Ein wenig Systemkritik
Freitagvormittag, Frankfurter Straße in Kassel: Eine Frau steht an der Straße, zielt mit einer täuschend echten Waffe auf Autos und Passanten. Es ist 10:50 Uhr, der Notruf läuft heiß, die Polizei rückt an, nimmt die Frau fest. Die Waffe? Eine Softairpistole. Die Tat? Eindeutig bedrohlich. Die Erklärung? Natürlich: Psychisch krank.
Und schon wieder sitzt man als Otto-Normalleser da, denkt sich „Nicht schon wieder“ – und liest zum gefühlt 100. Mal dieselbe Leier: Täter*in verwirrt, labil, psychisch auffällig, eingewiesen. Fall erledigt.
Aber ist er das wirklich?
Natürlich hatte die Dame „einen an der Waffel“ – das steht außer Frage. Wer auf Passanten zielt, hat ein Rad ab, da muss man nicht lange diskutieren. Doch das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist: Was macht unsere Gesellschaft eigentlich mit solchen Fällen? Und warum ist plötzlich jede Tat ein Fall fürs Fachkrankenhaus und nicht mehr fürs Strafgericht?
Früher sprach man von einem gefährlichen Spinner, heute steht im Polizeibericht: „verwirrter Eindruck“. Früher hieß es: ab in den Knast, heute: ab in die Psychiatrie. Verantwortung? Täterschaft? Schuldfähigkeit? Wird alles stillschweigend übertüncht – mit dem Etikett psychische Störung. Praktisch. Und bequem.
Natürlich gibt es Menschen, die krank sind. Natürlich brauchen sie Hilfe. Aber wenn jeder, der sich danebenbenimmt, sofort aus der strafrechtlichen Verantwortung entlassen wird, dann stellt sich die Frage: Gibt es überhaupt noch „normale Täter“? Oder ist die moderne Gesellschaft nur noch eine Mischung aus Symptomen, Diagnosen und Erklärungsmodellen?
Der Mann mit dem Messer? Psychose.
Die Frau mit der Axt? Traumatisiert.
Der Randalierer am Bahnhof? Manisch-depressiv.
Der Otto-Normalleser denkt sich: Na, wenn das so weitergeht, ist bald nur noch der Steuerzahler voll schuldfähig.
Die Folge? Die Leute verlieren das Vertrauen. Nicht nur in die Justiz, sondern in das ganze System. Denn sie sehen: Der kleine Falschparker wird gnadenlos abkassiert. Aber wer mit einer Waffe auf Menschen zielt – bekommt Hilfe, keine Strafe.
Fazit:
Diese Frau in Kassel war psychisch auffällig? Ja. Aber sie hat auch mit einer Waffe auf Menschen gezielt. Das ist eine Bedrohung – und kein Unfall. Wer so handelt, gehört zur Rechenschaft gezogen. Hilfe ist wichtig, aber sie darf nicht an die Stelle von Verantwortung treten.
Denn wenn der Satz „sie war wohl psychisch krank“ zur Standardformel in Pressemitteilungen wird, dann hat nicht nur das Justizsystem ein Problem – sondern auch unser gesunder Menschenverstand.