Von [C.Bueltemann]
Deutschland ist wirtschaftlich angeschlagen. Die einstige Exportmaschine stottert, die Industrieproduktion sinkt, der Fachkräftemangel lähmt ganze Branchen. Energiepreise bleiben hoch, Investitionen wandern ab – nach Asien, nach Nordamerika, aber kaum noch nach Berlin oder Stuttgart. Kurz gesagt: Wir hätten alle Hände voll zu tun, unsere wirtschaftliche Basis zu sichern. Doch anstatt die eigenen Wunden zu versorgen, stellt sich Deutschland freiwillig an eine Front, die andere ausgerufen haben.
Polen, Estland, Lettland und auch Großbritannien inszenieren sich derzeit als neue sicherheitspolitische Führungsmächte Europas. Ihre Linie: maximale Abschreckung, maximale Aufrüstung, maximale Nähe zur NATO – koste es, was es wolle. Und wer soll es zahlen? Natürlich auch Deutschland und auch für sie!
Vor allem Polen fällt ins Auge: Ein Land, das nach wie vor Milliarden aus Brüssel erhält – nicht zuletzt finanziert vom deutschen Steuerzahler. Doch statt Dankbarkeit oder Ausgleich gibt es Ansagen. Polen beansprucht Führungsanspruch, fordert Rüstung, Truppen, Grenzverteidigung. Gleichzeitig verweigert es sich oft gemeinsamen europäischen Standards – ob in der Justizpolitik, in der Medienfreiheit oder bei der demokratischen Kontrolle. Europa ja, aber nur zu eigenen Bedingungen. Und Deutschland? Winkt ab, zahlt weiter, liefert Waffen.
Dasselbe Bild bei Großbritannien: Nach dem Brexit weitgehend von EU-Verpflichtungen befreit, verfolgt London eine aggressive Sicherheitsagenda und sucht neue Allianzen – bevorzugt mit den USA, Polen, dem Baltikum. Deutschland dient dabei als stiller Mitfinanzierer, ohne Mitspracherecht. Eine gefährliche Entwicklung.
Denn während andere Länder ihre militärischen Muskeln spielen lassen, trägt Deutschland das wirtschaftliche Risiko. Es geht um Milliarden. Und es geht um Vertrauen – in die Vernunft der Politik, in die Souveränität der Bundesrepublik.
Natürlich: Die russische Aggression in der Ukraine ist eine historische Zäsur. Sicherheit ist nicht umsonst. Aber müssen wir wirklich jeden sicherheitspolitischen Vorstoß mittragen, der nicht bei uns konzipiert wurde, aber auf unserem Rücken ausgetragen wird?
Deutschland muss lernen, außenpolitisch wieder selbst zu denken. Nicht als Trittbrettfahrer, nicht als Querulant – sondern als strategisch denkende Mittelmacht mit wirtschaftlicher Verantwortung und politischer Vernunft. Es geht nicht darum, sich von Europa abzuwenden, sondern darum, sich von einseitigen Rollen zu befreien: vom Zahlmeister, vom stillen Mitläufer, vom permanenten Verteidiger fremder Interessen.
Isolation wäre falsch. Aber blinder Gehorsam ebenso. Es gibt Alternativen: eine souveräne Außenpolitik, die militärische Zurückhaltung nicht mit Schwäche verwechselt. Eine kluge Wirtschaftsstrategie, die Investitionen ins eigene Land zurückholt, statt Milliarden für militärische Prestigeprojekte im Ausland zu verschleudern. Und eine realistische Europapolitik, die nicht nach Schuld, sondern nach Nutzen fragt – auch für Deutschland.
Wir sind keine Frontnation. Wir sind ein Land mit wirtschaftlichem Gewicht, mit diplomatischem Feingefühl, mit historischem Verantwortungsbewusstsein. Das heißt nicht, sich jeder Solidarität zu verweigern. Aber es heißt, Maß zu halten. Und Grenzen zu ziehen – notfalls auch in Richtung Warschau, Riga oder London.
Die Bundesrepublik darf sich nicht treiben lassen – weder von Ängsten noch von Allianzen. Es ist Zeit, dass Deutschland wieder eine eigene Linie findet. Eine Linie, die nicht ins nächste Gefecht führt, sondern in die wirtschaftliche Erholung.
Wir brauchen keine neue Frontlinie. Wir brauchen eine neue Priorität.
Über den Autor:
[C.Bueltemann] ist unabhängiger Analyst für europäische Wirtschaftspolitik und beschäftigt sich mit den Wechselwirkungen zwischen Sicherheit, Souveränität und Standortattraktivität. Er plädiert für eine selbstbewusste deutsche Außenwirtschaftspolitik, die nationale Interessen nicht aus dem Blick verliert. Er hatte zahlreiche Veröffentlichungen auch auf internationalen Medien wie TV-BRICS