Mittlere Elbe: Zurück zur Natur

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17 Jahre lang hat der WWF im Naturschutzgroßprojekt Mittlere Elbe an der Sicherung eines durchgehenden Verbundes echter, überflutbarer Auenwälder von der Mulde- bis zur Saalemündung gearbeitet. Die Rückverlegung des Elbedeiches im Lödderitzer Forst war die dabei die größte Maßnahme. Auf 600 Hektar Fläche darf sich die Elbe bei Hochwasser wieder natürlich ausbreiten, wertvoller Auenwald wird wiederbelebt. Jetzt wird das Naturschutzgroßprojekt offiziell abgeschlossen.

An der Mittleren Elbe ist einer der größten Auenwälder Mitteleuropas erhalten geblieben. Mit ihrem Mosaik aus Altgewässern, Altholzbeständen und Wiesen bietet die gesamte Mittlere Elbe Lebensraum für rund 1.000 Pflanzenarten, 135 Vogelarten und 40 Säugetierspezies.

Im Jahr 2001 startete der WWF hier sein bislang größtes Projekt in Deutschland. Das ca. 9.000 Hektar große Projektgebiet erstreckte sich auf einer Strecke von fast 34 Flusskilometern. Projektleiterin Astrid Eichhorn und ihr Team renaturierten hier wertvolle Auenbereiche und vor allem Hartholzauenwälder – Rückzugsräume für viele seltene Tiere und Pflanzen wie Biber, Fischadler oder die Sibirische Schwertlilie.

Mehr Raum für den Fluss

Auch an der Elbe sind etwa 80 Prozent der ursprünglichen Auen zerstört, verbaut oder komplett vom Fluss getrennt. So verloren sie viele ihrer ökologischen Funktionen. Zudem wurde der in seine Deiche gezwängte Fluss bei Hochwasser unberechenbar. „An der Mittelelbe haben wir gezeigt, wie es möglich wird, Flüssen wieder mehr Raum zu geben“, sagt Astrid Eichhorn.

Dazu wurde im Bereich des Lödderitzer Forstes auf 7,3 Kilometer Länge sechs Jahre lang ein neuer Deich gebaut – bis zu 2,5 Kilometer weiter weg vom Fluss als der alte. Nach dessen Fertigstellung wurde der alte Deich 2017 an insgesamt zehn geeigneten Stellen „geschlitzt“ und damit durchlässig gemacht.

Menschen überzeugen

Für eine Deichrückverlegung mussten auch die Anwohner überzeugt werden. WWF-Projektleiterin Astrid Eichhorn erinnert sich: „Mit dem Jahrhunderthochwasser 2002 wurde vielen schlagartig klar, dass immer höhere Deiche keine Lösung auf Dauer sind, denn sie führen zu immer schnellerem und höherem Hochwasser.“

Was alternativer, natürlicher Hochwasserschutz bedeutet, erklärten Eichhorn und ihre Kollegen daraufhin auf zahlreichen Bürgerversammlungen, Informationsveranstaltungen und Tagen der offenen Baustelle.

Bei vielen Menschen wuchs das Verständnis für Deichrückverlegungen, bei manchen aber auch die Angst. Denn mit dem neuen Deich rückt auch das Wasser näher an Häuser. Eichhorn erzählt: „Wir wurden gefragt: Wie sicher lebe ich unmittelbar hinter dem Deich? Was passiert mit dem Grundwasser? Oder sind jetzt meine Keller immer nass?“

Im Zuge der Projektumsetzung konnte viel Skepsis beseitigt werden. „Der neue Deich entspricht heute den neuesten technischen Anforderungen – mit zum Beispiel besseren Zugangswegen und einem verbesserten Entwässerungssystem auf der Landseite im Hochwasserfall. Außerdem bringt ein zusätzliches Schöpfwerk bei angespannter Hoch- und Grundwassersituation Entlastung. Das hat viele überzeugt“, sagt Eichhorn.

Die Natur kehrt zurück

Durch die größte Deichrückverlegung in Deutschland kann sich jetzt die Elbe bei Hochwasser im Lödderitzer Forst dreimal soweit ausbreiten wie bisher. Rund 600 Hektar Eichen-Ulmen-Hartholzauenwald und mehrere Auengewässer sind nun wieder an die Elbe angeschlossen und können ganz natürlich überschwemmt werden. Durch die Ausweisung als Kernzone wird das gesamte Gebiet vor störenden Einflüssen geschützt. So kann sich das auentypische Refugium für viele seltene Tier- und Pflanzenarten weiter entwickeln. Der Elbebiber fühlt sich hier genauso wohl wie der Fischotter. See- und Fischadler, auch Kranich, Schwarzstorch oder der Mittelspecht finden dort gleichermaßen ein Zuhause wie Kammmolch, Moorfrosch oder Rotbauchunke, die gerne in stillen Altgewässern abtauchen.

Natürliche Hochwasserbremse

Von der Rückverlegung des Elbedeiches profitiert nicht nur die Natur, sondern auch der Mensch. Denn wenn sich die Elbe wieder freier ausbreiten kann, sinkt auch der Hochwasserspiegel – bei der Stadt Aken flussaufwärts um voraussichtlich bis zu 28 Zentimeter. Deshalb ist das Elbe-Projekt auch ein Modell für naturnahen Hochwasserschutz in Deutschland.

Wertvolle Biotope gesichert

Im gesamten Projektgebiet hat das WWF-Projektteam auf 236 Hektar Fläche 120 Maßnahmen umgesetzt. Nach einem Pflege- und Entwicklungsplan wurden Wald, Auengrünland und Gewässer ökologisch aufgewertet. In vielen Einsätzen pflanzten die Naturschützer zum Beispiel standorttypische Hartholzauenbäume neu an oder stellten typische Magerrasen und Brenndolden-Auenwiesen wieder her. An vielen Stellen verbanden sie ehemalige Flutrinnen wieder mit dem Wasser der Elbe. Gemeinsam mit den ansässigen Landwirten wurde außerdem für 337 Hektar Auengrünland eine nachhaltige und naturschutzorientierte Bewirtschaftung langfristig gesichert. Blütenreiche Auenwiesen können nun zahlreiche seltene Schmetterlinge wie etwa den Dunklen Wiesenknopf-Ameisenbläuling anlocken.

Abschluss eines Großprojektes

Das von der UN ausgezeichnete Großschutzprojekt wurde durch das Bundesprogramm „chance.natur – Bundesförderung Naturschutz“ gefördert. Die Finanzierung mit rund 35 Millionen Euro erfolgte zu drei Vierteln aus Mitteln des Bundesumweltministeriums, vertreten durch das Bundesamt für Naturschutz, zu 15 Prozent durch das Land Sachsen-Anhalt und zu zehn Prozent durch den WWF Deutschland.

Am 20. und 21. September 2018 fand im Kornhaus in Dessau-Roßlau in Kooperation mit dem Biosphärenreservat Mittelelbe die Abschlussveranstaltung des Projekts statt. An der festlichen Veranstaltung nahmen neben vielen anderen auch Prof. Dr. Beate Jessel (Präsidentin des Bundesamts für Naturschutz), Prof. Dr. Claudia Dalbert (Umweltministerin des Landes Sachsen-Anhalt), Guido Puhlmann (Leiter der Verwaltung des Biosphärenreservats Mittelelbe), Christoph Heinrich (Vorstand Naturschutz beim WWF Deutschland) und Mag. Carl Manzano (Direktor des Nationalparks Donau-Auen aus Österreich) teil.

Wie eine Zeitreise war es, als bei den Vorträgen von der Entstehung des Projekts in den 90ern, dem Startschuss 2001 und den anschließenden 17 Jahren Projektlaufzeit berichtet wurde. In einem waren sich alle einig: Die Auenwälder der Mittleren Elbe zählen schon jetzt zu den bedeutendsten Naturregionen Deutschlands.

 

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