Nach Jens Spahn spricht auch Wadephul über Zusammenarbeit mit der AfD – Immer mehr CDU-Verbände ignorieren das Dogma aus Berlin
Es war nur eine Frage der Zeit. Die viel beschworene „Brandmauer“ zur AfD – ohnehin eine politische Fehlkonstruktion, die mehr an Symbolik als an Realität grenzte – bekommt tiefe Risse. Nach Jens Spahn, der bereits vor wenigen Wochen für Furore sorgte, folgt nun der nächste hochrangige CDU-Politiker: Johann Wadephul, Vizefraktionschef der Union im Bundestag, hat offen das bisherige Tabu infrage gestellt. In einem Interview mit dem ZDF warnte er davor, der AfD kategorisch den Zugang zu demokratischen Prozessen wie dem Vorsitz in Bundestagsausschüssen zu verweigern. Man könne „nicht einfach sagen, mit der AfD reden wir nicht, egal was ist“ – ein bemerkenswerter Satz aus dem Munde eines CDU-Spitzenmanns.
Die Realität auf kommunaler Ebene: Die Basis pfeift auf Berlin
Während die Parteiführung unter Friedrich Merz stur an ihrer strategischen Linie festhält und immer wieder reflexartig von „roten Linien“ und der „Unvereinbarkeit“ mit der AfD faselt, sieht die Realität in vielen Regionen längst anders aus. Aus Thüringen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und zunehmend auch aus westlichen Bundesländern werden Stimmen laut: Ganze Kreis- und Ortsverbände der CDU sprechen sich offen für Gespräche – ja sogar Kooperationen – mit der AfD aus.
Der Grund ist simpel und pragmatisch: Dort, wo man sich politisch die Hände schmutzig machen muss – bei Kita-Finanzierung, Infrastruktur und Sicherheit – funktioniert ideologisches Schwarz-Weiß-Denken schlicht nicht. Und viele CDU-Kommunalpolitiker haben die Faxen dicke. Sie sehen, dass die AfD in ihren Regionen nicht aus dem Luftschutzkeller kommt, sondern von vielen Bürgern als normale Partei wahrgenommen wird – ob das nun gefällt oder nicht.
Merz in der Zwickmühle: Führung oder Realitätsverweigerung?
Friedrich Merz steht zunehmend unter Druck. Einst als Hoffnungsträger der wirtschaftsliberalen und konservativen CDU-Basis gefeiert, wirkt er mittlerweile wie ein Gefangener der eigenen Rhetorik. Die Linie ist unklar, die Kommunikation widersprüchlich. Erst hieß es, man arbeite auf kommunaler Ebene mit niemandem zusammen, dann war’s plötzlich nur noch „nicht in Regierungsverantwortung“, und zuletzt klang es eher wie: „Also wenn’s halt gar nicht anders geht…“
Die Glaubwürdigkeit leidet. Und mehr noch: Die Autorität. Merz kann zwar in Talkshows mit kernigen Sprüchen glänzen, aber das funktioniert nur, solange ihm die Partei auch folgt. Wenn jedoch immer mehr Abgeordnete aus der zweiten und dritten Reihe – also jene, die näher an den Wählern sind – die „Brandmauer“ offen infrage stellen, droht ihm der Kontrollverlust. Die Rebellion ist da – leise, aber stetig wachsend.
Ein Paradigmenwechsel steht bevor
Es geht längst nicht mehr nur um die AfD. Es geht um eine Neuvermessung des bürgerlichen Lagers. Der politische Raum rechts der Mitte ist nicht leer – er wurde nur lange ignoriert oder verteufelt. Doch Millionen Wähler sehen sich dort inzwischen nicht mehr vertreten. Wenn die CDU diesen Raum nicht zurückerobert, wird es ein anderer tun – und der sitzt längst im Bundestag.
Die Frage ist nicht mehr ob die CDU mit der AfD spricht, sondern wann – und in welchem Rahmen. Die Verbände vor Ort haben den Anfang gemacht. Die Abgeordneten folgen. Der Druck steigt. Und Friedrich Merz? Wird bald eine Entscheidung treffen müssen: Führt er seine Partei in eine neue, realistische Ära? Oder stolpert er über eine Brandmauer, die niemand mehr ernst nimmt?
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