Weihnachtsmarkt Bochum – ein Schildbürgerstreich in Sachen Sicherheit!

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Wir haben uns schon lange – also spätestens seit 2015 – daran gewöhnt, dass Weihnachtsmärkte nicht mehr das sind, was sie einmal waren. Allein schon die Benennung folgt inzwischen jedem Ressentiment, was man sich auch nur auszudenken vermag. Von „Wintermarkt“ über „Jahresabschlussmarkt“ bis hin zu „festlichem Treffen“. Doch all das stört schon keinen mehr. Auch nicht, dass auf solchen Märkten nun Helene Fischer & Co aus den Lautsprechern plärren, um stimmungsvolle Musik zu machen. Und es stört keinen mehr, dass das „Oh, du Fröhliche,…“ nun etwas ins Hintertreffen gekommen ist.

Damit wie in Berlin nicht ein paar Unglückliche während all der Fröhlichkeit durch geneigte Lkw-Fahrer auf das Pflaster gequetscht werden und diese nun gekünstelte Fröhlichkeit – marketingtechnisch als Kauflaune bezeichnet – nicht im Blutbad endet, wurden auch hier Neue Werte geschaffen, die die ehemals vorweihnachtliche Zeit absichern soll.
Dazu rüstete man massiv auf. Möblierte die Innenstädte mit diversen bis dato nie bekannten Gegenständen aus. Von ehemals unschönen aber inzwischen farblich und designmäßig gestalteten sog. „Merkellegos“ über praktische und militärtaugliche Zaunverhaue bis hin zu optisch nett und bedarfsgerecht versenkbaren Pollern aus teurem Edelstahl. Ja, man sparte an fast nichts, während unsere Grenzen offen waren und noch sind.

Natürlich braucht so eine Planung auch ein Sicherheitskonzept. Nichts ohne dann auch mit rechtlich abgesicherter Idee, wie so ein besinnliches Fest organisatorisch und verantwortungstechnisch abzusichern ist. Die Loveparade in Duisburg hat hier bei Verantwortlichen nachhaltig gewirkt. Also nicht nur die Spazierfahrt eines vom Staatsschutz hofierten Terroristen in Berlin allein. Das wäre selbst ganzjährig bloße Propaganda.


Nur in Bochum kam nun, ähnlich einem Schildbürgerstreich, noch ein anderer Aspekt hinzu. So nach ein paar Jahren ohne Anschläge setzte sich der Kommerz wieder durch. Also für ein paar Talerchen mehr wurde am vormals bewährten Konzept geschraubt.

Die Skizze zeigt das Dilemma des Weihnachtsmarktes an sich. Auch auf Google-Maps zu bewundern (HIER).

Abb.: Prinzipskizze Weihnachtsmarkt Innenstadt Bochum 2019


Eigentlich ist die direkte Verbindung zwischen Rathaus und Hauptbahnhof für die drei dort verkehrenden Buslinien sicherheitstechnisch tabu. Das leuchtet ein. Schließlich bildet die gut befahrbare Straße ein vorzüglich zu nutzendes Einfalltor für Menschen mit Ideen und Elan. Daher war sie auch mal für den durchgehenden weihnachtlichen Busverkehr gesperrt. Dieser wurde unter Auslassung der Haltestelle Bongardstrasse über die B226 umgeleitet. Außen vorbeigeführt. Das galt anno 2016 bis 17.
Das passte nicht jedem, da diese zentrale Haltestelle natürlich auch andere Begehrlichkeiten weckt. Autofreie, klimabegeisterte Stadt und so…
Daher wurde auch schon mal eine Bimmelbahn (anno 2017) angemietet, die dann zwischen den Haltestellen Rathaus und Bahnhof für 1,70 Euro pro Kopf pendelte. Die Idee war gut, rentierte sich aber für diese 600m nicht, da die Auslastung… unterdurchschnittlich war. Gelinde gesagt. Ergo ließ man das besser.


Nun musste eine neue Idee her, die weniger kostete, ortsansässige Geschäftsleute begünstigte und das schöne bunte Bild nicht störte.
Man ließ also wieder ab 2018 die Busse durch den Weihnachtsmarkt fahren. Wie vor 2015. Hat ja damals gut funktioniert. Kann also nur gut sein.

Dennoch musste man das optisch aufpeppen. Den komischerweise vermehrt besorgten Bürgern das Gefühl geben, dass alles gut ist. Täglich besser wird. Gerade auch zu Weihnachten. Ergo mussten die von Merkellegos nun freigeräumten Zufahren mit speziellen israelischen Überollhindernissen abgesichert werden. Diese halten sogar Kettenfahrzeuge bis hoch zu Kampfpanzern auf. Müssen dafür aber für jeden ein- und ausfahrenden Bus weggeräumt werden. Bei drei Buslinien und 20-Minutentakten ein herrliches Arbeitsbeschaffungsprogramm für die dort vorgeschriebenen Doppelbesetzungen von Schließerposten. Das hätte selbst Till Eulenspiegel nicht besser hinbekommen. Respekt!

Bild: Zugangssperre Haltestelle Rathaus


Und es kommt noch besser. Die Fahrer der BoGeStra (Bochumer und Gelsenkirchener Strassenbahn AG) werden auch von Kollegen in orangen Westen unterstützt (i.e.S. von bewacht!), die selbst auch Busfahrer sind und all ihre hunderte Kollegen persönlich kennen. Das ist Teil des Sicherheitskonzeptes. Jeder diese Zone befahrende Bus bekommt eine Fahreraufsicht mit, die eingreifen soll, sollte der Kollege auf Abwege kommen. Das ist im o.a, Bild auch zu sehen.
Der Wächter soll ins Lenkrad greifen oder den Motornotausknopf drücken, falls ein Kollege doch ein Attentäter ist. Oder es ihm schlecht wird… Klar.
Nur müssen diese Wächter aus verkehrstechnischen Sicherheitsgründen im Bus hinter der Schranke zum Fahrer stehen… Logisch. (Verkehrs-)Sicherheit ist wichtig.
Letztlich so die Auskunft der BoGeStra AG, war sie selbst in dieses Konzept nicht involviert und folgt nur einer Vorgabe der Polizei…


Vor Ort nachgefragt, wie denn die Ausbildung der BoGeStra-Mitarbeiter für diese ehrenvolle Aufgabe ist, die den Bürger schützen soll, wurde gelacht. Immerhin, bei ständigen Nieselregen und unüberdachtem Warten herrschte eine gute Arbeitsatmosphäre unter den Kollegen. Allerdings dauert dieser Markt noch ein paar Wochen…
Auf Anfrage hieß es auch, dass die Mitarbeiter der BoGeStra keine allg. Sicherheitsfunktion ausüben sondern lediglich die Fahrer begleiten würden. Damit wäre dann die Sicherheitsfunktion auf das „Danebenstehen mit sichtbarer Weste“ beschränkt. Wie nett anzusehen. Ungemein beruhigend.

Zeit sich diese Haltestelle Bongardstrasse einmal genauer anzusehen. So um 1700h. Wenn sich Berufsverkehr und Weihnachtsmarktgäste treffen.

Bild: Haltestelle Bongardstrasse Richtung Hauptbahnhof siebzehn Uhr…


Und nein, die dunkle Masse sind nicht Wartende. Das sind Tannenbäume! Da wartete NIEMAND. Und in Gegenrichtung waren das vier einsame Gestalten, die verbissen im Regen ausharrten.
Natürlich freut sich die BoGeStra auch die Bongardstrasse anfahren zu können. Allein schon wegen ihren Fahrgästen. Service ist seit je her ihr Kerngeschäft. Antwortet aber eher verkniffen auf die Frage, wie diese Zusatzkosten denn nun getragen werden. Die Bochum Marketing sagt klar, dass von ihr die BoGeStra nicht bezahlt wird. Eine Straßenbahngesellschaft als Philanthrop. Wie schön…


Der Autor Sascha Rauschenberger

Sascha Rauschenberger, geboren 1966 in Wattenscheid, ging nach dem Abitur zur Bundeswehr, wo er als Panzeraufklärer und Nachrichtenoffizier Dienst tat. Er diente, unter anderem als Reservist, in vier Auslandseinsätzen, zuletzt als Militärberater in Afghanistan.

Seit 2000 ist er als Unternehmensberater im Bereich Projektmanagement und Arbeitsorganisation (Future Work) tätig.


 

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