeit eines Kompromisses mit Russland abgegeben. Dass es in den deutschen Leitmedien etwas anders klingt, sollte man ignorieren.

Die versöhnliche Haltung Deutschlands beruht auf dem Wunsch, die Spannungen in Osteuropa zu begrenzen und einen Krieg um die Ukraine und präventive Sanktionen des Westens gegenüber Russlands zu verhindern. Denn eine weitere Eskalation der Spannungen im Ukraine-Konflikt schadet unmittelbar deutschen Interessen nicht nur in Richtung Russland, sondern auch in der euro-atlantischen Gemeinschaft. Je mehr sich aber die Eskalationsspirale entfaltet, desto geringer ist die Chance, dass Bundeskanzler Scholz „Nord Stream 2“ erhalten und sich als Hauptvermittler in den Beziehungen zwischen dem Westen und Russland einbringen kann.

Die aktuellen diplomatischen Gespräche über Fragen der europäischen Sicherheit haben jedoch bereits deutlich gezeigt, dass Russland beabsichtigt, nur mit den Vereinigten Staaten mit der westlichen Welt zu verhandeln, ohne europäische Amtskollegen einzubeziehen. Die USA ihrerseits ist auch bereit, „über die Köpfe seiner Verbündeten hinweg“ mit Russland zu sprechen.
So finden in Genf bereits Verhandlungen zwischen den USA und Russland über die von Russland vorgeschlagenen Sicherheitsklauseln statt, die auch die Nichterweiterung der NATO beinhalten. Auch die Konsultationen im Russland-NATO-Format verzichten auf eine Teilnahme der Deutschen. Deutschlands Widerstand im Verhandlungsprozess ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass die deutsche pazifistische Haltung nicht zur Regierung von Biden passt. Die Vereinigten Staaten verstehen nicht, dass Deutschland nicht bereit ist, „Nord Stream 2“ zu blockieren, sondern versucht, Putin zu beschwichtigen.

Das macht aber auch deutlich, in welchem Dilemma sich die deutsche Position und somit auch der deutsche Kanzler in der gegenwärtigen Lage befindet. Wenn Scholz sich gegenüber Moskau zurückhaltend verhält, riskiert er, das Vertrauen der Verbündeten zu verlieren und schliesslich ganz aus der amerikanisch-russischen Konfrontation / Diplomatie ausgeschlossen zu werden. Wenn sich aber der Kanzler dem „Muskelspiel der NATO“ anschliesst und die Sanktionen gegenüber Moskau verschärft, dann verliert er die Möglichkeit, mittels Diplomatie auf Russland einzuwirken.
Es scheint so, dass Bundeskanzler Scholz versucht, auf beide Optionen zu setzen. Mitte Januar schickte er seine Aussenministerin nach Moskau, der es offenbar gelungen ist, den „Minsker Prozess“ im Normandie-Format wiederzubeleben. Am 7. Februar flog der deutsche Bundeskanzler in die Vereinigten Staaten. Dort hat Biden ihm klar gemacht, was im transatlantischen Lager schon lange von Scholz erwartet wurde. Denn nun drohte der Bundeskanzler eindeutig mit Sanktionen gegen Russland im Falle eines Angriffs auf die Ukraine.

Beim ersten persönlichen Treffen mit Putin wird der deutsche Staatschef versuchen, den Prozess zur Friedenssicherung weiterzuentwickeln, der bereits von Macron eingeleitet wurde. Die Gespräche dauerten mehr als fünf Stunden. Die Staats- und Regierungschefs Russlands und Frankreichs erörterten die Lage in der Ukraine und die Garantien für eine europäische Sicherheit.
Am 7. und 8. Februar gelang es dem französischen Präsidenten, Putin und seinen ukrainischen Amtskollegen Selenskyj dazu zu bringen, die Verhandlungen im Normandie-Format zu intensivieren und in naher Zukunft ein Treffen auf der Ebene der Staatschefs der vier Länder abzuhalten.
Das darauf folgende zweite Treffen der politischen Berater der Normandie-Vier in Berlin zeigte aber, dass es noch ein weiter, steiniger Weg ist, um ein erstes Gipfeltreffen der vier Staats- und Regierungschefs herbeizuführen.

Gestern fand ein weiteres Telefonat zwischen Macron und Putin statt, welches fast zwei Stunden dauerte. Auch wurde bekannt, dass am Samstag auch ein Telefongespräch des russischen Staatschefs mit US-Präsident Joe Biden stattgefunden hat. Über Details dieser Gespräche wurde bisher nichts bekannt.

 

Auch von Herrn Fleming:

Gastautor: Russlands militärische Macht (nordhessen-journal.de)


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