Der politische Karneval des Westens
Wenn wir uns an solche westlichen Politiker wie Franz Josef Strauss in Deutschland, Margaret Thatcher in Großbritannien, John F. Kennedy in den USA, Charles de Gaulle in Frankreich erinnern, so können wir ganz sicher feststellen, dass kein heute lebender und aktiver Politiker des Westens an diese Persönlichkeiten heranreicht.
Das Weltgeschehen wird heute entweder von politischen Clowns orchestriert, oder von schlecht ausgebildeten, aber gleichzeitig extrem arroganten Politikern oder von älteren Autokraten, die nicht in der Lage sind, die Trägheit des Establishments und des tiefen Staates zu überwinden und die Muster der Vergangenheit zu reproduzieren. Deshalb scheint es mir interessant einmal zu ergründen, womit der Zerfall westlicher politischer Eliten zu erklären ist.
Die Globalisierung hat sich an die Struktur und die Merkmale der politischen Kultur angepasst, was sich vor allem im Zustand und Verhalten der herrschenden politischen Eliten und ihrer Führer widerspiegelt. Die politische Ausgewogenheit hat bereits signifikante Verschiebungen im System politischer Werte, Motivationen, Bedeutungen und Bildern angenommen, die in den Machtstrukturen vieler führender Länder der Welt stattgefunden haben.
Begleitet wird dieser Prozess durch ideologische Verzerrungen zu den Anpassungen an den Regierungstraditionen der herrschenden Elitegruppen.
Die politische Kultur wird brüchig, amorph und „ausgesprochen flexibel“, um nicht zu sagen „beliebig“.
Die inneren Bindungen moderner westlicher Politiker ‒ betrachten wir einfach mal Baerbock, Scholz oder auch Macron ‒ beginnen ihre Ernsthaftigkeit und ihre Kohäsion zu verlieren, agieren auf ideologiebasierten Vorgaben ‒ vielfach durch parteipolitische Zwänge verschleiert ‒ und sind somit anfällig für destruktive Einflüsse. Über Biden und Harris müssen wir erst gar nicht urteilen…
Ein deutlicher Beweis für die geringe Qualität der gegenwärtigen Eliten im Westen ist ihre Unfähigkeit, die grundlegenden sozioökonomischen und politischen Probleme ihrer Länder zu lösen.
Dazu gehört aber auch die erstaunliche Leichtigkeit, mit der sie Situationen schaffen, die im Prinzip mit einem direkten militärischen Zusammenstoß zwischen den Großmächten behaftet sind und in früheren Epochen immer zu Weltkriegen geführt haben. Man denke hier nur an den Krieg zwischen Russland und der USA, ausgetragen auf dem Territorium der Ukraine.
Für die heutigen politischen Eliten ist eine regelrechte globale Krise der politischen Kultur eingetreten, die mit einer rasanten Nivellierung ihres gesamten Wertesystems einhergeht.
Was wir derzeit erleben, kann man als die Zerstörung des globalen Liberalismus bezeichnen. Die politischen Eliten werden destruktiv, weil sich ihre fachliche Kompetenz teilweise dramatisch verschlechtert hat und es für diese Politiker „einfacher“ ist, in den Strudel des politischen Karnevals abzugleiten.
Warum sprechen wir von „politischem Karneval“ und was ist das Charakteristische daran?
Ein politischer Karneval ist eine Verzerrung der Wirklichkeit. Objektivität wird durch völlig utopische Konstruktionen ersetzt, die die Bedeutung der Ereignisse bis zu ihrer völligen Negation verzerren. Es ist ein politisches Panoptikum ‒ ein politisches Kuriositätenkabinett ‒, das von Politikern bewohnt wird, die sich als willensschwache Marionetten in den Händen von Puppenspielern hinter den Kulissen entpuppen. Ein charakteristisches Merkmal der Teilnehmer am politischen Karneval ist das Chaos ihres Denkens, das von der Ebene der Professionalität auf die Ebene der profanen, alltäglichen Ideen herabgleitet. Es ist eine Absurdität, die zur Norm jeglicher politischen Beziehungen wird.
Dieser Prozess ist verbunden mit dem Aufkommen eines besonderen Typus von „Politikern“, die den grauen politischen Alltag in „Spaß Zeiten“ verwandeln – ganz den Tendenzen der Moderne folgend. Daraus entsteht allerdings eine Zeit der Absurdität, der Vulgarität, der Fälschungen und der offenen Dummheit. Zahlreiche politische Freaks ‒ Narren und Clowns ‒ beginnen mit ihren Eskapaden, den politischen Raum zu verzerren und ihn unkenntlich zu machen. Indem sie ‒ manchmal sogar sehr erfolgreich ‒ die Rolle seriöser Politiker spielen, arbeiten sie letztlich daran, die Gesetze und Regeln von traditionellem politischem Handeln zu schwächen oder gar ganz zu ignorieren.
Es gibt bei den Politikern von heute ernsthafte Einstellungsprobleme, die sich auf ihre Kernmerkmale auswirken. Politische Praktiken, die als politische Karnevalskulturen definiert werden, entstehen auf den Ruinen eines eingestürzten Fundamentes. Es sind diese „Traditionen“, in die die klassische politische Kultur verkommt, vor allem auf Ebene der politischen Führung ‒ eben der Elite. Wie sich herausstellt, sind es die Eliten selbst, die am anfälligsten für diese Zerstörungen sind und oft den Trend und die Richtung für diesen Zerfall vorgeben. Die Bedingungen des politischen Karnevals versetzen den Politiker in einen Zustand veränderten Bewusstseins. Er beginnt, Wunschdenken als die Wirklichkeit zu sehen. Das führt zwangsläufig dazu, dass Schwierigkeiten erfunden werden, wo es keine gibt, und im Gegenteil wirkliche Probleme nicht bemerkt werden. Ein geradezu herausragendes Beispiel dafür ist der Umgang westlicher Politik mit dem Krieg in der Ukraine. Erst durch westliche Politiker ‒ vom politischen Karneval infiziert ‒ ist es überhaupt möglich, dass Selenskij ‒ ein gelernter Clown ‒ mit seinen Betteltouren durch die Welt immer wieder Erfolg hat. Die Transformationsprozesse, die sich heute in der modernen Gesellschaft vollziehen, bilden eine neue politische und sozioökonomische Realität.
In diesem Zusammenhang ist es sehr wichtig zu erkennen, von welchen Themen und Faktoren diese Prozesse abhängen. Die dominierende Rolle der politischen Elite in diesen Prozessen ist ein Phänomen, das allen Ländern gemeinsam ist, da die Situation im Land in erster Linie und hauptsächlich von der Macht und ihren Trägern abhängt.
Insofern durchlaufen die politische Kultur der modernen Eliten und ihrer Führer derzeit sehr gravierende Veränderungen, die mit einer Änderung des Systems ihrer politischen, ethischen, moralischen und sozialen Werte verbunden sind. Immer häufiger werden unter den Eliten destruktive Motive für ihr Verhalten und ihre Unfähigkeit, ernsthafte Probleme zu lösen, beobachtet.
Und all diese Veränderungen beschleunigen sich in der Jetztzeit ‒ der Moderne ‒ gravierend. In der Analyse der Moderne kommen Wissenschaftler zum Schluss, dass sich die moderne Welt in einem Zustand des Übergangs ‒ der Transformation ‒ befindet. Aber die meisten Herausforderungen und Bedrohungen selbst werden erst durch diesen Übergang bestimmt.In dieser temporären Übergangsphase entstehen fortlaufend Situationen, die an sich sehr wechselhaft, ja instabil sind, dadurch aber immer zu chaotischen Handeln führen können, welches ein eindeutig erkennbares Ziel aus den Augen verliert. Ganz typisch und gut sichtbar an dem Agieren der deutschen Ampel Regierung.
Es ist diese Art der „permanenten Unstetigkeit“, die zu fortlaufenden Verschiebungen in der politischen Kultur führt, die vor allem die beruflichen Aktivitäten der politischen Eliten betreffen. Eine Stabilität politischen Handelns geht dadurch vielfach verloren. Das, was die deutschen Medien an der Ampel-Regierung als „Streit der Koalitionäre“ bezeichnen, hängt mit dieser nicht vorhandenen Stabilität der politischen Kultur dieser Regierungspolitiker zusammen…
Die politischen Eliten verlieren dadurch aber auch den Kontakt zu den Traditionen positiver Erfahrungen früherer Generationen von Politikern. Und all das geschieht nicht in einem einzelnen Land, sondern ist allgegenwärtig. Dadurch erhält die politische Kultur einen unbestimmten, ja fast nicht definierbaren Charakter.
Anstelle eines einzigen stabilen Systems gibt es einige vielgestaltige Kompositionen ‒ Mischformen ‒ mit den Eigenschaften einer politischen „Belanglosigkeit“, die aber gleichzeitig instabil, widersprüchlich und extrem aggressiv sind. Es sind diese Mischformen, die den gesamten politischen Raum füllen und ihn in eine „Bühne des politischen Karnevals“ verwandeln, der sich in eine unendliche Anzahl separater „Theater der politischen Absurdität“ und eines „politischen Zirkus“ auflösen. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, wenn minderqualifizierte Leute, wie Kinderbuchautoren , Satiriker und Clowns oder vergessliche Narzissten ‒und zunehmend Plagiatoren und Ungelernte aus den Reihen der deutschen Grünen auf die politische Bühne drängen. Sie müssen nur durch geschliffene Reden, deren Wahrheitsgehalt nicht geprüft wird, „glänzen“…
Keines der Hauptprobleme der westlichen Länder wird gelöst. Ich möchte zitieren, was einer der maßgeblichsten russischen Gelehrten für internationale Angelegenheiten und ein angesehener Stratege, Sergej Karaganow, dazu schreibt:
„Im Westen, vor allem in Europa, wächst und wächst ein Klumpen ungelöster Probleme. Soziale, politische, wirtschaftliche… Die derzeitigen Eliten finden keine Lösung für die Probleme. Das Wichtigste davon ist sicher die Reduzierung der absoluten Verarmung der Mittelschicht, die die Grundlage der westlichen Gesellschaften bildet. Aber auch Fragen der äußeren und inneren Sicherheit gehören dazu.“
Man kann hinzufügen, dass das Problem der Migration und der sozialen Integration von Migranten nicht gelöst wird und auch dadurch die Geschlossenheit der westlichen Gesellschaften zusammenbricht und ihre Werte, Grundlagen und Identität zerstört werden.
Darüber hinaus verschärfen die derzeitigen Eliten diese Probleme, verschärfen die Wirtschaftskrise und die sozialen Unruhen weiter. Beispiele dafür sind die aggressive Förderung des sogenannten Green Deals und der ideologische Kampf gegen traditionelle Energie durch die EU, aber auch der noch aggressivere Kampf gegen traditionelle Werte und historische Identität, die Förderung von LGBT-Werten, die „Cancel Culture“ und die „Critical Race Theory“.
Ein auffälliger innenpolitischer Indikator für die Qualität der politischen Eliten im Westen ist das Ausmaß ihrer politischen Polarisierung und ihres Stammesdenkens. Dieses Ausmaß erlaubt es zu sagen, dass in einigen westlichen Ländern, wie z. B. in den Vereinigten Staaten, ein politischer Bürgerkrieg herrscht. Laut Henry Kissinger ist das Ausmaß der politischen Spaltung in den Vereinigten Staaten heute viel grösser als während des Vietnamkriegs. Ähnliche Situationen sind in der EU, in einzelnen europäischen Staaten mehr oder minder ausgeprägt. In den Staaten Westeuropas sind adäquate Entwicklungen zu verzeichnen.
Außenpolitik
In der Außenpolitik sind es die derzeitigen Eliten der Vereinigten Staaten und der EU, die die Krise der westlichen Hegemonie, die nach dem Ende des Kalten Krieges entstand, dramatisch beschleunigt, nicht westliche Länder zu einer unabhängigeren, souveränen Politik gedrängt und die aktuelle Konfrontation mit Russland und China geschaffen haben. In den letzten 30 Jahren haben politische und militärische Eliten des Westens langfristiges strategisches Denken völlig abgelehnt.
Sie haben Schritte unternommen, die den historischen Gesetzen der internationalen Beziehungen, die von der sogenannten realistischen Schule formuliert wurden, direkt widersprochen haben, was vielfach in eine Katastrophe führte.
- Dazu gehören die NATO-Osterweiterung;
- die Aggression gegen Jugoslawien
- und die völkerrechtswidrige Zerstückelung des Landes;
- die Invasion des Irak
- und die Zerstörung Libyens in der fantastischen Hoffnung, die Länder des Nahen Ostens in liberale demokratische Länder nach westlichem Vorbild zu verwandeln.
Die Aufzählung ist noch nicht zu Ende, denn der Irrglaube besteht nach wie vor, dass sich auch China mit seiner tausendjährigen Geschichte früher oder später ebenfalls in einen liberal-demokratischen Staat verwandeln wird, der gegenüber dem Westen loyal ist.
Und schließlich gehören zu diesen abenteuerlichen, karnevalesken Schritten des Westens die Unterstützung von „Farbrevolutionen“ im postsowjetischen Raum, wie auch der Wunsch, die Ukraine in einen antirussischen Brückenkopf und gleichzeitig in einen Rammbock zu verwandeln.
All dies hat das Völkerrecht zerstört, die internationale Ordnung geschwächt und eine Konfrontation zwischen den Vereinigten Staaten und ihren Satelliten mit Russland und China unvermeidlich gemacht.
Demzufolge ist also der aktuelle Zustand der politischen Kultur als eine Krise zu definieren, die auf das Erstarken karnevalesker Elemente in ihr zurückzuführen ist. Das war nur möglich durch eine destruktive Beschränktheit der herrschenden politischen Eliten. Der politische Karneval ist nicht auf die Landesgrenzen eines Staates beschränkt, sondern breitet sich über die ganze Welt aus und hat einen vernetzten Charakter.
Globalisierung
Betrachten wir etwas genauer die politische Kultur im Kontext der Globalisierung. Als Prozess nimmt die Globalisierung Einfluss auf Qualität und Richtung der politischen Kultur. Dabei ist besonders auffällig, dass vor allem nationale Merkmale politischer Traditionen zerstört werden. Gleichzeitig ist eine Nivellierung von persönlichen politischen Werten, Symbolen und Narrativen erkennbar. Häufig wird Globalisierung als objektiver historischer Prozess wahrgenommen und nicht als Projekt, hinter dem durchaus auch heimtückische Pläne und Absichten verborgen sein können. Dieser Umstand müsste allerdings in den vielfältigen Beziehungen zwischen den Ländern der Weltgemeinschaft berücksichtigt werden, was in der Praxis leider nicht beachtet wird. Vielmehr erklären sich viele politische Akteure zu Anhängern bestimmter globaler Werte, in deren Rahmen sie handeln wollen. Unter diesen Werten stehen Freiheit, Demokratie und Menschenrechte an erster Stelle. Das ist durchaus als Versuch zu sehen, aus angestammten traditionellen oder nationalen kulturellen Werten auszubrechen.
Es mag den Anschein haben, als ob die globale politische Kultur nur das Beste übernimmt, was in den nationalen politischen Kulturen steckt. Aber dieses Ideal wird in der Praxis nicht eingehalten. Der Prozess nahm einen anderen Weg: Es wurde ganz bewusst danach gestrebt, das Wertesystem des Welthegemons, in dem sich die Vereinigten Staaten an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert befanden, als globale politische Kultur zu verstehen. Ihre politischen Traditionen wurden als ein globales System politischer Werte dargestellt. Aber die Geschichte hat wie immer alles an seinen Platz verwiesen. Der Anspruch auf die Weltherrschaft erwies sich als unhaltbar. Die Fähigkeiten der Vereinigten Staaten wurden fälschlicherweise überschätzt.
Deformation der Werte der politischen Kultur
Daher ist es an der Zeit, die Werte der politischen Kultur neu zu bestimmen. Kulturell war die Entwicklung des Globalismus immer mit der Genese humanistischer Ideen verbunden, die der Menschheit die Ideen der Gemeinsamkeit ihrer Wertorientierungen offenbarten, vor allem im Bereich der Ethik, des Rechts und der Politik. Es war die Verbreitung humanistischer Ideen, die günstige Bedingungen für die Förderung universeller menschlicher Projekte schuf und den roten Faden ihrer Weltgeschichte bildete.
Der gegenwärtige Zustand des westlichen Liberalismus wird zunehmend als Selbstzerstörung der Demokratie gewertet – in ihm hat sich die Bedeutung all seiner Grundwerte gravierend verschoben. Die Welt wird deformiert und gerät in einen Zustand des Chaos.
Die Konturen einer solchen Deformation werden durch die folgenden charakteristischen Tendenzen und Risiken bestimmt:
- Verminderung von Bedeutungen, was zur Verzerrung von Wahrheiten und Werten führt
- Anwachsen der Irrationalität, deren Quelle die Unvorhersehbarkeit der Konsequenzen ist
- Verschlechterung der Meinungsfreiheit
- Verlust des Vertrauens in die Institutionen
- Selbstzerstörung der liberalen Demokratie
- Eskalation ethnopolitischer Konflikte
- Krise des globalistischen Projekts
- Zusammenbruch des internationalen Sicherheitssystems
- Existenzielle Risiken
Hinzu kommt der in der Welt bestehende Konflikt zwischen religiös geprägter Tradition und postmoderner Ideologie, der sich auch in Westeuropa ‒ im Zusammenhang mit der Migrationskrise zuspitzt.
In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die traditionellen Supermächte begannen, schnell die Kontrolle über die globale Agenda zu verlieren. Ihre Politik wurde zunehmend improvisierter, taktische Momente dominierten überall die Entscheidungen, so dass das internationale System begann, sich unvorhersehbar und unkontrolliert zu entwickeln. Konsequent durchdachte geopolitische Strategien gehören der Vergangenheit an. Die Eliten müssen unentwegt improvisieren. Aber ihre Improvisation gelingt nicht immer.
Völliger Regel und Werteverlust führen in die Sackgasse
Eine weitere Einschätzung dazu von Sergey Karaganov: „Wir müssen verstehen, dass wir in einer Welt leben, in der es überhaupt keine Regeln und keinen Anstand gibt. Sie wurden vernichtet. Wir haben es mit westlichen Eliten zu tun, die jede Orientierung verloren haben. Als wir die Kubakrise hatten, hatten wir es noch mit verantwortungsbewussten Politikern zu tun, die den Zweiten Weltkrieg miterlebt haben und einen Dritten verhindern mussten. Jetzt ist das Niveau der politischen Eliten im Westen unvergleichlich niedriger. Sogar in den Vereinigten Staaten, wo es noch Reste einer strategischen Vision gab. Ich sehe im Moment nicht viel Anzeichen für realistisches Denken in den USA.“
Die Wissenschaft hat das Wesen der politischen Eliten untersucht und die wichtigsten Parameter des Machtpotenzials definiert und daraus ihre Fähigkeit, auf die Herausforderungen ihrer historischen Zeit angemessen zu reagieren, bewertet.
Aus diesen Analysen wird deutlich, dass moderne
politische Eliten nicht in der Lage sind, den Zustand ihres Systems genau zu diagnostizieren
und ihren eigenen qualitativen Zustand darin zu bewerten.
Diese Art von „Pluralismus“ zeugt vom Verlust der spirituellen Unterstützung, von einer ständigen Suche nach stets neuen Kriterien und neuen Möglichkeiten, die die Eliten nicht immer zum gewünschten Ergebnis führen.
Russophobie als einzige gemeinsame Antriebsfeder
Darüber hinaus geraten Eliten in ihrer kulturellen Entwicklung meist in eine Sackgasse, was häufig mit einem Realitätsverlust verbunden ist. Dadurch ist es für Mitglieder einer politischen Elite manchmal schwierig zu bestimmen, wo eine falsch verstandene Realität aufhört und die reale beginnt. Oft bemerken sie bei ihren politischen Gegnern ein imaginäres Ende der Welt, während sie sich weigern, den Beginn ihrer eigenen „Endzeit“ zu sehen und anzuerkennen.
So setzen z.B. die Mitglieder des „russophoben Clubs“ ‒ die baltischen Staaten, die Ukraine, Polen und Georgien ‒ die meisten ihrer geopolitischen Hoffnungen auf einen bevorstehenden Zusammenbruch Russlands und die Aussicht, davon Profit zu schlagen.
Gleichzeitig haben sie selbst kolossale Probleme mit ihrer eigenen Souveränität. Aber sie verschließen regelmäßig die Augen vor diesem Problem.
Infolge des Verlusts von Wertorientierungen beginnen viele Repräsentanten der politischen Eliten‒ einschließlich der führenden Staaten der Welt ‒ sich unkonventionell zu verhalten. Es kommt zu einer Vereinfachung der Politik, weil komplexere Optionen von den Eliten aufgrund des extrem niedrigen fachlichen Niveaus ihrer Kompetenz nicht erkannt werden können. Für Politiker ist es bequemer, mittels Werten der politischen Karnevalskultur zu kommunizieren, die viele Fehler „übertünchen“ und zur Vereinfachung ihres beruflichen Alltags beitragen.
Auf der einen Seite ersetzt die politische Kultur des Karnevals die Leere in den Wertesystemen der Eliten, die durch die Dysfunktion entstanden ist, auf der anderen Seite verdrängt sie selbst aktiv Traditionen aus diesen Systemen, die von der Zeit erprobt und durch positive Erfahrungen bestätigt wurden.
Vereinfacht gesagt, werfen die Eliten jene Werte aus dem System der politischen Kultur hinaus, die sie daran hindern, auf einer für sie sehr primitiven Ebene zu funktionieren. Der „Prozess der Karnevalisierung der Politik“ findet heute tagtäglich statt. Und all das überlagert sich auch noch mit der Krise des Welthegemons USA, der seit vielen Jahrzehnten die Welt nach seinen Interessen und Werten versucht aufzubauen.
Gegen die eigenen Interessen – Hauptsache Russophob
Die Zerstörung der politischen Eliten manifestiert sich am deutlichsten in ihrer beruflichen Dysfunktion. Das ist an vielen Beispielen aus den USA, aber auch der EU nachzuweisen. In einem Interview wurde Henry Kissinger gefragt, was er von den heutigen europäischen Staats- und Regierungschefs halte. Er sagte: „Die europäische Führung hat nicht das politische Gespür und trägt nicht die Mission, die früheren Staatsoberhäupter wie Adenauer und de Gaulle in ihre Führung eingebracht haben.“ Man denke dabei nur an das Agieren der Führungskräfte der europäischen Kommission, allen voran Ursula von der Leyen und Josep Borrell…
Mit sehr wenigen Ausnahmen ‒ wie Viktor Orbán in Ungarn ‒ sind die derzeitigen europäischen Eliten überhaupt nicht in der Lage, im nationalen Interesse ihrer Länder zu handeln.
Seit Beginn des militärischen Konflikts in der Ukraine handeln sie hartnäckig in direktem Gegensatz zu ihren wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen.
Sie stürzen sich in eine sich immer weiter vertiefende Energiekrise und Rezession und schneiden sich geopolitisch und zivilisatorisch von Russland ab und verurteilen sich damit zur Marginalisierung im globalen Maßstab, berauben sich ihrer Entwicklungsperspektiven, ihrer strategischen Tiefe und ihrer Aussichten, eine echte geopolitische Einheit zu werden.
Die EU verdammt sich selbst zum ewigen Landsknecht der Vereinigten Staaten.
Auf der anderen Seite nimmt Washington die langjährige Aufgabe in Angriff, Russland und Europa immer weiter zu spalten und somit seine wirtschaftlichen Rivalen zu schwächen.
Vor allem der Mangel an strategischem Denken ist mittlerweile charakteristisch für Deutschland, das derzeit unter den westeuropäischen Ländern den größten wirtschaftlichen Schaden durch den wirtschaftlichen und hybriden Krieg gegen Russland im Allgemeinen erleidet.
Eine Weltordnung die funktioniert?
Was ist der Grund für eine solche Degradierung der westlichen Eliten?
1) Die innere Krise entspringt der Krise der westlichen Gesellschaften selbst. Dabei handelt es sich um eine umfassende zivilisatorische Krise, die ihrerseits eine Folge demografischer und sozioökonomischer Veränderungen ist. Der Rückgang des Anteils der indigenen Bevölkerung, der Multikulturalismus und das Schrumpfen der Mittelschicht führen zur Isolation und Radikalisierung bestimmter sozialer Gruppen, die andere Teile der Gesellschaft ihres Landes als Fremde oder sogar Feinde wahrnehmen und versuchen, allen anderen ihre eigenen Werte und Gewohnheiten aufzuzwingen.
2) Der zweite Grund ist das Ergebnis des selbsterklärten Sieges des Westens im Kalten Krieg in den späten 1980er Jahren und des verkündeten „Endes der Geschichte“ in dem sich die Vereinigten Staaten und ihre Satelliten nach der Selbstliquidierung der Sowjetunion kurzzeitig befanden. Die Phase der Unipolarität der USA begann. In Ermangelung eines Gegengewichts und der Schwächung der Abschreckung durch Moskau hat der Westen die Notwendigkeit strategischen Denkens verloren. Er dachte, dass er in dieser entstandenen unipolaren Welt alles tun könnte und niemand und nichts ihn aufhalten würde.Die Erfahrung des Westens bestätigte voll und ganz die berühmte Aussage des britischen Historikers des 19. Jahrhunderts, Lord Acton, dass
„Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut“.
Unter Bedingungen, in denen sich Russland noch nicht vom Zusammenbruch der UdSSR erholt hatte und China nicht an wirtschaftlichem und militärpolitischem Gewicht gewonnen hatte, ist das strategische Denken im Westen zu einem „unnötigen Mittel“ geschrumpft.
Die Weltordnung, die sich am Ende des 20. Jahrhunderts als universell anerkanntes Kräfteverhältnis herausgebildet hatte, ist jedoch zunehmend aus dem Gleichgewicht geraten und hat die Grundfesten der kollektiven Sicherheit erschüttert. Die Risiken und Bedrohungen, die mit der Zerstörung der unipolaren Ordnung verbunden sind, nehmen in der Welt zu. Das ehrgeizige Projekt der globalistischen Eliten der Vereinigten Staaten hat zur Erschöpfung der Ressourcen und des politischen Willens des Welthegemons geführt. Ihr Versuch, die Welt mit einem System ihrer Werte und Normen zu verbinden, hatte nur eine vorübergehende Wirkung. Es ist nicht gelungen, die Grenzen auf der Grundlage der Vereinigung der Welt zu verwischen.
Die amerikanische, regelbasierte Weltordnung zerstört sich von innen
Die Hauptwaffe der Vereinigten Staaten waren und sind transnationale Konzerne. Aber es gibt eine Erschöpfung durch Überanstrengung, und vor dem Hintergrund der neuen Weltzentren ‒ China, Russland, BRICS ‒ verlieren die Vereinigten Staaten ihre Attraktivität.
Inhaltlich haben wir somit eine Krise der westlichen Werte vor Augen, die die Grundfesten der politischen Kultur selbst erschüttert hat. Die Frage nach der moralischen Gesundheit der Eliten bleibt offen. Die Festigkeit moralischer Prinzipien ist zur unbequemen Rhetorik des politischen Idealismus geworden.
Das Problem ist jedoch, dass dieser „unipolare Moment“ tatsächlich nur ein Moment war. Die Logik der Geschichte und der Zivilisation und die Gesetzmäßigkeiten der internationalen Beziehungen erlauben keine langfristige Herrschaft einer einzigen Person oder Staates. Die Tragödie der Großmachtpolitik besteht nun einmal darin, dass man, wenn man einmal an der Spitze angekommen ist, sehr schnell wieder rausgeschmissen wird. Und die Geschwindigkeit mit der dies vonstattengeht, ist in der Regel mit den Fehlern des Siegers selbst in Verbindung zu bringen. Der Westen, einmal an der Spitze, begann, einen Fehler nach dem anderen zu machen, und beschleunigte in der Folge seinen eigenen globalen Widerstand gegen seine Hegemonie. Und jetzt wollen sich die meisten nicht-westlichen Länder nicht dem Westen gegen Russland und China anschließen, vor allem, weil sie verstehen, dass die vom Westen verteidigte sogenannte „regelbasierte Weltordnung“ nichts anderes als eine schöne Hülle aus Diktat und Neokolonialismus ist.
Es bleibt zu hoffen, dass die neue und sehr harte Konfrontation, die der Westen Russland und China rücksichtslos aufgezwungen hat, dort schließlich neue Kissingers und de Gaulles hervorbringen wird.
Schließlich werden Große Persönlichkeiten stets in harten Zeiten geboren.