Homeoffice und Corona, oder wie der Teufel lernte Fliegen fressen zu wollen…

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Chabba – Figur eines Browsergames, das an der Arbeit wohl kaum gespielt wird und mitunter sehr anschaulich den Homeoffice-Mitarbeiter zeigt, der sich gar nicht mehr bewegen muss…

In der Not frisst der Teufel Fliegen“, ist eine Volksweisheit, die zutreffender kaum sein könnte, wenn es um das Homeoffice geht. Allein das Wort ist alt, kommt aus dem letzten Jahrtausend und beschreibt den Umstand von zuhause aus hinreichend produktiv arbeiten zu können; unter Wegfall der Präsenzpflicht am Arbeitsort samt Wegekosten und Wegezeit dahin.

Der Erste Punkt begründet ein Stück mehr Freiheit während die Ersparnis von Zeit und Kosten die Arbeit überhaupt zu erreichen einen persönlichen nicht nur monetären Zugewinn darstellt.
Auf der anderen Seite standen die Arbeitgeber, die branchenabhängig eben diesen Gedanken bejahten oder komplett ausgeschlossen haben. Letztere, die bösen Teufel, lernen gerade Fliegen fressen. Notgedrungen und daher auch widerwillig. Denn was wie ein gutes Geschäft für beide Seiten aussieht ist es nämlich fachlich und sachlich betrachtet nicht. Es hängt im Wesentlichen von den Prämissen ab. Diese sind neben technischen und prozessualen Voraussetzungen auch branchen- und unternehmensspezifisch zu betrachten. Und dann auch ganz persönlich die charakterlichen Voraussetzungen der Mitarbeiter an sich. Und gerade hier herrscht auf Unternehmensseite Misstrauen.

 

Dieses Misstrauen wird gern von Befürwortern als Kontrollzwang der Chefetage propagiert, der einem „New Work“ im Wege stehen würde. Der weiter hierarchische Strukturen betoniert und ein „freies Arbeiten“ bei maximaler „persönlicher Entfaltung und Eigeninitiative der Mitarbeiter“ blockiert. Kreativität verhindert und somit Potentiale auch für das Unternehmen verschenkt.

 

Klingt irgendwie wie das Klimaargument. Wer nicht sofort unkommentiert mitmacht ist ein böser Teufel. Selbst dann, wenn es Gegenargumente gibt, die das (Betriebs)Klima auch verbessern würden. Ohne Homeoffice.

Zeit sich diesen Klimaverbesserer einmal sachlich anzusehen.

Natürlich gibt es technische Lösungen für das Homeoffice, die auch dem Gesichtspunkt IT-Sicherheit entsprechen. Firewalls, die halten, und Hardware, die unkaputtbar sicher ist. Auch bei Verlust. Und diese Kosten halten sich in Grenzen, wenn man sie gegen die Raumkosten eines Office an sich rechnet. Und das ohne filigrane Kalkulationsschiebereien und Kreativität bei den Bewertungen.

Prozessual ist das auch alles abbildbar. Wo im Workflow jemand sitzt ist bei Aufgaben des reinen Abarbeitens irrelevant. Ausschlaggebend ist, dass den Mitarbeiter auch alle relevanten Informationen und Papiere rechtzeitig genug erreichen. Selbst dann, wenn sie physikalisch im Unternehmen eintreffen. Letzteres setzt dort ein funktionierendes Scan- und Verteilermanagement voraus, was aber technisch darstellbar ist.

Natürlich schafft das Homeoffice keine Hierarchien ab. Es ändert auch nichts am Bürokratismus. Im Gegenteil, es schafft neue Dokumentationsvorschriften. Einerseits für die Revision aber auch für den Prozess an sich. Letztere können und müssen im Hintergrund IT-technisch gelöst werden.
Doch der einfache Mensch im Auge des Häuptlings/Chefs/Vorgesetzten spielt hier eine besondere Rolle in der Betrachtung der Befürworter. Das „allsehende Auge“ sorgt nämlich für Disharmonie, so das Credo.

Diese Ansicht ist kulturbedingt. In Japan hängen über jedem Arbeitsplatz Kameras, wo der Chef sich per Mausklick zuschalten kann. Die Mitarbeiter sitzen dabei in Großraumbüros, die wie Klausursäle aussehen und arbeiten als seien sie Hühner in Legebatterien. Dabei bejahen sie diese Kameras auch noch, weil so der Chef sieht, wie sie sich verbessern können oder auch, wie gut sie arbeiten!

Im Westen liegt die Betonung eher auf Überwachung, Bevormundung und Einschüchterung durch Vorgesetzte. Die prozessual, rechtlich und finanziell zwar für alles die Verantwortung haben und übernehmen sollen, aber bitte nur als „Berater“ in freien Teams agieren sollten. Letzteres soll die Kreativität und die Produktivität fördern. Umsätze steigen lassen. Und das mit dem Anspruch überall und immer. Das ist falsch. Denn das entscheidende Argument ist WER das leisten soll. Und da fällt die Betrachtung auf den Menschen an sich. Und wer als Unternehmen seine Produktivität an einzelne Charaktere in Prozessketten hängt, die er kaum noch beeinflussen und steuern kann, der braucht viel Vertrauen in seine exakt dazu richtig ausgewählten Mitarbeiter. Oder andere Kontrollmechanismen.

Und das geht auch nicht in jeder Branche. Unternehmensberater, die den ganzen Tag im Einsatz beim Kunden sind an Büros zu ketten ist seit Jahrzehnten out.
Die Buchhaltung aus dem Homeoffice normal. Zudem externe Dienstleister letztlich hier auch wie Homeofficenehmer agieren und auftreten. Allg. Verwaltungsleistungen wie in Versicherungen bei Sachbearbeitern sind auch möglich, aber schon nicht mehr so gern gesehen. Und bei Behörden sowieso nicht, denn das hätte Investitionen im Vorfeld nötig gemacht. Hier drehen sich die Räder eh langsamer als sonstwo, da Haushaltsmittel knapp sind.

Im gesamten Rechts- und Justizbereich geht ohne die kiloschwere Originalakte gar nichts. Hier findet das Homeoffice dann ein endgültiges und unrühmliches Ende.

Was gern auch vergessen wird ist die Tatsache, dass wer nicht optisch und regelmäßig gesehen wird auch schnell vergessen wird. Nicht auffällt. Das ist bei schlechten Leistungen nett, aber bei guten ein Karrierekiller. Der tägliche und persönliche unmittelbare Umgang vor Ort begründet nicht unerheblich die Karriere. Und hier ganz besonders die eher unspezifischen Gefälligkeiten. Auch in den Pausen. Gerade in den Pausen.
Wenn Homeoffice alternativ zur Präsenzpflicht angeboten wird, gewinnt bei gleicher sonstiger Leistung karrieretechnisch der Mitarbeiter vor Ort. Immer. Und das hat nichts mit Bevorzugung zu tun. Es ist psychologisch bedingt.

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Der Vorgesetzte kommt mal eben kurz rüber und man kann eine Idee beisteuern. Und das rüberkommen bezieht sich auch auf die Kaffeeküche, den Obstkorb oder die Raucherecke. Oder man hat selbst etwas und geht zum Chef. Das schafft eine soziale Bindung. Und diese begründet Karrieren. Keine gute Leistung an sich.

Wer Erfolg hat, hat diesen neben harter persönlicher Arbeit auch und vor allem durch sein persönlich aufgebautes und sozial gepflegtes Netzwerk. Den Zugriff auf Expertise, weiterführende Kontakte und Empfehlungen. Und das fängt da an, wo der erste Arbeitsplatz ist. Manchmal schon an der Uni, der Berufsschule oder auf dem Schulhof!

Auch muss hinterfragt werden, wer denn da Homeoffice machen soll. Die gerade gewordene Mutter, die aus dem Mutterschutz zurückkommt und plötzlich von den kreativen und befreienden Möglichkeiten des Homeoffice faselt, ist wohl kaum ein geeigneter Kandidat. Ein älterer Mitarbeiter, nach einer Hüft-OP schon. Im ersten Fall darf man ehrlicherweise andere Gründe vermuten als beim nun behinderten Mitarbeiter. Nur fehlt halt oft diese Ehrlichkeit und fällt dem sozialverträglichen Stillschweigen anheim.

Dann ist da auch eine IT-technische Vertrauensbasis nötig. Wie verhält sich der Mitarbeiter mit der IT außerhalb des Unternehmens. Mit seiner Ausstattung kann er auf zum Teil sensible Unternehmensdaten zugreifen. Und gerade in der „Trennungsphase“ passieren oft unschöne Dinge, wie jedes Unternehmen zu berichten weiß. Und wer alles kopieren oder ausdrucken kann, der kann auch viel… Gelegenheiten schaffen. Wirtschaftskriminalität hat oft einfache Gründe. Mitunter auch Charakterschwäche oder schlicht Gier durch Möglichkeiten.

Natürlich ist der Wegfall von Wegezeit und auch Wegelosten für Arbeitnehmer schön. Es bringt mehr Freizeit und am Ende des Monats mehr Geld. So verliert auch der Firmenwagen an Bedeutung, da er ohnehin steuerlich ins Abseits geraten ist.
Nur muss die Produktivität dies auch wiederspiegeln. Und Unternehmen tun sich schwer hier sachliche Analysen aufzuzeigen, da eben die Datenerhebung an sich als Leistungskontrolle durch Betriebsräte und gewisse Urteile verhindert wird. Ergo die Befürworter von Homeoffice ein freies kaum angetastetes Argumentationsfeld haben, dessen Vorteilhaftigkeit nicht validiert werden kann. Oder soll…
Tatsache ist, dass die Produktivität sehr stark von Geschlecht, Alter und Lebenssituation des Homeoffice-Mitarbeiters abhängt. Neben der Tätigkeit an sich.
Während kreative Unternehmen (Beratung, Marketing und Design) hier die Produktivität überwiegend positiv beurteilen wird anders wo die fehlende Kollegennähe gerade bei fachlich unterschiedlichen Fällen in Arbeitsteilung als hinderlich angesehen. Der kurze Ruf „wie geht das“ oder „wie mache ich das“ zum Kollegen erspart oft langes herumdoktern. Jeder kennt das von Excel-Anwendungen… ( https://conplore.com/joint-future-work-und-fehlermoeglichkeiten-in-der-digitalisierung-teil-1-business-intelligence-die-datenbasis-muss-stimmen/ ).

Das fällt im Homeoffice weg. Und die Telefonhilfe ist dann umständlich und auch für das Unternehmen unproduktiv. Wie auch die Störung von Mama und Papa durch den Familiennachwuchs, den Hund oder das schöne Wetter draußen. Das setzt Disziplin und klare Regeln und ruhige Bereiche zuhause voraus. Der Küchentisch ist ungeeignet.

Das beste Beispiel, das der Autor für ein Homeoffice kennt, ist der leider schon verstorbene Prof. Stephen Hawkings. Der Artikel dazu ist sechs Jahre alt aber (leider!) immer noch aktuell (hier: https://conplore.com/future-work-and-the-neglected-resources-in-the-labor-market-of-the-future-die-vernachlaessigten-ressourcen-im-arbeitsmarkt-der-zukunft/ .

Ohne technische Hilfe wäre der Mann niemals wirklich in Arbeit gekommen. Man ermöglichte ihm in seiner persönlichen Krise technische Unterstützung, sodass er produktiv, kreativ und kommunikativ arbeiten konnte. Sein Genie entfalten konnte. Und das zu einer Zeit, als Computer richtig groß und richtig schwer waren. Und er sie auch noch mit sich bewegen musste!

Da sind wir nun besser dran. Homeoffice ist möglich. Nur nicht für jeden und überall. Nicht jeder Mensch ins charakterlich geeignet selbständig und ohne Aufsicht zu arbeiten. Schon gar nicht vollumfänglich produktiv, wie an der Arbeit selbst. Diese Fähigkeit als generelle Voraussetzung anzusehen ist falsch. Komplett hirnrissig. Jeder Arbeitgeber kennt seine Pappenheimer. Die 20/70/10-Prozentregel kennt jeder. Auch als Arbeitnehmer. Und jeder kennt Kollegen und Mitarbeiter die bei mehr Freiheit (oder weniger Aufsicht…) in Richtung der momentanen 20 Prozent tendieren würden anstatt zu den 10 Prozent der Leistungsträger.

Dass jetzt in der Coronakrise letztlich viele Unternehmen dennoch zum Homeoffice tendieren ist der Krise geschuldet. Selbst 60, 40 oder gar nur10 Prozent von dem Üblichen zu bekommen ist letztlich besser als gar keine Produktivität zu sehen. Hier lernt der Teufel in der Tat Fliegen zu fressen. Fragt sich wie lange diese „Revolution“ anhält.
Vielleicht endet es aber auch wie die Französische Revolution von 1789, die 1815, nach der Niederlage von Napoleon, in der Restauration und im Wiener Kongress endete, wo die alten absolutistischen Verhältnisse wieder klammheimlich aber sprachlich aufgewertet eingeführt wurden. Erst 1848/49, nach den Hungerwintern und Volksaufständen, wurde das dann wieder zurückgeschraubt.

Das Coronavirus mag nun wie diese Zeit wirken. Ob es dieses Umdenken geschafft hat wird sich zeigen. Wenn „der Teufel“ tot ist. So wie Napoleon 1815 angesehen wurde. Als Intermezzo vom eigentlichen Status quo. Oder ob der Virus letztlich der Hungerwinter von 1848/49 ist und das Umdenken breiter und nachhaltiger machen wird.

Wir reden von der Digitalisierung, Konnektivität und New Work. Von Future Work als Megatrend. Es wird Zeit auch organisatorisch so zu denken.
Aber auch die Digitalisierung hat ihre Prämissen. Bandbreiten, Netzverfügbarkeit, IT-Infrastruktur und IT-Sicherheit nicht zu vergessen. Auch diese wollen bedacht sein. Abseits der Visionäre und ihren Ideen der rosaroten Wolke.

Wir brauchen ein neues und moderneres Verständnis von Arbeit, dessen Möglichkeiten zur Erbringung und damit auch auf den Zugriff auf Potentiale und Ressourcen am Arbeitsmarkt an sich. Wenn nämlich nicht, dann frisst der Teufel am Ende doch noch euch. Aber das mit Sicherheit. (sic!)

 

Am Ende noch ein kleiner Wunsch:

Bleibt gesund und haltet durch! Ein sonniger Tag macht noch keinen Sommer. Denkt an den Teufel…

 


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