Der Tag der Pressefreiheit – „Sag was ist!“

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Ein Gastartikel /Kommentar von Sascha Rauschenberger

 

Ein Feier- oder Gedenktag ist ein Tag von besonderer Bedeutung im jährlichen Arbeitsjahr. Und Feiertage, anders als so mancher Gedenktag, sind deshalb oft arbeitsfrei, damit ihrer Bedeutung als Wert und als wiederkehrendes Ereignis auch vollumfänglich und ohne arbeiten zu müssen gedacht werden kann. Als zusammenhaltender Basiswert einer Gesellschaft. Also einem Wert, der allein deshalb schon wieder an Bedeutung gewinnt, weil er auch als Grundlage dessen anzusehen ist was nun Freiheit heißt.

Der Tag der Pressefreiheit am 3. Mai war so ein Gedenktag – bloß dass es keinem aufgefallen ist, eben weil gearbeitet wurde. Daher ging er ein wenig unter in der Schlange ähnlich angehauchter Gedenktage wie Tag des Sparers, Tag der Umwelt, Tag des Flüchtlings und Tag des Singvogels. Da passt dann die Pressefreiheit durchaus in das vom Volk ignorierte Bild des Gedenkens. Anders wie die ebenso – zumindest thematisch – als überflüssig empfundenen Volkstrauertage, Tag der Deutschen Einheit oder der 1. Mai, die immerhin dadurch auffallen, dass sie arbeitsfrei sind. Ganz wichtig, damit so ein Tag auffällt. Er MUSS arbeitsfrei sein. Möglichst auch so gelegen sein, dass er Brückentage ermöglicht. Das steigert das Gedenken – pardon: die individuelle Bedeutung des … (hüstel) Gedenkens.

Kommen wir nun auf die Pressefreiheit zu sprechen und warum man ihr gedenken sollte. Und das ist durchaus schwer. Für alle anderen Themen gibt es Denkmäler und Statuen. Für die Pressefreiheit eben nicht. Eigentlich ist das auch überflüssig, denn sie setzt sich jeden Tag ein neues Denkmal in unserem Land, wenn sie neutral, aufgeschlossen, unzensiert, unreglementiert, parteilos aber hart&gerecht alle Mißstände anspricht, aufdeckt und/oder thematisiert, die uns alle betreffen. Oder auch nur einige interessiert. Oder schlicht einfach nur mal angesprochen werden wollen. Das gilt natürlich auch für Glücksgriffe, freudige Ereignisse und schöne Themen. Vielleicht auch mal das versteckte Gute ins Licht zu zerren. Auch das gehört dazu.

„SAG WAS IST“, war der Anspruch des SPIEGEL-Gründers Augstein, der aus einer Zeit kam, wo das eben nicht so einfach gewesen war. Wo das zu sagen, was war mal schnell einen frühmorgendlichen Besuch zur Folge haben konnte. Mit anschließendem Aufenthalt in Dachau, Buchenwald oder dem Friedhof… Im anderen Teil Deutschlands nach dem Krieg setzte sich diese Methodik fort. Buchenwald gab es bis Mitte der 50er. Dann halt für die Anderen. Später gab es Bautzen und der Friedhof der Opfer ist heute ein Parkplatz, den keiner anrührt, um nicht wirklich zählen zu müssen, wieviele Terroropfer es nach der NS-Diktatur noch zusätzlich in diesem Land gab.

Wenn wir also den Tag der Pressefreiheit begehen, dann richten sich unsere Augen mit vor Stolz geschwellter Brust nach Nord-Korea, zum bösen Putin nach Russland, den Ayatollahs des Iran oder einfach nur in afrikanische Gefilde, wo so mancher Präsident das Häuptlingsniveau nie hinter sich lassen konnte.

Wir erinnern uns dann an die Reichspressekammer im Reichspropagandaministerium eines Dr. Goebbels oder ihrem Pendant im SED-Staat. Schütteln den Kopf und sagen, dass das doch nicht so schwer sein kann. Ist es auch nicht. Es wiederholt sich nur immer und überall in gewissen Intervallen. Die Länge dieser Intervalle zwischen Pressefreiheit und Presseunfreiheit ist vom Umstand bestimmt, wie aufmerksam und fügsam wir mit dem systemimmanenten schleichenden Verfall von Anstand und Sitte im Umgang mit der Presse (und diese mit uns) umgeht. Und solange der Wohlstand uns beflügelt, hat das wachsame Auge des öffentlichen Falken eher Bodenniveau…

Jedenfalls sollte nach dem Krieg in Westdeutschland ein übermächtiges Hugenberg‘sches Presse- und Medienimperium nicht mehr entstehen können. Der öffentlich-RECHTLICHE Rundfunk, pluralistisch aufgestellt, um so unverwundbar(er) gegen politische Einflussnahme und Zensur gewappnet sein. Und über allem sollte ein Rat von Ehrenleuten wachen, denen Pressefreiheit über alles ging. Anfangs auch durch die Leute, die in der NS-Zeit durchaus noch den morgendlichen Hausbesuch der Gestapo kennengelernt hatten. Die also wussten, auf was sie achten müssen, wo sie einschreiten mussten und wie sie ihre Aufgabe wahrnehmen konnten und mussten, damit eine Pressefreiheit überhaupt erst entstehen konnte. Augstein war hier mit dem SPIEGEL in der Tat ein „Sturmgeschütz der Demokratie“, die Mauern einriss, wo sie noch standen, niederwalzte, was sich der freien Presse in den Weg stellte und wirklich sagte, was war.

Dass ausgerechnet dieses Blatt den tiefen Fall dessen vollzogen hat, was Pressefreiheit ausgemacht hat, zu sagen was ist, kann bezeichnender nicht sein, wenn wir hinsehen wollen, wohin uns das hier und jetzt alles gebracht hat. Claas Relotius ist nicht nur ein Märchenprinz, der vielfach mit Preisen des eigenen Hauses als Star des Journalismus aktiv vermarktet(!!) wurde, er war auch das Fanal dessen, was nach dem Krieg eigentlich erreicht werden wollte. Und sollte… Und dass dieser Skandal von der Presse weitgehendst und einhellig aus der Berichterstattung verbannt wurde, ist ein Gradmesser dessen, was diese Pressefreiheit heute wert ist. Die „Kasaan Times“ hat hierzu eine mutige fünfteilige Serie herausgebraucht, die dieses Relotius-Fanal des deutschen Presse- und Journalistenethos hinreichend beleuchtet. Und einer der Punkte, der hier mal wieder auffällt, ist dass es eine ausländische Zeitung ist, die darüber berichtet.

Und das ist ein Aspekt, der zunehmend auffällt. Wer wirklich informiert sein will, kann eben nicht mehr nur deutsche Medien nutzen. Er muss sich zunehmend selbst anderswo informieren, was das Internet nun möglich macht, dem die eigene Bequemlichkeit (Faulheit!!) aber entgegen steht.

Während deutsche Medien von Leserschwund berichten und Umsatzverluste beklagen, konnte zum Beispiel die Neue Züricher Zeitung massenhaft Leser gewinnen. Nicht aus der Schweiz. Aber aus Deutschland. Wie es scheint, ist es für viele wieder opportun „Auslandspresse“ zu lesen und „Westfernsehen“ zu sehen. Wie in der guten alten Zeit des sozialistischen Friedens in der DDR. – Allein dieser Satz wäre nun etwas, was in Redaktionen aufstößt. Es tauchte das Wort „sozialistisch“ (Synonym für linksgerichtet) in einem totalitären Zusammenhang auf. Das ruft sogar den Presserat auf den Plan und Verleger und Herausgeber könnten nun zum telefonischen Ansprechpartner des o.g. Presserates werden. In der heutigen parteipolitisch(!) ausgewogenen Besetzung, die tendenziell überwiegend linkslastig besetzt ist. Soll heißen, in der konservative Vertreter eher… selten sind. Viele sprechen schon von ausgestorben, was so aber nicht stimmt. Sie sind nur nicht im Presserat – laut – vertreten. Sozialistisch ist in diesem Land fast schon bedeutungsgleich mit demokratisch geworden. Demokratisch ist ein Ansatz, den die Pressefreiheit als Bestandteil unserer Verfassung garantieren soll. Und hierin ist auch der Anspruch des Journalismus begründet, die „Vierte Macht“ im Staate zu sein. Der Wächter an sich. Und wie es aussieht scheitert das zunehmend. Das Wort „Lügenpresse“ zeigt die Kluft zwischen denen, die demokratisch anders als sozialistisch sehen und der schreibenden Zunft, die es als antidemokratisch ansehen, was eben nicht links ist, deutlichst auf. Ist das so? Wenn nicht, warum jammern dann deutsche Zeitungen und in den deutschsprachigen Zeitungen und Redaktionen der Nachbarländer rollen gleichzeitig die Freudentränen?

Warum gewinnen die radikaleren Parteien an den Flügeln massiv Stimmen hinzu? Zum Teil mit Thesen, Lösungsvorschlägen und Aspekten, die lächerlicher nicht sein können? Wo das Wort monolineare Denkweise noch nicht mal reicht, um deren Inhalte zu beschreiben. Warum glaubte ein Studienabbrecher und ausbildungsloser 29jähriger angeblicher Sozialdemokrat von der Kollektivierung der Industrie faseln zu können? Warum ist es hipp von Wohnungsenteignung zu reden, aber die Ursache dieser Wohnungsnot in den Ballungsräumen – nämlich die unreglementierte Zuwanderung – auszuklammern. Sie sogar als Gewinn zu verkaufen?

Warum werden solche Gedanken vom Presserat hinterfragt, aber eine stalinistisch anmutende Zwangskollektivierung von Industrie und Eigentum an sich als normal kommentiert. Als berechtigt. Sogar als absolut nötig?

Peter Scholl-Latour sagte einmal, dass die Pressefreiheit in Deutschland die Freiheit von 200 Personen ist. Wenn er Recht hat, und es scheint so wenn wir den Sündenfall des SPIEGEL im Relotius-Skandal sehen, dann müssen wir da aufräumen wo eine Meinungsoligarchie von 200 über 80.000.000 pressetechnisch herrscht. Und wenn das einem Presserat nicht auffällt, er sogar das Netzdurchdringungsgesetz mit durchgewunken hat, dann stimmt etwas grundsätzlich nicht mehr. Dann ist dieses Gremium Presserat irgendwie auf die Stufe dessen gerutscht, was mal Anspruch der Reichspressekammer im Reichspropagandaministerium war.

Pressefreiheit… man hört von Kanzleramtstreffen der Pressespitzen an Dienstagen im Kanzleramt. Man hört von dem Bemühen, AfD-Vertreter, die immerhin zwischen 12% und 15% der Wähler vertreten, hier und da auszuschließen. Das Vizepräsidentpöstchen im Bundestag ist hier mal völlig ausgeklammert. Wir brauchen da keine X-Vizepräsidenten. Zwei würden da eh im Auge des Bürgers völlig ausreichen… Nur, es wäre ein demokratisch legitimiertes Thema an sich, wert darüber einmal eingehender und auch philosophisch zu berichten. Zumal auch absehbar ist, dass die Zufriedenheit des Volkes mit eben diesem Parlament im freien Fall ist. Auch ein Thema, wo man als Presserat einmal etwas sagen könnte. Den Zusammenhang von Demokratie, freier Presse und neutraler, ausgewogener und sachlicher Berichterstattung herausstellen könnte. Vor allem, wenn die Demokratie der Demokraten undemokratisch wird.

Stattdessen folgt und fördert man den Hype um populistische Mainstreamideen – auch wenn sie noch so absurd sind – und klammert kritische Themen (Altersarmut, Arbeit im Alter, Sozialkassen, …) fast schon zwanghaft aus. Versucht sogar den Austausch von Meinungen systematisch und gern hinten herum einzuschränken. NDG, DSGVO und ePrivacy sind hier nur mal genannt. Die Meinung im Netz wird als Bedrohung der Pressefreiheit gesehen. Sogar als gefährlich erachtet, wenn einfach jeder seine Meinung zu allem sagen kann. Öffentlich… Man die Meinung der anderen nicht mehr in den Griff bekommt.

Doch soll Pressefreiheit etwas in den Griff bekommen? Das Volk an sich reglementieren, im Denken kanalisieren und notfalls anprangern? Nicht als Mißstand sondern allein, weil die Meinung von vielen, die auch noch immer mehr werden, als Bedrohung der eigenen Sicht der Dinge empfunden wird? Ist es nicht so, dass eben solche Themen aufgegriffen werden müssen, die vom Volk angestossen werden, damit die Mächtigen sie wahrnehmen? Sie notfalls zwingen, sie wahrnehmen zu müssen? – SAG WAS IST!

So aber ist der Tag der Pressefreiheit ein Tag wie jeder andere auch. Er ging an uns vorüber. Die Fachszene und der geneigte Bürger nahmen ihn zur Kenntnis. Und selbst die, von eben dieser heute so verstandenen Pressefreiheit im Land Geschädigten, nutzten die Chance nicht, auf das Dilemma hinzuweisen, in der diese Freiheit hier in Deutschland pressetechnisch steckt. Strategisch völlig falsch gedacht und gehandelt.

Bürgerbesuche beim Presserat an sich wären angezeigt gewesen. Mal deren Mitglieder vor die Öffentlichkeit gezogen und um Stellungnahme gebeten, wäre hilfreich gewesen. So kennt aber diese Vöglein der besonderen Art keiner, die munter andere anpfeifen, wenn es um eine Freiheit geht, die sie selbst erst zwitschernd fliegen lässt.

Nun denn. Wieder eine Gelegenheit verpennt, sein Recht als Bürger wahrzunehmen. Der Pressefreiheit auch ein paar Pflichten vorzuhalten. Rechte einzufordern, die ein Bürger in einer Demokratie nicht nur hat, sondern sich mit den Opfern seiner Vorväter erkämpft hat. Diese liegen hierzulande (u.a) in Dachau, Buchenwald und Bautzen begraben. Meist ohne Namen. Viele auch vergessen.

SAG WAS IST! – Also, ich sag es mal: Wenn der Presserat als Wächter der Presse zu einem Relotius-Gremium verkommen ist, dass diesem bis dato noch nicht mal den Presseausweis entzogen hat, dann wird es Zeit, den Presserat in Bundespropagandakammer umzubenennen. Allein weil es ehrlicher wäre. Und sollte sich dieses Gremium nun „zutiefst betroffen“ zeigen, darf es gerne auch mal so handeln, wie es der Pressefreiheit gebührt. General Klaus Naumann sagte einmal 1992/3 in einer Rede vor uns Offizieren an der Universität der Bundeswehr in Hamburg, dass der Fisch immer am Kopf anfängt zu stinken.

Und wir (die Offiziere) dieser Kopf wären. In diesem Sinne sage ich dem für die Pressefreiheit in unserem Land mitverantwortlichem Presserat: IHR STINKT GEWALTIG!

Jede Freiheit hat ihren Preis. Aber die eine wirklich freie Presse ist dafür kein geeignetes Opfer!

Der Autor Sascha Rauschenberger

Sascha Rauschenberger, geboren 1966 in Wattenscheid, ging nach dem Abitur zur Bundeswehr, wo er als Panzeraufklärer und Nachrichtenoffizier Dienst tat.

Er diente, unter anderem als Reservist, in vier Auslandseinsätzen, zuletzt als Militärberater in Afghanistan.

Seit 2000 ist er als Unternehmensberater im Bereich Projektmanagement und Arbeitsorganisation (Future Work) tätig.

 

 

 


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