Deutschland investiert laut NATO-Angaben aktuell etwa 2 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in die Verteidigung. Das ist das Mindestziel, das sich die NATO-Staaten 2014 selbst gesetzt haben. Jetzt jedoch fordern einige Stimmen – insbesondere aus den USA und konservativen politischen Kreisen – dass Länder wie Deutschland ihre Verteidigungsausgaben auf 5 % des BIP steigern. Das klingt erst einmal abstrakt, ist aber bei näherer Betrachtung ein politisches und finanzielles Erdbeben. Was würde das konkret kosten? Und: Kann die Bundeswehr das zusätzliche Geld überhaupt sinnvoll ausgeben, solange sie am Personalmangel leidet?
Was bedeuten 5 % des BIP konkret?
Das deutsche Bruttoinlandsprodukt lag im Jahr 2024 bei rund 4,3 Billionen Euro. Zwei Prozent davon – also die derzeitigen Verteidigungsausgaben – entsprechen etwa 86 Milliarden Euro jährlich. Würde Deutschland die Verteidigungsausgaben auf 5 % erhöhen, entspräche das rund 215 Milliarden Euro pro Jahr.
Das wäre mehr als das gesamte jährliche Bundesbildungs-, Gesundheits- und Familienministerium zusammen. Zum Vergleich:
Bereich | Budget 2024 (ca.) |
---|---|
Bildung und Forschung | 21 Mrd. € |
Gesundheit | 17 Mrd. € |
Familien, Senioren, Frauen | 13 Mrd. € |
Bundeswehr (2 % BIP) | 86 Mrd. € |
Bundeswehr (5 % BIP) | 215 Mrd. € |
Diese Zahl ist nicht nur eine Milchmädchenrechnung – sie ist eine gesamtgesellschaftliche Weichenstellung. Denn das Geld fehlt dann an anderer Stelle: Schulen, Pflege, Infrastruktur, Digitalisierung, Klimaschutz.
Ein europäischer Vergleich – wer gibt wie viel aus?
Der Ruf nach höheren Rüstungsausgaben ist oft mit der Behauptung verbunden, Deutschland sei ein sicherheitspolitischer Trittbrettfahrer. Doch wie sieht das im europäischen Vergleich aus?
Land | Verteidigungsausgaben in % des BIP (2024) |
---|---|
Polen | 4,2 % (geplant 4,5 %) |
Estland | 3,1 % |
Großbritannien | 2,3 % |
Frankreich | 2,1 % |
Deutschland | 2,0 % (durch Sondervermögen) |
Italien | 1,5 % |
Spanien | 1,4 % |
Polen rüstet tatsächlich stark auf – aus historischen und geopolitischen Gründen. Aber selbst dort liegt man noch unter 5 %. Kein anderes größeres EU-Land hat sich ernsthaft ein derart hohes Ziel gesetzt.
5 % – das wäre eine Zahl, wie sie während des Kalten Krieges üblich war. In Friedenszeiten und ohne konkrete Bedrohung an der eigenen Grenze ist das ein massiver Ausreißer.
Das strukturelle Problem: Menschen statt nur Material
Selbst wenn wir die 215 Milliarden Euro aufbringen würden – wer soll die Panzer fahren, die Flugzeuge fliegen und die IT-Systeme betreuen?
Die Bundeswehr kämpft seit Jahren mit einem dramatischen Personalmangel. Das liegt nicht am Geld: Die Bezahlung ist für viele Berufsfelder ordentlich, es gibt Zulagen, sichere Jobs, Karrierechancen.
Und trotzdem:
- Die Bundeswehr verfehlt regelmäßig ihre Rekrutierungsziele.
- Rund 20.000 Dienstposten sind derzeit unbesetzt.
- Die Zahl der freiwilligen Bewerber sinkt stetig.
- Nur etwa 15 % der Bewerberinnen und Bewerber bestehen den Eignungstest vollständig.
Warum?
- Imageproblem: Die Bundeswehr gilt bei vielen jungen Menschen als verstaubt, bürokratisch und sinnentleert – insbesondere nach den Einsätzen in Afghanistan.
- Komplexität der Welt: Viele junge Menschen sind sicherheits- und friedensorientiert. Militärischer Dienst passt für sie nicht zum Selbstbild.
- Arbeitsmarkt-Konkurrenz: Die deutsche Wirtschaft sucht ebenfalls Fachkräfte – und zahlt oft besser, ohne Schichtdienste, Kasernenzwang und Auslandseinsätze.
- Militärische Bürokratie: Die internen Strukturen der Bundeswehr gelten als träge und frustrierend – insbesondere für technikaffine Menschen, die mit agilen Unternehmen wie Startups vergleichen.
Das bedeutet: Mehr Geld bringt nichts, wenn es nicht mit tiefgreifenden Strukturreformen einhergeht. Personalgewinnung ist nicht nur eine Frage der Bezahlung, sondern des Sinns und der gesellschaftlichen Akzeptanz.
Wofür würde das zusätzliche Geld ausgegeben werden?
Nehmen wir an, die Politik würde beschließen, tatsächlich 5 % des BIP in die Bundeswehr zu stecken. Was ließe sich damit anstellen?
- Mehr Kampfflugzeuge (Eurofighter, F-35)
- Mehr schwere Panzer (Leopard 2, Nachfolger)
- Bessere Cyberabwehr (Software, Personal, KI)
- Bessere Munition und Lagerbestände
- Neue Kriegsschiffe, U-Boote
- Stärkung der NATO-Ostflanke
- Erhöhung der Truppenstärke auf 250.000+
Aber all das bringt wenig, wenn niemand da ist, der die Technik bedienen kann. Und je mehr Technik man beschafft, desto höher die Folgekosten für Wartung, Lagerung, Modernisierung. Verteidigung ist kein Einmalkauf – sondern ein permanenter Kostenfaktor.
Fazit: 5 % – eine gefährliche Zahl
Die Forderung nach 5 % Rüstungsausgaben ist symbolisch martialisch, aber inhaltlich fragwürdig:
- Finanziell würde sie enorme Löcher in den Haushalt reißen.
- Sozialpolitisch würde sie andere wichtige Zukunftsfelder verdrängen.
- Militärisch ist sie ohne Personalgewinnung ein Papiertiger.
- Gesellschaftlich ist sie schwer vermittelbar – gerade in einem Land mit pazifistischer Grundstimmung.
Natürlich braucht Deutschland eine handlungsfähige Bundeswehr. Aber das heißt nicht, dass wir uns in ein Wettrüsten treiben lassen sollten, das weder rational noch realistisch ist.
Nachsatz: Was wäre sinnvoll?
- Echte Personaloffensive: Vereinfachte Zugänge, bessere Vereinbarkeit von Dienst und Familie, sinnvollere Einsätze.
- Europäische Rüstungskooperation: Keine 27 Armeen mit 27 Panzertypen – sondern gemeinsame Entwicklung.
- Rationalisierung statt Reizworte: Weniger ideologische Debatte, mehr nüchterne Bedarfsplanung.
- Stärkung der Resilienz: Cybersicherheit, Infrastruktur, Zivilschutz sind genauso wichtig wie Panzer.
Die Verteidigung eines Landes beginnt nicht mit dem BIP-Prozentsatz – sondern mit einer klaren Vorstellung davon, was man eigentlich verteidigen will.