Einsatzfolgen – wenn die Psyche nicht mehr kann: Was dann?

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Björn Schreiber & Bernhard Drescher

Seit 1992 absolvieren Bundeswehrsoldaten internationale Einsätze. Begonnen 1992 in Kambodscha, erstrecken sich die Einsatzländer mittlerweile auf drei der fünf Kontinente: Seien es die schwersten Gefechte in Afghanistan, die barbarischen Gräueltaten auf dem Balkan, die diversen Erlebnisse in Afrika oder auch die Missionen der Marine: Viele unserer Kameradinnen und Kameraden kamen körperlich unversehrt aus den Einsätzen wieder nach Hause, jedoch hinterlassen die Bilder von Elend, Verwundung und Tod sowie die hochemotionalen Stresssituationen von Lebensgefahr im scharfen Gefecht oder unter IED-Bedrohung ihre unsichtbaren Spuren an der Psyche.

Vermeintlich unbedeutende Veränderungen im Verhalten, angefangen bei der Vermeidung von bestimmten Situationen wie großen Plätzen oder das Betreten von Rasenflächen, mögen auf den ersten Blick erst einmal wie ein „Spleen“ wirken, sind sie jedoch ernstzunehmende Anzeichen für psychische Einsatzfolgen. Deutlicher zu erkennen sind die psychischen Verwundungen dann bei Albträumen oder vor allem bei sogenannten „Flashbacks“, also dem Wiedererleben von gewissen Stresssituationen ausgelöst durch ein bestimmtes Ereignis (Trigger). Häufig gehen mit diesen Symptomen auch gewisse Verdrängungsmechanismen einher: Verleugnung, Abwehr und Betäubung mittels weicher und harter Drogen. Allen diesen Situationen ist eines gemeinsam: Hier ist Hilfe nötig, um diese Einsatzveteraninnen und -veteranen aufzufangen, ggf. überhaupt erst ein Bewusstsein im Sinne der Selbsterkenntnis zu schaffen oder sofortige Hilfestellen einzuschalten. Alleine der §12 Soldatengesetz verpflichtet uns dazu!

Befindet sich die betroffene Person noch im Dienstverhältnis, ist es die Pflicht eines jeden Kameraden, hier sofortige Hilfe über den Sozialdienst der Bundeswehr oder den Truppenarzt einzuleiten. Oftmals kann auch das Psychosoziale Netzwerk direkt alle notwendigen Kanäle ansteuern und den betreffenden Vorgesetzten im Umgang mit dem Kameraden zu unterstützen. So weit so gut, auch wenn der so angegangene Weg kein leichter sein wird (weder für den Kameraden noch für die Einheit, schon gar nicht die Familie!)…

Die Bundeswehr ist jedoch keine reine Berufsarmee, sondern speist sich aus mehr oder weniger kurz Dienenden: Seien es die Freiwillig Wehrdienst Leistenden (FWDLer) oder Zeitsoldatinnen und -soldaten (SaZ) – allen ist gemein, dass sie nach einer vorbestimmten Zeit die Truppe verlassen werden. Im Zivilleben angekommen müssen sich viele erst einmal mit einer komplett neuen Situation abfinden: Wenig Verständnis für die bislang durchlebte Sozialisation, Wegfall der in der Bundeswehr generell engen und im Einsatz noch enger gewordenen kameradschaftlichen Gemeinschaft und auch eine Umorientierung auf das zivile Berufsleben – in gewisser Weise sogar eine Sinnkrise. Solche turbulenten Situationen können den Ausbruch der psychischen Erkrankungen befördern. Krankschreibungen, Krankengeldbezug – im schlimmsten Fall „Hartz IV“… Die Familie ist mit dieser Situation größtenteils überfordert und es gibt kein kameradschaftliches Netz, das hier nun auffängt bzw. die Anzeichen zu deuten weiß. Selbst wenn die Symptome erkannt, die Verwundung diagnostiziert und auch die Ursache erkannt ist, so steht die betroffene Kameradin / der betroffene Kamerad vor den bürokratischen Mühlen des Soldatenversorgungsgesetzes, Einsatzweiterverwendungsgesetzes, Einsatzversorgungsgesetzes und Einsatzversorgungsverbesserungsgesetzes. Eine schier unlösbare Aufgabe mit einer schweren psychischen Erkrankung nun die Bürokratie zu bewältigen, da hiermit die soziale Absicherung sichergestellt wird, um überhaupt den Kopf für die dringend notwendige Therapie freizuhaben. Nichts kann einen Therapieprozess mehr hemmen als die Auseinandersetzung mit einem Ablehnungsbescheid der Wehrdienstbeschädigung, die auf einem Gutachten fußt, in dem Folgendes zu lesen ist: „Beschusssituationen gehören zum Berufsalltag eines Soldaten [Anm.: Ja, das ist die Wahrheit.] und können daher nicht als besonders belastend angesehen werden.“ Der Widerspruch gegen eben diese Ablehnung kostet wiederum Kraft und Zeit. Im schlimmsten Fall führt es zu einer Klage gegen den ehemaligen Dienstherrn. Glücklicherweise hat sich diese Gutachterpraxis seit einigen Jahren überlebt, aber auch heute sind immer noch Widersprüche notwendig.

Hier setzt der im Jahr 2010 gegründete Bund Deutscher EinsatzVeteranen e.V. (BDV) an, der aus verschiedenen Vorgängerorganisationen hervorging, die alle eines gemeinsam hatten: Die Selbsthilfe von psychisch Einsatzverwundeten: Mit einem Netzwerk von ehrenamtlichen Fallmanagern / Lifecoaches garantiert der BDV, dass innerhalb von 48 Stunden nach erstem Hilfegesuch ein Erstkontakt bei den Betroffenen stattfindet – selbst in Zeiten von Corona, wenn auch digital via Skype. Dabei ist es festes Leitbild, dass immer die gesamte Familie mit in den Fokus genommen wird, da durch die Erkrankung immer auch von Sekundärtraumatisierungen ausgegangen werden muss und eine stabile Therapie nur gelingen kann, wenn das soziale Umfeld hält. Mit der mittlerweile fast zehnjährigen Erfahrung und einem Netzwerk aus Profis erleben (psychisch) verwundete Einsatzveteraninnen und -veteranen Hilfe zur Selbsthilfe: Hier gilt es, die Betroffenen selber aktiv in die Pflicht zu nehmen und aktiv zu unterstützen, Hilfe zu suchen. Die Fallmanager können Hinweise auf die richtigen Ansprechstellen geben und auch bei der Bewältigung der bürokratischen Hürden geben. Aber auch Mut zusprechen, ein offenes Ohr haben oder einfach „da“ zu sein kann bereits Hilfe genug sein, denn: Oftmals ist es noch nötig, den Dienstherrn an die Verpflichtung zur gegenseitigen Treue aus §1 Soldatengesetz zu erinnern und vor allem auf den Wirkungsbereich des §31 Soldatengesetz zu verweisen, der explizit auch Ausgeschiedene und ihre Angehörigen einschließt. So ist es leider – auch nach mittlerweile zehnjähriger Arbeit für die Belange von Einsatzveteranen – immer noch keine Seltenheit, dass Bescheide zu Anträgen auf Wehrdienstbeschädigung 24 Monate und mehr auf sich warten lassen. Positiv hervorzuheben ist jedoch, dass durch die Möglichkeit der Aufnahme in ein „Wehrdienstverhältnis besonderer Art“ eine v.a. finanzielle Stabilität geschaffen werden kann, um sich einer notwendigen Therapie zu widmen. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass es einigen Kameradinnen und Kameraden erst klargemacht werden muss, dass die Rückkehr in die Bundeswehr – die letztlich für die Verwundung verantwortlich ist – ein durchaus gewöhnungsbedürftiger Schritt sein kann, zumal viele Einheiten noch starke Vorbehalte haben, wie sie mit den so im Dienst seienden Kameradinnen und Kameraden umgehen sollen. Auch hier helfen die Fallmanager des BDV, sowohl den Einsatzveteranen in der Gewöhnungsphase zu stützen als auch die Vorgesetzten zu beraten.

Die zweite Säule des BDV stützt sich auf die politische Arbeit: So war der Verband im Jahr 2010/2011 maßgeblich daran beteiligt, die Missstände in der damaligen Versorgungssituation aufzuzeigen und hinsichtlich der Verbesserungen der Gesetzgebungsverfahren zu beraten. Aber auch der Einsatz für eine – zweckmäßige – Veteranendefinition ist seit Gründung des Verbandes im Fokus. Die seit November 2018 bestehende Definition ist in den Augen des BDV nicht ausreichend, um den Bedürfnissen der Einsatzveteranen gerecht zu werden, um ein ernsthaftes Veteranenkonzept auf den Säulen „Betreuung – Fürsorge – Identität“ zu schaffen.

Die kameradschaftliche Gemeinschaft stellt die dritte Säule des BDV dar: Neben regionalen Veteranentreffs, dem niedrigschwelligsten Angebot, findet jährlich das Veteranenwochenende statt, bei dem neben einer öffentlichen Aktion im Berliner Regierungsviertel sowie dem ehrenvollen Gedenken im Wald der Erinnerung vor allem das kameradschaftliche Miteinander im Fokus steht. Anlässlich des zehnjährigen Bestehens des BDV sollte das für Pfingsten 2020 geplante Veteranenwochenende selbstverständlich diesen Anlass zum Thema haben, leider musste dieses der Situation geschuldet abgesagt werden. Wir lassen uns aber nicht entmutigen: Aufgeschoben ist bekanntermaßen nicht aufgehoben! Und wenn wir uns etwas – für die Sache! – in den Kopf gesetzt haben, dann machen wir das auch, im Zweifel mit Eifer und Beharrlichkeit.

Mehr Informationen zum Bund Deutscher EinsatzVeteranen e.V. erhalten Sie auf der Homepage www.veteranenverband.de

Über die Autoren

Björn Schreiber (*1982); Diplom-Pädagoge & Master of Arts; Kapitänleutnant der Reserve; Eintritt in die Bundeswehr Juli 2001; Verwendungen: 7. Schnellbootgeschwader, CIMIC-Zentrum; Auslandseinsätze: UNIFIL (Zypern / Libanon, Wachoffizier Januar bis April 2009, ISAF (Mazar-e Sharif, Betreuungsoffizier Januar bis April 2010), ISAF (Kunduz, CIMIC-Truppführer ASB Juli 2011 – Januar 2012); Herausgeber „Die unsichtbaren Veteranen“ (Sammelband herausgegeben für den BDV); Vorstand „Politik und Medien“ im BDV

Bernhard Drescher (*1960); Staatlich geprüfter Betriebswirt; Oberstleutnant a.D.; Eintritt in die Bundeswehr Juli 1980; Verwendungen (Auszug): Division Spezielle Operationen, Zentrum Innere Führung; Auslandseinsätze: Task Force HARVEST (Mazedonien, 2001), Task Force FOX (Mazedonien, 2001), KFOR (Kosovo, 2006); Bundesvorsitzender des BDV


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