Presseeklat in China – nicht jeder Journalist ist gern gesehen…

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Es ist schon komisch. Da reist Kanzler Angela Merkel mit großem Gefolge nach China, in Zeiten einer heraufziehenden Rezession im eigenen Land, einem Krisen-BREXIT vor der Tür und einen eskalierenden Handelskrieg zwischen China und der USA und nicht jeder Journalist ist in China gern gesehen.

Wird schlicht nicht als solcher akkreditiert. Warum nur?

 

Unsere Presse ist moralisch gefestigt, in der Demokratie tief verwurzelt und berichtet neutral und angemessen, bar jeder Manipulation von dem was ist. Daher verkaufen sich Zeitungen in Deutschland auch zunehmend gut, von der politischen Krise unberührt und werden als Gradmesser dessen betrachtet, was Glaubwürdigkeit ausmacht. Journalistisches Ethos gepaart mit ideologischer Ferne und kompetentem Fachwissen ist das Aushängeschild dessen, was wir alle  an unseren Journalisten schätzen.
Gut, ein oder zwei Abstriche muss man machen, da kein Journalist ohne Herausgeber auskommt, der natürlich sein Blatt, sein Medium und sein Produkt am Markt nischengerecht positionieren will. Wer als Herausgeber und ggf. auch Gesellschafter einer Zeitung sich im Bereich ökologisch sinnvollen Gemeinwohls sieht, wird vermutlich kaum Journalisten beschäftigen, die sich als bekennender Anhänger der Atomkraft verstehen. Pazifistisch angehauchte Blätter kaum die deutschen Rüstungsexporte gutheißen können. Wohl kaum Werbung von Rheinmetall, Atlas oder Heckler&Koch schalten wollen.
Aber das sind rein wirtschaftliche Entscheidungen, die marketingtechnisch begründbar sind. Es geht um eine Leserschaft, die gewonnen und auch gehalten werden will. Readers Branding so zu sagen…

 

Dass dieser Ansatz natürlich in das eingebettet ist, was journalistischer Ethos ist und ausmacht wird dann ja auch gern und jährlich prämiert. Mit dem Deutschen Reporterpreis zum Beispiel. Besonders begabte Reporter und Journalisten bekommen den auch öfters mal. Besonders dann, wenn sie auch dem Wort an sich noch eine schriftstellerische Note verleihen können, die sprachlich schön Inhalte zu vermitteln in der Lage ist. Bereichernd für uns alle. Und gerade für unseren urdeutschen Journalismus, der nur von seinen Gegnern als „Lügenpresse“ verunglimpft wird.

 

Dass Diktaturen mit solchen Gestalten journalistischer Ehrlichkeit wenig anfangen können, ist klar. Seit je her war die neutrale Presse stets das Hindernis für all die, die ihr Volk verkaufen und verraten wollten. Tyrannen schalteten schon immer zwischen einer Veröffentlichung und der Wahrheit Presse- und Medienräte. Setzte Reichs- und Volkspressekammern und Presseräte ein, die Entgleisungen journalistischer Ethik bekämpften. Regierungskritischem Moralmangel den Riegel vorschoben.

All das gibt es in Deutschland nicht. Weil eben der Deutsche weiß, was er mit seiner hier gelebten Pressefreiheit für sich errungen hat. Was er an seinen guten und ehrlichen Journalisten insgesamt hat. Reportern die frei und ehrlich von dem was ist berichten. Augsteins Motto „Sag was ist!“ leben. Täglich. Immer. Überall.

Freie Presse zeichnet sich durch Vielfalt aus. Durch Ehrlichkeit. Auch gegen sich selbst. Gerade auch gegen sich selbst. Der Kampf um Leser – rein marktwirtschaftlich gesehen – führt allein schon zu einer Vielfalt an medialen Produkten, Publikationen und Sendformaten, die sich gegenseitig kontrovers beobachten und angehen. Die logische, fachliche und auch ggf. ideologische Lücke beim marktwirtschaftlichen Konkurrenten gern aufgreifen, um das so gezeigte Bild abzurunden. Dem Leser, Hörer und Zuschauer auch mal die Kehrseite dessen zu zeigen, was der sog. Mainstream gern bringt.

 

So kennen wir als Deutsche unsere Presse.

Dass das totalitäre China das anders sieht ist klar. Die bestehen sogar darauf, dass sich eine Ex-Kronkolonie mit ein paar Millionen Einwohnern dem Recht beugt, das für 1,3 Milliarden andere Chinesen gilt. China versteht einfach nicht, dass Vielfalt letztlich die Einheit stärkt, wie wir im Westen wissen und schätzen. Auch wenn China so weit im Osten liegt, dass es fast schon wieder an den Westen angrenzt, unterstreicht diese westliche Sicht der Dinge nur noch. Der Chinese sollte sich mal besser an unseren fortschrittlichen und multikulturell vorgelebten Werten orientieren. An Werten, die gerade wir Deutschen als neuen Exportschlager begreifen.

Medial begleitet und pressetechnisch gehypt verabschieden wir uns seit Jahren von unseren Kernindustrien. Nehmen bereitwillig steigende Kosten, schwindende Wirtschaftskraft, bröckelnde Sicherheit und drohende Altersarmut hin, damit es spätere Generationen besser haben als wir, die wir weltweit mit den zweithöchsten Steuern fördern. So viel Steuern, dass wir alternativ- und kompromisslos ständig und überall Geld an andere zahlen. Auch so eine Eigenart, die China nicht als sinnvoll anzusehen bereit ist. Die wollen für ihre Zukunftsinvestitionen tatsächlich Gegenwerte abseits des Gefühls etwas Gutes tun zu wollen.

Dass mit solchen Kleingeistern unsere Journalisten gewisse inhaltliche Schwierigkeiten haben, ist klar. Besonders, wenn man als gastgebendes Land eher Harmonie durch Gemeinschaft fördert. Einer Gemeinschaft, die auf Anpassung des Individuums an Werte, Traditionen und Gemeinwohl ausgerichtet ist. Wo Eigennutz und Opportunismus zwar durchaus angesehen sind, aber am Ende immer ein Wert an sich steht, den Trump für sich und sein Land als „America first“ lautstark definiert hat.
Und dieser Konflikt läuft auch gerade mit unterschiedlichen Ansichten dessen, was für wen genehm ist.
In diesen mit hunderten von Milliarden Dollars und Euros geführten Konflikt moralisch eingreifen zu wollen, wird von Angela Merkel pressetechnisch und journalistisch erwartet. Zumindest von einer vor Moral triefenden Presse, die natürlich ideologiefrei und mit fernöstlichen Werten und Sichtweisen vertraut ist. Sich da ggf. auch eingearbeitet hat. Weil sie erkannt hat, dass das chinesische Bewusstsein sich etwas von dem unterscheidet, was wir so haben. Unser Eigen nennen.

Wir in Deutschland haben natürlich gar keine Probleme damit, wenn chinesische Kamerateams, Reporter und Medienvertreter hier rumlaufen, sich auf Plätze stellen und unsere Bürger befragen, warum wir Leute ins Land lassen, die nur Geld kosten, nichts bringen und sogar noch unsere Sicherheit gefährden. Dann mit Großaufnahme in abendlichen Nachrichten zu sehen. Vielleicht sogar Leute zu treffen, die dann Nazis sind und so das Bild dessen prägen, was der Zuschauer sieht. In dem Fall dann einen oder zwei Vertreter der besonderen Art, die völkische Werte propagieren. So vielleicht Investoren abschrecken hier zu investieren. Arbeitsplätze zu schaffen…

Nur totalitäre Staaten wie China sehen das anders. Die wollen einfach keine Journalisten, die Hong-Kong-chinesische Demonstranten befragen. Vielleicht sogar solche Menschen, die dann sofort wütend werden, weil man mit zu viel Moral und Ethik Fragen stellt, die an der Sicht- und Lebensweise vor Ort vorbeigehen. Fragen, die die chinesischen Eingeborenen in ihrer medial gesteuerten und daher beschränkten Wahrnehmung anders sehen könnten.
Kurzum gesagt, dass gerade deutsche Medienvertreter etwas über das Ziel neutraler Berichterstattung hinausschießen könnten. Lokale Gefühle verletzen könnten…

Das kommt natürlich in Deutschland nicht vor. Hier trifft die Presse immer den richtigen Ton. Egal worüber sie berichtet. Daher ist es auch völlig abwegig und unverständlich, warum andere Medien in anderen Ländern das anders sehen. Oder Regierungen an sich.

Seit Jahren fragt man sich in deutschen Redaktionen, warum die eigene Auflage immer stärker gen Null tendiert. Warum solche Qualitätsmedien wie BILD von fast sechs Millionen Lesern an täglicher Auflage nun die Millionenmarke von oben kommend knacken will. Das Handelsblatt um Fachleser kämpft und selbst die FAZ neidisch Richtung NZZ in die Schweiz schielt. Warum DER SPIEGEL lieber doch Auflage mit „Sag was der Leser hören will“ macht als mit „Sag was ist“. Letzteres war mal ein Satz, der richtungsgebend für die deutsche Presse war. Vor Claas Relotius, dem neuen Urgestein deutscher Moral- und Presseethik, wie auch China bemerkt haben dürfte. Mit all seinen Auswirkungen wie anderswo (HIER) umfänglich nachzulesen wäre.

Komisch ist, dass auch hier in Deutschland nicht jeder Journalist überall zugelassen wird. Überhaupt akkreditiert wird. Meist trifft das auf die zu, von denen man erwartet, dass sie der höheren Moral und Ethik derer, die man lieber sieht, nicht so ganz folgen. Die genehme eigene Meinung nicht mittragen „wollen werden können“…
Man proaktiv und rein präventiv diese Akkreditierung so lange verzögert bis gewissen Konferenzen, Tagungen und Ereignisse abgeschlossen sind. Der vorteilwahrende Pressepavillion für diese Lichtgestalten abweichender Geisteshaltung geschlossen bleibt. Zum Wohle aller.

Trump hat solche Meinungsmacher aus dem Weißen Haus geworfen. Putin aus dem Kremel. China nun auch. Etwas, was Angela Merkel nie machen würde. Auch nie gemacht hat. Andernfalls wäre darüber berichtet worden. Frei, offen, neutral und mit dem gebührenden Nachdruck aller anderen Journalisten. In allen Medien. Selbst unser völlig neutrale Presserat, als Wächter unserer Vierten (Presse)Macht, hätte hier sofort von sich aus eingegriffen. Mit aller Deutlichkeit und Vehemenz, die die deutsche Moral- und Ethikkeule hergibt.

Warum zweifelt also gerade China an unseren Pressevertretern? Gerade China, dass seine Journalisten gängelt, drangsaliert, ideologisch schult und nur beschäftigt, wenn sie linientreu sind? Kann China nicht begreifen, dass Dahrendorf mit seiner Konflikttheorie auch für China gut ist? Dass mehr Liberalität – gern auch grenzenlos – grundsätzlich und immer bereichernd ist. Für jede Art von Gesellschaft? Dass da die Menschen in Hong Kong nicht vielleicht schon etwas weiter sind? Die muslimischen Uiguren auch bereichernd sein können, ganze Stadtviertel nachhaltig prägen können? Zum Vorteil aller? Wie bei uns auch?
Hier könnte ein aufgeklärtes China doch unsere Journalisten einsetzen. Sie befragen. Mit ihnen reden. Neue Sichtweisen gewinnen. Für sich und China selbst.

Wenn wir ehrlich sind, dann muss auch China zugeben, dass eine fast sechstausendjährige zusammenhängende Geschichte, und zum Teil isoliert vom Rest der Welt, nicht gerade vorteilhaft ist, wenn man sich verändern will und muss. Wenn man mit dem Rest der andersdenkenden Welt auskommen will.
„Am westlichen Wesen, soll die Welt genesen“, ist nicht umsonst eine zielführende Weisheit. Gut, China mag in Erinnerung haben, dass es da mal eine Zeit gab, wo Europäer Gold und Silber aus dem Land holten, indem man Millionen Chinesen in die staatlich geförderte Opiumsucht trieb. Sie ausbeutete. Zu Millionen umbrachten. Aber das ist vergessen. Bei uns zumindest.
Dass das aus europäischen Enklaven wie Macao oder Hong Kong passierte, die nun zu China gehören, mag uns überraschen. Dass die meisten Chinesen es den Bewohnern dieser Kolonien immer noch nachsagen davon selbst profitiert zu haben, ist wenig aufgeschlossen, charakterlich verwerflich, und mitunter sogar rückwärtsgewandt. Unsere westliche Moral könnte auch hier helfen neue gesellschaftliche Ethikstandards in China zu fördern. Ihnen vielleicht auch Taiwan als gutes Beispiel verkaufen…

Überhaupt muss sich China endlich öffnen, damit die gute alte Zeit dort wieder Einzug halten kann. Mit ausländischen Kanonenbooten  – ähm Sonderbotschaftern!! – vor der Tür. Mit geneigten Mandarinen – ähm Verhandlungspartnern! – in Schlüsselpositionen und klaren Wettbewerbsverboten, Handelsblockaden und Abhängigkeiten, mit denen früher China so wunderbar klargekommen ist. Bevor es eigenständig von dem wurde, was wir damals schon als höhere Moral und Ethik ansahen. Damals auch von der westlichen Presse freudig bejubelt.

Natürlich liefern wir heute keine Drogen mehr, um China gefügig zu machen. Das Volk zu drogensüchtigen Sklaven zu machen, die billigst Tee, Porzellan und Edelmetalle für ihren westlich geförderten Dauerrausch zum Fenster rauswerfen.

Man darf versichert sein, dass dieser Eindruck, den das wenig aufgeschlossene China von uns hat, mit Sicherheit nicht in unsere aktuelle mediale Berichterstattung einfließen wird. Diese Sichtweise von Chinesen – auch gern mal als Misstrauen oder gar Angst definiert – eben nicht journalistisches Thema sein wird. Man auf chinesischer Seite eher erwartet, dass eine neutrale, sachgerechte und unvoreingenommene Berichterstattung bei gewissen Pressevertretern als ausgeschlossen angesehen werden kann.

Als Bürger fragt man sich nun instinktiv, WIE diese Chinesen nur auf so einen Unsinn kommen? WOHER die Beweise für diese Denkweise haben? WIESO die unsere tadellos funktionierende Presselandschaft hinterfragen? Und wie die es überhaupt wagen können, unsere Qualitätsjournalisten nicht in den Presse-Pavillon zu lassen…

 

Der Autor fragt sich gerade, warum man nun gegen China nicht Wirtschaftssanktionen verhängt. Wie gegen Russland, den Iran oder andere Diktaturen. Beispielsweise könnte man ein Liefer- und Produktionsverbot von deutschen Autos ins Feld führen. Das wäre sogar  auch noch klimafreundlich und daher moralisch-ethisch doppelt zu begrüßen. Wetten, dass das den Chinesen wehtun würde? – Und wie umfassend selbstlos wäre das von uns? Auch hier könnten wir zum Wohle der freien Presse in China neue Maßstäbe setzen. Mit unserem neuen Exportartikel:  der selbstzerstörerischen MORALKEULE!

 

Vermutlich möchte China das aber nicht. Weder jetzt noch später. Oder überhaupt. Und da könnte es durchaus und logisch nachvollziehbar sinnvoll sein, Vertreter solcher Geisteshaltungen nicht zu akkreditieren.

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Fotoquelle: Yusuf Simsek: „Dekadenzhttp://simsek.ch/


Der Autor Sascha Rauschenberger

Sascha Rauschenberger, geboren 1966 in Wattenscheid, ging nach dem Abitur zur Bundeswehr, wo er als Panzeraufklärer und Nachrichtenoffizier Dienst tat. Er diente, unter anderem als Reservist, in vier Auslandseinsätzen, zuletzt als Militärberater in Afghanistan.

Seit 2000 ist er als Unternehmensberater im Bereich Projektmanagement und Arbeitsorganisation (Future Work) tätig.


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