✈️ Stehplätze im Flugzeug – Revolution oder Rückschritt?

Estimated read time 4 min read

Budgetfreundliches Reisen erreicht neue Höhen – und das ganz buchstäblich. In Zeiten wachsender Nachfrage nach günstigen Reisemöglichkeiten und steigendem Wettbewerbsdruck auf dem europäischen Kurzstreckenmarkt setzen einige Billigfluggesellschaften auf ein Konzept, das anfangs klingt wie ein verspäteter Aprilscherz: Stehplätze im Flugzeug. Genauer gesagt, handelt es sich um eine Art „Sitzgelegenheit“, die eher an einen erhobenen Fahrradsattel erinnert als an klassischen Komfort.

Die Sitze stammen vom italienischen Hersteller Aviointeriors, der das „SkyRider“-Konzept bereits 2018 der Öffentlichkeit präsentierte. Nun scheint das Projekt in die heiße Phase zu gehen. Laut Berichten haben die Sitze sämtliche Sicherheitsprüfungen erfolgreich bestanden und könnten schon im nächsten Jahr in den ersten Maschinen eingebaut werden.

Was sind diese Stehplätze genau?

Um Missverständnisse zu vermeiden: Es handelt sich nicht um echtes Stehen, sondern um eine Art halbsitzende Haltung, bei der der Passagier auf einem erhöhten Sattel Platz nimmt. Die Knie sind leicht angewinkelt, die Rückenlehne ist schmal und aufrecht, und der Abstand zum Vordermann beträgt nur etwa 58 Zentimeter – das ist deutlich weniger als bei normalen Economy-Sitzen.

Das Ziel: Maximale Raumausnutzung. Während herkömmliche Flugzeuge rund 180 Passagiere befördern, könnten Maschinen mit Stehsitzen gut und gerne 20% mehr Passagiere aufnehmen, ohne das Flugzeug selbst zu verändern.


Wo liegen die Vorteile – und für wen?

1. Preisvorteil für Passagiere

Das Hauptargument ist klar: Günstigere Tickets. Wenn Fluggesellschaften mehr Passagiere auf derselben Strecke unterbringen können, sinken die Kosten pro Kopf. Für Billigflieger wie Ryanair oder WizzAir ein echter Jackpot – und für reisefreudige Studenten, Wochenendtrips oder Berufspendler eine willkommene Option.

2. Effizienz im Kurzstreckenbereich

Bei Flügen unter 90 Minuten – wie etwa von Köln nach London oder Berlin nach Kopenhagen – ist Komfort ohnehin ein sekundäres Bedürfnis. Wer sich ohnehin kaum anschnallt, bevor die Maschine wieder landet, für den könnte die Sattelvariante eine realistische Alternative sein. Es ist kein Business Class-Gefühl, aber es geht eben auch nur um die Strecke, nicht um das Erlebnis.

3. Weniger Gewicht, weniger Emissionen?

Da die SkyRider-Sitze deutlich leichter sind als herkömmliche Sitze, könnten Fluggesellschaften Kerosin sparen. Weniger Gewicht bedeutet weniger Verbrauch – was zumindest in der Theorie ein ökologisches Argument liefert. Ob das aber den Mehrverbrauch durch zusätzliche Passagiere aufwiegt, ist offen.


Aber: Was sind die Schattenseiten?

1. Komfort? Fehlanzeige.

Wer jemals auf einem Fahrradsattel ohne Polsterung saß, weiß: Nach 45 Minuten ist der Spaß vorbei. Der ergonomische Nutzen ist fraglich – ganz zu schweigen von der Belastung für Rücken, Knie und Gesäß bei älteren Passagieren oder Menschen mit gesundheitlichen Problemen. Für ältere oder mobilitätseingeschränkte Personen sind diese Plätze ohnehin ungeeignet.

2. Fragwürdige Menschenführung

Kritiker sprechen schon von einer „Viehwaggonisierung“ des Fliegens. Stehsitze wirken auf viele wie ein weiterer Schritt in Richtung Massenabfertigung ohne Menschenwürde. Was kommt als Nächstes? Sauerstoff gegen Aufpreis?

3. Sicherheit nur im Labor geprüft

Ja, die Sitze haben die üblichen Crash-Tests bestanden. Aber was passiert bei Turbulenzen, bei einer Notlandung, oder schlicht bei einem umherfliegenden Koffer? Hier bleibt die Praxis der größte Unsicherheitsfaktor – und echte Erfahrungswerte fehlen.


Fazit: Stehen für den Fortschritt – oder Rückschritt mit Ansage?

Die Idee der Stehplätze mag absurd klingen, doch sie ist wirtschaftlich nachvollziehbar und zielgruppengenau gedacht. Für junge, gesunde Vielreisende auf Kurzstrecken unter 1,5 Stunden könnte das Konzept tatsächlich eine Alternative sein – sofern der Preis stimmt.

Trotzdem bleibt ein schaler Beigeschmack: Wollen wir wirklich so reisen? Die Frage ist nicht nur, was technisch machbar ist – sondern auch, was gesellschaftlich akzeptabel ist. Der Druck auf Fluggesellschaften, die Margen zu halten, wächst. Aber wie viel “Komfortverlust” ist der Preis wert?


Mögliche Zielgruppen:

  • Pendler und Geschäftsreisende mit geringem Budget
  • Spontane Städtereisende
  • Backpacker und Studierende
  • Fluggesellschaften mit Fokus auf maximalen Gewinn pro Flug

Ausblick:
Noch ist nicht klar, welche Fluglinien sich trauen, das Konzept einzuführen. Doch in einer Welt, in der man für Wasser extra zahlt und Gepäck wie Gold gewogen wird, ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis auch Sattelsitze über den Wolken Realität werden.


You May Also Like

More From Author